Logistiker hoffen auf neue Impulse
Stagnierende Umsätze und sinkendes Transportvolumen: Tschechien verliert auf dem Logistikmarkt den Anschluss
9. 1. 2014 - Text: Friedrich GoedekingText: Gerit Schulze; Foto: lichtkunst.73/pixelio.de
Tschechien ist einer der wichtigsten Logistikstandorte in Mitteleuropa. Doch in den vergangenen Jahren sind die Transportvolumina gesunken, ebenso die Ausgaben für den Ausbau der Infrastruktur. In internationalen Ratings fällt der Logistiksektor gegenüber den Nachbarländern zurück. Dennoch zieht das Land neue Investoren für riesige Lager- und Umschlagplätze an. Die größten Vorhaben plant der Versandhauskonzern Amazon. Auch deutsche Logistikunternehmen expandieren.
Tschechien bringt beste Voraussetzungen mit, im Logistiksektor zu den führenden Nationen des Kontinents zu gehören. Die zentrale Lage in Europa, die starke Industrietradition und das eng geknüpfte Verkehrsnetz stellen dafür eine gute Basis dar. Zudem ist die Volkswirtschaft eng mit den Produktionsprozessen in Deutschland und anderen europäischen Ländern verbunden. Rohstoffe, Komponenten, Vorprodukte und Endprodukte werden hin und her befördert und benötigen eine ausgeklügelte Logistik.
Trotzdem: Seit Ausbruch der Wirtschaftskrise verliert das Land im Logistikbereich den Anschluss. Die Transportströme haben nachgelassen. Allein der Güterverkehr auf den Straßen ist um ein Viertel zurückgegangen. Die Umsätze der Transport- und Lagerbranche stagnieren auf dem Niveau von 2008. Sie lagen 2012 bei rund 540 Milliarden Kronen (umgerechnet 21,5 Milliarden Euro, gemäß Jahreswechselkurs). Die Ausgaben des Staates für Bau und Erhaltung der Infrastruktur sind nach Angaben des Verkehrsministeriums fünf Jahre in Folge gesunken. Sie erreichten 2012 ein Volumen von 33 Milliarden Kronen (1,3 Milliarden Euro) und damit so wenig wie seit 2003 nicht mehr.
Großes Potential
Die Quittung hat Prag im aktuellen Logistics Performance Index bekommen, mit dem die Weltbank alle zwei Jahre die Leistungsfähigkeit der Logistikbranche in rund 90 Ländern der Erde vergleicht. Dort ist Tschechien 2012 um 18 Positionen nach unten gerutscht. Mit Platz 44 rangiert es im regionalen Vergleich hinter Deutschland (Platz 4), Österreich (11), Polen (30) und Ungarn (40). Nur die Slowakei schneidet schlechter ab und landet auf Platz 51. Die Weltbank-Experten kritisieren vor allem den Zustand der Transportinfrastruktur, die komplizierten Liefer- und Transportabläufe, mangelhafte Sendungsverfolgung und die Pünktlichkeit.
Dabei ist der Logistiksektor einer der wichtigsten Wirtschaftszweige und Arbeitgeber. Er hat einen Anteil von rund 6 Prozent am Bruttoinlandsprodukt und ist damit ähnlich bedeutend wie der Bausektor. Rund 220.000 Arbeitnehmer sind in der Branche beschäftigt. Jedes Jahr befördern sie rund 450 Millionen Tonnen Fracht durch das Land.
Das große Volumen hat viele deutsche Logistikunternehmen in die Regionen zwischen Böhmerwald und Beskiden gelockt. „Die zentrale Lage zwischen starken Volkswirtschaften wie Deutschland, Österreich und Polen macht aus Tschechien eine interessante Drehscheibe“, sagt Jan Hytha, Geschäftsführer der Nagel-Group für Tschechien und die Slowakei. Das Unternehmen ist auf Kundschaft aus der Lebensmittelbranche spezialisiert. Die Geschäfte mit der Lagerung, Kommissionierung und Distribution von Frischwaren gehen gut. In den vergangenen fünf Jahren hat die Nagel-Group in Tschechien ihre Umsätze mehr als verdoppelt.
Schlechte Infrastruktur
„Wachstumspotenzial sehen wir hier vor allem, weil immer mehr Firmen ihre Logistik outsourcen“, erklärt Hytha. Als Beispiel nennt er die Fleischproduzenten, die oft noch einen eigenen Fuhrpark unterhalten und ihre Distribution selbst durchführen. „Auch bei der Beschaffungslogistik und Lagerbewirtschaftung für Einzelhändler wird der Markt bestimmt weiter wachsen.“ Die Nagel-Group bereitet sich darauf vor und erweitert in diesem Jahr ihre Lager- und Umschlagkapazitäten durch einen neuen Standort der Niederlassung Olomouc.
