Looking for communism
Prag hat kein öffentliches Kommunismus-Museum. Geschäftsleute haben darin eine Lücke entdeckt. Aber sie zeigen vor allem eins: die Welt der Propaganda. Ein touristischer Versuch
24. 4. 2013 - Text: Nancy WaldmannText und Foto: Nancy Waldmann
„I am looking for communism. Could you recommend me something?“ Ich beginne die Suche am Jungmann-Platz im Prager Stadtzentrum – dort, wo der Kommunismus sich am wenigsten aufdrängt und wo man sich mit der Frage fast dreist vorkommt. „Ja, wir haben eine Kommunismus-Tour, täglich um 11“, antwortet die Frau, die in einem Kiosk Stadtführungen aller Art anbietet. Königsweg, Jüdisches Prag, Jugendstil. Ihr Telefon klingelt, eine Kollegin ist dran. „Du, hier steht gerade eine Interessierte für die Kommunismus-Tour“, sagt die Frau im Kiosk. „Leider nur eine, ja … Wie? Ich soll ihr was anderes anbieten? Aber sie interessiert sich nun mal für Kommunismus.“
Sie legt auf und wendet sich wieder mir zu. Morgen oder übermorgen könne ich ja nochmal vorbeikommen, sagt sie unverbindlich. „Aber Sie können auch allein ins Museum des Kommunismus gehen. Ist nur zweihundert Meter entfernt.“ Ich lasse mir die Route der dreistündigen Tour zeigen, sie führe zum Mahnmal auf der Kleinseite, zum Hügel, wo die Stalinstatue stand und dann durch das Museum des Kommunismus.
Nicht, dass dieses Museum mir noch nicht aufgefallen wäre. Im gesamten Stadtzentrum wirbt es mit Plakaten. Motiv: die fiese Fratze einer Matruschka mit spitzen, gefletschten Zähnen. Alternativ eine graue Maus mit Kalaschnikow. Das fasst eigentlich die Kernbotschaft des Museums auch zusammen: niedlich, fies, lächerlich war der Kommunismus.
Direkt auf der Touristenmeile Na Príkopě liegt das Museum an prominenter Stelle und gleichzeitig versteckt in einem barocken Haus. Der Kommunismus ist hier eine Episode, die man getrost wieder vergessen kann, sobald man die Ausstellung verlässt. Vermutlich hielten es die Museumsmacher – der Gründer ist ein amerikanischer Unternehmer, der mehrere Restaurants in Prag besitzt – für ein ironisches Statement, dass sie die Ausstellungsräume direkt über einer McDonalds-Filiale unterbrachten. Man kann das gelbe M am Haus aber auch als Zeichen des Sieges lesen, das die Ausstellung und den allwissende Ton, in dem sie erzählt, vorwegnimmt.
Lenin aus dem Filmstudio
Mit einer Siegerpose wird der Besucher auch begrüßt, wenn auch mit der Lenins, umgeben von Symbolen, die ihm klarmachen, worum es in diesen großbürgerlichen stuckverzierten Räumlichkeiten geht. Ein roter Stern aus Beton hängt an der Decke, Hammer und Sichel sowie drei weitere Lenin-Statuen in unterschiedlichen Größen und Formen. Ob die alle in Prag gestanden haben? Der Große stamme aus den Filmstudios Barrandov, sagt die Kartenverkäuferin. Bei den anderen wisse sie es nicht. Auf den ersten Ausstellungsmetern stehen außerdem fünf Mopeds und zwei Fahrräder. Autos, so folgere ich, hat es im Kommunismus offenbar nicht gegeben. Zudem müssen die Menschen im Wesentlichen als Polizisten oder Soldaten gearbeitet haben, denn etwa jede zweite thematische Sektion wird kommentarlos von einer uniformierten Schaufensterpuppe flankiert.
Die ausgestellten Objekte bilden eine Art eigenständigen Themenpark. Weitgehend losgelöst davon beschreiben Texte die politische und gesellschaftliche Entwicklung. Die Geschichte des Ostblocks und der Tschechoslowakei, so nehme ich mit, war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Marx war ein „Himmelsstürmer“, Dubček, der „freundlich lächelnde Slowake“, der so dumm war an einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz zu glauben, Breschnew, ein „teilnahmsloses Wrack“. Über Lenin heißt es: „Zur Hauptursache seines unversöhnlichen Hasses gegen das Establishment ist der Tod seines älteren Bruders geworden, der wegen einem Mordversuch am Zaren hingerichtet wurde.“
Allein der in einem Kinosaal gezeigte Dokumentarfilm über den Prager Frühling und die Samtene Revolution konfrontieren den Zuschauer plötzlich und unvermittelt mit der Realität. Gesichter von Demonstranten gezeichnet von Angst, Wut und Entschlossenheit, unruhige, abbrechende Kameraeinstellungen, Panzer, Polizisten, die mit Schlagstock und voller Wucht gegen Menschen ausholen. Die Zuschauer um mich herum zucken zusammen.
