Magisch verwirrt

Magisch verwirrt

Regisseur Štěpán Altrichter will mit seinen Filmen nicht die Welt verändern, sondern den Zuschauer zum Teil seiner Geschichten machen

18. 12. 2014 - Text: Franziska NeudertText: Franziska Neudert; Foto: privat

Ein wenig skeptisch fragt Štěpán Altrichter, ob das Gespräch tatsächlich aufgezeichnet werden müsse. Fast so, als könne er seinen eigenen Worten nicht trauen. Wie im Wahnsinn seien die letzten Wochen vergangen, erzählt der junge Regisseur. Nur wenige Tage nachdem sein erster abendfüllender Spielfilm „Schmitke“ fertig geworden war, erhielt er Anfang Oktober eine Einladung zum internationalen Filmfestival im südkoreanischen Busan. „Das war wie ein Trip, unglaublich. Die Kinosäle waren riesig und komplett ausverkauft, die Leute haben gezeltet, um ins Kino zu kommen. Und wir mussten ständig Autogramme geben.“ Altrichters Augen leuchten. Er ist noch immer überrascht, dass sein deutsch-tschechischer Film in Korea überhaupt verstanden wurde: „Er hat ja einen ganz eigenartigen Humor, mit englischem Untertitel und dann kam da noch vertikal  Koreanisch drauf.“ Den „Flash Forward Award“ für junge Nachwuchsfilmer konnte seine fünfköpfige Crew zwar nicht mit nach Hause nehmen, trotzdem sei es „überwältigend“ gewesen. „Wir sind ja noch total unerfahren, erst frisch aus der Schule raus“.

Zum Film kam der gebürtige Brünner über seinen Cousin Tomáš Končinský, der auch das Drehbuch für „Schmitke“ schrieb. Tomáš schmuggelte den kleinen Štěpán heimlich mit in Vorführungen in die Prager Filmschule Famu, an der er damals studierte. So sah Altrichter mit elf Jahren zum ersten Mal „Lost Highway“. Der David-Lynch-Thriller habe ihn „total verwirrt, aber eben auch berührt“, sagt der 33-Jährige heute. Genau das will er mit seinen eigenen Filmen auch erreichen.

Also schaute er in seiner Jugend unzählige „Mainstream-seltsame Filme“ an, wie er sie nennt, unter anderem von den Coen-Brüdern, von Roman Polanski oder eben David Lynch. An dem komme man nun mal nicht vorbei, genauso wenig wie ein Philosophiestudent an Nietzsche und Sartre, meint Altrichter. Dann beschloss er, Regisseur zu werden, studierte an der Famu sowie an der Filmhochschule Babelsberg.

Brotloser Traumjob
Knapp vier Jahre lang haben Altrichter und sein Team an „Schmitke“ gearbeitet. Das Ergebnis beeindruckte Zuschauer und Kritiker. Nicht nur bei einem der größten Filmfestivals Asiens stieß der Streifen auf Begeisterung. Beim Festival des osteuropäischen Films in Cottbus gewann er den Preis für den besten Debütfilm. Ob das ein Erfolg ist, wagt Altrichter nicht zu sagen. „Momentan kämpfen wir darum, dass er überhaupt ins Kino kommt.“

Der Film dreht sich um den 57-jährigen Ingenieur Julius Schmitke. Dessen monotoner Alltag wird jäh unterbrochen, als er ins böhmische Erzgebirge geschickt wird, um dort eine seiner Windkraftanlagen zu reparieren. Was dann beginnt, könnte man eine bizarre Odyssee durch die Wälder und das Ich des kauzigen Protagonisten nennen. Dass der Film bei vielen gut ankommt, kann sich Altrichter so erklären: „Der ist eben etwas komisch, funktioniert auf eine subtile Art. Er beantwortet nicht die klassischen Fragen, die man an einen Film hat, sondern verspult einen ein bisschen.“ So sei „Schmitke“ wie ein Satz einer Sinfonie aufgebaut. Das verwundert nicht sonderlich, schließlich ist Altrichter mit Musik groß geworden. Sein Vater ist Dirigent, sein Bruder DJ. Heute müsse er sich hin und wieder vorwerfen lassen, aus einer Musikerfamilie zu kommen, lacht er. „Weil du keinen Gedanken länger als zwei Minuten halten kannst und immer in Parallelen denkst und nicht logisch“, zitiert Altrichter seine Freunde.

Mit „Schmitke“ habe die Crew einen Film gemacht, den sie auch selber sehen wollte und sei keine Kompromisse eingegangen, sagt Altrichter. Das Filmen hatte er sich allerdings einfacher vorgestellt. „Ich dachte, ich würde in einem Stuhl sitzen und könnte dann wie ein Kind mit den Figuren spielen, Dinge explodieren lassen. Hätte mir jemand gesagt, wie schwierig, anstrengend und brotlos der Job ist …“ Wieder leuchten Altrichters Augen. Regisseur möchte er trotzdem bleiben. Ob das gelingt, hänge leider nicht an ihm, weil „Film etwas ist, wofür man leider relativ viel Geld braucht“.

Derzeit wohnt Altrichter in Berlin. Auch wenn er die Stadt als kulturelles Zentrum der Welt bezeichnet und seit über zehn Jahren dort lebt, fühlt er sich in Deutschland nicht zuhause: „Ich bin dort ein Gast, ein Willkommener, einer, der sich gerne dort aufhält. Aber manche Sachen sind mir einfach fremd.“ Die tschechische Mentalität ist ihm vertrauter. Dass er sich in Berlin so wohl fühle, liege daran, dass es „genau das Gegenteil von Deutschland“ sei, sagt er.

Aus dem Weltbild werfen
Nach Deutschland kam seine Familie, als er 13 Jahre alt war. Dem künstlerischen Engagement seines Vaters folgend – das sie in insgesamt 27 verschiedene Wohnungen führte – zog sie zunächst nach Konstanz, wo Altrichter versehentlich in eine Mädchenschule gesteckt wurde. Ein schöner Fauxpas, der viel Stoff liefere, schmunzelt er. Zum Beispiel für ein Musical, sein nächstes Projekt.

Hochgesteckte Ziele verfolgt er mit seinen Filmen nicht. „Ich bin schon froh, wenn ein trauriger Junge am Sonntag meinen Film sieht und danach ein bisschen glücklicher ist. Wenn man es schafft, dass der Zuschauer für 90 Minuten in der Geschichte verschwindet und zum Teil dieser Welt wird.“ Mit Filmen, davon ist Altrichter überzeugt, kann man die Welt nicht verändern. „Aber man kann den Leuten magische Augenblicke bescheren, sie mal aus ihrem Weltbild rauswerfen.“