Auch der Logistikdienstleister Fiege aus dem Münsterland erwartet wachsende Geschäfte. Das Unternehmen bedient in Böhmen und Mähren vor allem Industriekunden aus den Bereichen Elektronik, Automotive und Mode. An den Autobahnen D5 und D8 betreibt es große Lagerkomplexe. Als neues Wachstumsfeld sieht Jozef Ševčík, Geschäftsführer der Fiege s.r.o., den boomenden Online-Handel.
Zu den Nachteilen des Marktes zählt Ševčík den hohen Konkurrenzdruck in dem relativ kleinen Land. „Hinzu kommen die schlechte Qualität der Infrastruktur und die steigenden Löhne.“ Der tschechische Fiege-Geschäftsführer erwartet dennoch, dass durch neue Auslandsinvestoren mehr Nachfrage nach Logistikdienstleistungen entsteht.
Davon geht auch Markus Menzel aus, der Geschäftsführer von Rhenus Logistics in Tschechien: „Die Transportströme wachsen. Allerdings fast ausschließlich auf der Straße.“ Schon heute werden drei Viertel des gesamten Frachtvolumens im Land mit Lkw abgewickelt. Auf die Schiene kommen nur etwa 20 Prozent der Waren, mit sinkender Tendenz. „Solange die Kosten für Lkw-Transporte unter denen der Bahn liegen, werden die Lieferungen weiter zum großen Teil über die Straße laufen“, erklärt Rhenus-Manager Menzel. „Außerdem werden die Sendungen immer kleiner. Eine ganze Zugladung kommt deshalb selten zustande.“
Rhenus gehört zu den führenden Logistik-Dienstleistern in Tschechien und hat drei Niederlassungen bei Prag, Ostrava und Brünn. In Nučice an der Autobahn D5 betreibt Rhenus ein 25.000 Quadratmeter großes Logistikzentrum mit Gleisanschluss. Doch die Schienenanbindung wird von den Kunden nicht genutzt, gibt Menzel zu.
Experimente auf der Schiene
Gegen den Trend versucht der Handelskonzern Tesco wieder mehr Güter auf die Schiene zu bringen. In Nordmähren hat der Hypermarkt-Betreiber eine Testphase zur Belieferung seiner Läden per Eisenbahn gestartet. Am Bahnhof Šenov kommt täglich ein Spezialcontainer aus dem Zentrallager im rund 300 Kilometer entfernten Postřižín bei Prag an, der zwei Lkw ersetzt. Allerdings klappt das Experiment bislang nur mit länger haltbaren Trockenwaren, da die Transportzeit auf dem Schienenweg mit 16 Stunden deutlich über dem Lkw-Verkehr liegt.
Bereits erfolgreich im Geschäft mit Bahntransporten ist Metrans, eine Tochtergesellschaft der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA). Im Frühjahr 2013 hat das Unternehmen in Česká Třebová, 180 Kilometer östlich der Hauptstadt, einen zweiten tschechischen Hub-Terminal für Container eröffnet. Über solche intermodalen Containerdrehscheiben holt sich der Hamburger Hafen aus dem Hinterland Umschlagfracht. Der Terminal in Česká Třebová hat in der ersten Ausbaustufe eine Abfertigungskapazität von etwa 150 Zügen pro Woche und eine Lagerkapazität von 4.500 Standardcontainern (TEU). Ihren anderen Hub-Terminal betreibt Metrans in Prag. Allein von dort pendeln jede Woche über 70 Züge nach Hamburg und binden Tschechien so an die internationalen Seehäfen an.
Geringe Leerstandsquote
Auch wenn die Transportströme aktuell stagnieren, so bleibt das Interesse internationaler Konzerne an Logistikflächen hoch. Mit 4,4 Millionen Quadratmetern verfügt das Land in Ostmitteleuropa hinter Polen bereits über die meisten Logistik- und Industriekapazitäten. Die Leerstandquote in den modernen Hallen liegt nach Angaben von Cushman & Wakefield bei unter 7 Prozent. Polen (11 Prozent zur Jahresmitte 2013) oder Ungarn (23 Prozent) schneiden beim Leerstand schlechter ab. Nur in der Slowakei war Lagerraum knapper (5 Prozent).
