Literatur im Rhythmus der Polka

Literatur im Rhythmus der Polka

Die Kafka Band erobert mit deutsch-tschechischen Songs die Literaturhäuser in Europa

16. 4. 2014 - Text: Petr JerabekText. Petr Jerabek; Foto: Christian P. Schmieder

 

Ein mehr als 90 Jahre alter Satz beginnt ein neues Leben. „Es war spät abends, als K. ankam.“ Mit diesen Worten beginnt Franz Kafkas unvollendeter Roman „Das Schloss“ (1922). Sie stehen auch am Anfang des außergewöhnlichen Musikprojekts, für das sich ein zeichnender Sänger, ein Schriftsteller sowie eine Handvoll Instrumentalisten zusammengetan haben: Die Kafka Band um Jaromír Švejdík alias Jaromír 99 und Jaroslav Rudiš hat mit „Das Schloss“ ein Rock-Album zum gleichnamigen Romanfragment aufgenommen.

Alle Bandmitglieder sind Tschechen, dennoch verweben die Songs auf Deutsch rezitierte Textpassagen mit tschechisch gesungenen Refrains und lassen so ein Stück weit die zwanziger Jahre wieder aufleben, als beide Sprachen in Kafkas Heimatstadt Prag nebeneinander existierten.

Die Entstehung der Band ist eng mit einer Comic-Adaption des Romans verknüpft, die der amerikanische Autor David Zane Mairowitz mit Švejdík im letzten Jahr herausgebracht hatte. Der New Yorker filterte aus dem Roman den Text heraus, der 51-jährige Tscheche schuf dafür ausdrucksstarke, aufs Wesentliche verdichtete Bilder, die an traditionelle tschechische Holzschnittkunst erinnern, zugleich aber auch Züge des deutschen Expressionismus der Zwanziger tragen. Die Bilder spiegeln die Bedrohung, die von der anonymen Schlossverwaltung ausgeht, aber auch das Groteske, den absurden Humor des Romans wider. So zum Beispiel in der scherenschnittartigen Darstellung von K.s Traum vom Kampf mit einem nackten Sekretär. Seinem K. verleiht Švejdík die Züge eines leicht gealterten und heruntergekommenen Franz Kafka.

Stilistische Vielfalt
Der Comic, der auf Englisch, Tschechisch und Deutsch erschien, ist auch Teil der Wanderausstellung „K: KafKa in KomiKs“, die das Stuttgarter Literaturhaus im vergangenen November organisiert hat. Als Švejdík, der auch bei den Rockbands Priessnitz und Umakart am Mikrofon steht, um einen musikalischen Beitrag für die Vernissage gebeten wurde, war die Idee zur Kafka Band geboren. „Schon als ich über den Comic nachdachte, habe ich mir vorgestellt, wie K. wohl war“, erzählt Švejdík. „Ich bin davon ausgegangen, dass ein Fremder in eine verlassene Gegend kommt. Ein deutschsprechender Mann in ein tschechisches Dorf. In das Wirtshaus ‚Zur Brücke‘. Volksmusik ist zu hören, Polka, Gerede. Das ist die Grundidee.“ In diesem Wirtshaus spielt auch eine Kapelle. „Und das sind wir“, vervollständigt der Künstler das Bild. Deshalb seien auch volkstümliche Melodien und Elemente in das Album eingeflossen.

Ursprünglich hatte Švejdík rein tschechische Texte geschrieben – das Ergebnis kam ihm aber „zu lyrisch und romantisch“ vor. Also holte er seinen Freund Rudiš, der sehr gut Deutsch spricht, hinzu. Nach und nach folgten Musiker der Bands Uma­kart, Priessnitz, Tata Bojs und Lesní zvěř.

Inspiriert von Schlüsselszenen und -motiven des Romans entstanden zehn Lieder. Wie im Comic dominiert auf dem Album der Kafka Band eine düstere Atmosphäre. Doch auch hier blitzt stellenweise Humor auf. „Frieda“ kommt im flotten Polka-Rhythmus daher, „Dämmerung“ als folkloristische Ballade mit russischen Anklängen, „Niemals“ ist eine Art Techno anno 1922, „Traum“ ein beschwingter Popsong.

Eingängige Melodien wechseln mit experimentellen Passagen. Rudiš rezitiert mit rhythmischem Gespür ausgewählte Textstellen aus dem Buch auf Deutsch. In den gesungenen Refrains erklingen einzelne Wörter oder Wortfolgen gleichzeitig auf Tschechisch – mal wie eine Verstärkung, mal wie ein fernes Echo in einer anderen Sprache. Um das Album möglichst natürlich klingen zu lassen, wurde es überwiegend live eingespielt.

Die Veröffentlichung ihres Debüts feierte die Band mit einem umjubelten Konzert im Münchner Literaturhaus – vor ausverkauftem Saal. Weitere Konzerte gaben Švejdík, Rudiš und Co. in Stuttgart, Amsterdam und Salzburg. In Prag ist die Kafka Band am 2. Juni im Archa-Theater (Divadlo Archa) zu erleben – am Vorabend von Kafkas 90. Todestag. Bis dahin wollen die Musiker noch die eine oder andere Kafka-Erzählung vertonen. „Zehn Lieder sind für ein ganzes Konzert zu wenig“, sagt Švejdík, „sodass wir allein wegen des Konzerts wohl noch ein paar Lieder zusätzlich machen.“

Kafka Band: „Das Schloss“. Supraphon, Prag 2014, 284 Kronen als CD, 149 Kronen als Download

David Zane Mairowitz/Jaromir Švejdík: „Das Schloss“. Knesebeck Verlag, München 2003, 144 Seiten, 22 Euro, ISBN 978-3-86873-638-0.  Die tschechische Ausgabe ist im Labyrinth-Verlag erschienen.

Wanderausstellung „K: KafKa in KomiKs“, Literaturhaus Salzburg, geöffnet montags bis donnerstags
10–17 Uhr, bis 15. Mai