Das Museum gefällt sich darin, den Kommunismus als Propagandawelt auszustellen und diese zu dekonstruieren. Und damit biedert es sich den oft westlich sozialisierten Besuchern an, die hier genau das im Westen kultivierte Bild von der hässlichen, lächerlichen Fratze des Kommunismus bestätigt finden. Als müsse das nochmals unterstrichen werden, erhalte ich mit der überteuerten Eintrittskarte zur Ausstellung ein Sonderangebot im Restaurant „Propaganda“, wo all die Lenin-Statuen untergekommen sind, die nicht mehr ins Museum gepasst haben.
Der Kommunismus als Experiment mit unvorhersehbarem Ausgang, als Kultur mit eigener Ästhetik und mit Individuen, die Entscheidungen trafen und sich in seiner Welt einrichteten? Fehlanzeige.
„Geschichte der Lebenden“
Ich mache noch einen Versuch. Die „Communism Nuclear Bunker Tour“ finde ich beim Googeln, die angeblich einzige thematische Führung zum Kommunismus neben dem Museum. Eine halbe Stunde später stehe ich mit dem Stadtführer Břetislav, Geschichtsstudent, und einer zehnköpfigen Gruppe von Australiern, Franzosen und Amerikanern auf dem Altstädter Ring und höre vom geschassten Parteiführer Vladimír Clementis und seinem Gegner Klement Gottwald. Břetislav präsentiert die Národní třída als den Ort, wo die Samtene Revolution begann und wo sich heute die Banalität des Kapitalismus Bahn gebrochen hat. Die Geschichte dürfe man nicht „schwarz-weiß“ betrachten. Aber Břetislav hat auch effektvolle Gegenüberstellungen parat. „Raten Sie mal, wie lang die Schlange war, als der erste McDonalds in Prag eröffnete.“ Gespannte Gesichter. „Sechs Kilometer.“
„Six kilometers!“, wiederholt die Frau aus Australien mit einem Lacher.
Am Wenzelsplatz zeigt Břetislav den Balkon, auf dem Václav Havel zum ersten Mal als Präsident sprach. Und schiebt den Hinweis nach: „Und jetzt sitzt dort Marks & Spencer.“ Wieder Lacher.
Vor der früheren Zentrale der tschechoslowakischen Staatssicherheit in der Bartolomějská-Straße, sagt Břetislav: „In anderen Ländern wäre dieses Gebäude ein Museum. Aber bei uns sitzt hier nach wie vor die Polizei“, sagt Břetislav. Es gebe kein einziges öffentliches Musem, das wirklich das Erbe des Kommunismus thematisiere. Er berichtet vom Institut für die Erforschung totalitärer Regime, die tschechische Gauck-Behörde, um dessen Ausrichtung gerade ein Zank zwischen linken und rechten Parteien ausgebrochen sei. „Es ist eben die Geschichte der Lebenden“, sagt er.
Sein Arbeitgeber schlägt daraus ebenso Kapital wie die Macher des Kommunismus-Museums. Das Herzstück unserer Tour ist ein Ausflug in einen Bunker im Stadtteil Žižkov, der die Prager im Fall eines atomaren Anschlags schützen sollte. Wir steigen am Olšanské náměstí aus, einem Ort, an dem man sieht, dass sich der Kommunismus auch in Prag in das Stadtbild eingeschrieben hat. Ein Hotel aus Beton, Plattenbauten, alles unrenoviert. Břetislav kann diese Häuser nicht ohne die obligatorische Abwertung zeigen. „Findet Ihr diese Häuser schön?“, fragt er rhetorisch.
Aufwändige Propaganda
Dann geht es hinunter in den Bunker, in dem die Firma „Prague Special Tours“ neben einer Bar und einer unterirdischen Kletterhalle ihr eigenes Kommunismus-Museum eingerichtet hat. Hunderte von Gasmasken und Schutzmänteln sind ausgestellt, Wehrerziehung und Ernstfall-Szenarien sind mithilfe von Puppen nachgestellt. Man erfährt hier durchaus ungewöhnliche Dinge, zum Beispiel, dass es einen tschechoslowakischen James Bond gab: Major Zeman. Im Wesentlichen aber erzählt der Bunker die Geschichte der globalen Blockkonfrontation und ihrer lokalen Auswirkungen auf eine Stadt wie Prag. 350 Bunker wurden in der Stadt in den fünfziger Jahren errichtet. 20 Prozent der Bevölkerung hätten darin Zuflucht gefunden – wenn diese überhaupt schneller als eine Atombombe hätten sein können. „Prag stand nie im Visier der Amerikaner, alles Propaganda, wenn ihr mich fragt, um die Leute mit Angst gefügig zu machen“, sagt Břetislav. Wieder einmal wird mir also der Kommunismus als Propaganda-Nummer präsentiert, als ziemlich aufwendige allerdings. Wovor sich Menschen in der Tschechoslowakei wirklich fürchteten, erfahre ich nicht.
Wir fahren zurück in das von Jugendstil und Kubismus durchwirkte Stadtzentrum, wo man den Kommunismus wieder vergessen kann. Ich frage Břetislav, welchen Ort in der Stadt er am repräsentativsten für die Zeit des Kommunismus hält. Er überlegt: den Letna-Hügel, wo einmal das größte Stalinmonument der Welt stand. „Aber davon ist doch heute nichts mehr zu sehen?“, wende ich ein. „Nein, da ist nichts.“
Auf unbestimmte Zeit verschoben
Neue Formen des Unterrichts