Mit rund 3,80 Euro je Monat und Quadratmeter müssen die Nutzer in Tschechien auch am meisten für die Anmietung von modernen Lagerhallen der A-Kategorie zahlen (Polen und Slowakei 3,60 Euro, Ungarn 3,50 Euro). Rund um Brünn liegen die Mietpreise sogar bei über 4 Euro. Die Immobilienagentur Jones Lang LaSalle geht davon aus, dass 2013 rund 300.000 Quadratmeter neue Lager- und Industrieflächen auf den Markt gekommen sind. Das wäre der höchste Wert seit 2009.
Diese Entwicklung wird sich fortsetzen, glaubt Hendrik Jung, zuständig für die Vermarktung von Industrie- und Logistikprojekten bei Cushman & Wakefield in Prag. „Regional sind derzeit vor allem bei Zulieferern der Automobilindustrie Mittel- und Westböhmen gefragt. Dort gibt es zum Teil auch Zuschüsse für jeden neuen Arbeitsplatz und Steuerermäßigungen für Investitionen.“ Außerdem seien in strukturschwachen Gegenden noch ausreichend Arbeitskräfte verfügbar bei gleichzeitig guter Verkehrsanbindung.
Jung sieht vor allem im stark wachsenden Onlinehandel sowie in der expandierenden Automobilindustrie großes Potenzial für neue Logistikzentren und Produktionsstandorte. Allerdings werde kaum spekulativ gebaut. „In der Regel beginnen die Developer erst dann mit dem Bau, wenn mehr als die Hälfte einer Lagerhalle vermietet ist.“
Zahlreiche Neubauprojekte
Eine der größten Investitionen plant der US-Versandriese Amazon bis Ende 2014. In der Nähe des Prager Flughafens und im Brünner Industriegebiet Černovická terasa will der Internethändler zwei riesige Distributionszentren aufbauen. Dort könnten inklusive Saisonarbeitern bis zu 10.000 Arbeitsplätze entstehen. Im geplanten Amazon-Logistikzentrum bei Prag soll vor allem Rücklaufware deutscher Kunden bearbeitet werden. Von Brünn aus will der Handelskonzern die angrenzenden Märkte beliefern.
Stark expandiert auch der Logistikdienstleister Loxxess an seinem Standort Bor, nahe der Grenze zu Bayern. Viele deutsche Kunden lassen über Bor inzwischen ihren Versandhandel laufen, kleinere Reparaturen an verschickter Ware durchführen oder Textilien aufbereiten. Durch den Autobahnanschluss sind die Lkw des Outsourcing-Spezialisten schnell im Nachbarland. In Nürnberg werden die Sendungen in die deutschen Paketdienstnetze eingespeist. Loxxess hat sich zusätzliche Erweiterungsfläche in Bor gesichert.
Andere Logistikfirmen bauen ebenfalls aus. Bereits im Frühjahr 2013 hatten Dachser und Gebrüder Weiss Logistikterminals in der Nähe von Prag errichtet. Im September nahm PPL an der Autobahn D1 gleich hinter der Metropole ein Paket-umschlagzentrum in Betrieb, wo pro Stunde bis zu 18.000 Sendungen bearbeitet werden können.
Der Speckgürtel der Millionenstadt zieht weitere Investitionen an. Umschlagzentren im Großraum Prag bauen oder planen derzeit Lego (die „Prager Zeitung“ berichtete in Ausgabe 47/2013), Yusen Logistics, Hartmann-Rico (bei Prag und Brünn) und DHL an der Autobahn D8. Die Erste Group Immorent will 10 Kilometer vor der Stadt einen Logistikpark mit über 70.000 Quadratmeter Lager- und Produktionsfläche errichten.
Außerdem will DHL Supply Chain von einem neuen Standort an der D1 bei Prag aus Mittelosteuropa mit Spielwaren der Marke Mattel beliefern. Ebenfalls an der wichtigsten Magistrale des Landes lässt die Baumarktkette Mountfield ein Logistikzentrum bauen. Ein Zentrallager für Tierfutter baut Brit-Vafo im Prager Vorort Rudná auf. Dort hat auch DB Schenker im Herbst 2013 einen Terminal mit 92 Laderampen eingeweiht. IKEA nimmt Anfang 2014 ein Ausgabelager in der Nähe des Václav-Havel-Flughafens in Betrieb. Tschechiens Logistikmarkt bleibt also in Bewegung.
(Quelle: Germany Trade & Invest)
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