Markenzeichen: unerschrocken (II)
Vor 85 Jahren erschien die Berliner „Weltbühne“ im Prager Exil. Bis heute ist sie ein journalistisches Vorbild (Teil 2)
14. 8. 2019 - Text: Klaus Hanisch, Titelbild: Csabi Elter
Markenzeichen: unerschrocken (Teil 1)
In diesen Prager Jahren spielten sich große Entwicklungen und Ereignisse in Europa und der Welt ab. Etwa der spanische Bürgerkrieg. Auch für die Historie der „Weltbühne“ selbst: Ihr langjähriger und inhaftierter Herausgeber Carl von Ossietzky erhielt im Jahr 1936 den Friedensnobelpreis, bereits zwei Jahre später starb er an den Folgen der KZ-Haft. Kurt Tucholsky wählte schon im Dezember 1935 in Schweden den Freitod.
Hermann Budzislawski bemühte sich früh darum, tschechische Genossen zu finden, die seine Hefte nach Deutschland einschleusten. Ein „tschechisches Hilfskomitee für deutsche Emigranten“ habe dabei geholfen, „Hunderte“ hätten sich nach Ausführungen von Ursula Madrasch-Groschopp für die Verbreitung der Zeitschrift in Deutschland eingesetzt, darunter viele tschechische Kuriere. Dass sie Erfolg hatten, macht die Autorin daran fest, dass sich die Hefte 3 und 4 des Jahrgangs 1936 in einer Sammlung des Reichssicherheitshauptamtes in Berlin fanden.
Auch Professor Haarmann will nicht ausschließen, dass es „vereinzelt Leute gab“, die Exemplare sporadisch über die Grenze brachten. Gleichwohl: „Bei meinen Recherchen habe ich nichts darüber gefunden, dass sie durch tschechische Genossen ins Reich geschmuggelt wurden.“
Mit „ihren etwa hundert Mitarbeitern“ sei die „Neue Weltbühne“ nicht nur informativ gewesen, sondern auch „von der Weltpresse beachtet“ worden, berichtete Hermann Budzislawski etliche Jahre später. Sie habe Vorgänge aus Deutschland an die Öffentlichkeit gebracht, die ohne sie verborgen geblieben wären. Für den Exil-Forscher Hermann Haarmann, der 2016 für seine Arbeit mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, waren die Prager Jahre für die „Neue Weltbühne“ und ihre Mitarbeiter hingegen vor allem „eine Selbstbeschäftigung“. Eigentlich sei „die Zeitschrift dort schon tot“ gewesen. Aus Akten, die ihm die Familie von Budzislawski zur Verfügung stellte und die jetzt in der Berliner Akademie der Künste aufbewahrt werden, gehe hervor, dass es „ein Kampf ums Überleben war und der alte Glanz fehlte. Im Exil begann der Niedergang.“ Die „Weltbühne“ habe ihren Journalismus für ein Berliner und Weimarer Publikum gemacht, dies war umgekehrt „mit diesem Journalismus groß geworden, nun war dieser Kontakt abgebrochen“. Mit dem Ende der Republik endete laut Professor Haarmann daher auch die Blütezeit dieser Zeitschrift.
War die ursprüngliche „Weltbühne“ tatsächlich so wichtig, dass sie heute als journalistische Legende gelten darf – oder entstand in den letzten Jahrzehnten eine Legendenbildung um sie? „Beides“, meint Professor Haarmann, der auch ein eigenes Institut für Kommunikationsgeschichte und angewandte Kulturwissenschaften mit Schwerpunkt auf Exil und Exilpublizistik leitet. Für die Legende spreche, wie lesbar die „Weltbühne“ der Weimarer Jahre noch heute sei und wie wortgewaltig und sensibel darin geschrieben wurde. Es wurde viel langsamer berichtet, auch wegen der „hohen Recherchearbeit“ der Autoren. „Dafür wurde die Zeitschrift hoch geschätzt“, so Professor Haarmann. „Dies ist verschüttgegangen angesichts der Schnelllebigkeit im heutigen Journalismus.“ Auch durch dessen Schnelligkeit, etwa in der wachsenden Online-Nutzung. Und dies habe wiederum für einen Niedergang im aktuellen Journalismus gesorgt – und damit für eine Legendenbildung rund um die „Weltbühne“.
Sollte man sich deshalb heute noch an die „Weltbühne“ erinnern? „Deshalb und auch, weil sie als Intellektuellenblatt der Weimarer Zeit dabei hilft, gleichsam ein Sittenbild der damaligen Zeit nachzuvollziehen“, erläutert der Berliner Universitätsgelehrte. „Man kann sehen, was diese Zirkel bewegte, worüber man sprach.“
Die „Weltbühne“ steht zudem als Beispiel für eine stets bedrohte Pressefreiheit. Jedes autoritäre Regime merke immer sehr schnell, „wie gefährlich das freie Wort werden kann“, zieht Professor Haarmann einen Vergleich zu heute.
Auch in Prag wurde versucht, die Zeitschrift mundtot zu machen. Ende 1937 bot die Regierung in Berlin der tschechoslowakischen einen sogenannten „Pressefrieden“ an, damit Organe von Emigranten in ihrem Land keine Kritik mehr äußern konnten. Doch in Prag habe man die Ansicht vertreten, dass die „Neue Weltbühne“ eine internationale Zeitschrift sei, so Madrasch-Groschopp. Erst nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Österreich im März 1938 übten die Prager Behörden stärker Zensur aus. Ausgaben wurden konfisziert, über deutsche Themen konnte nicht mehr frei berichtet werden. Hermann Budzislawski beschloss, den Sitz der Zeitschrift im Mai 1938 nach Paris zu verlegen. Dort gelang eine Fortsetzung nur, weil die Mitarbeiter ein Jahr lang auf ihre Honorare verzichteten.
Ursula Madrasch-Groschopp zitiert Budzislawski, wonach er in die Tschechoslowakei ging, weil „sie geografisch günstig für den antifaschistischen Kampf gelegen war“. Außerdem hätten die tschechoslowakische Bevölkerung und größtenteils auch Behörden sowohl ihn wie die Zeitschrift „moralisch und auch praktisch“ unterstützt. Er verließ Prag mit einem tschechoslowakischen Ausweis und erhielt zwei Jahre später auch die Staatsbürgerschaft in seinem Exil in den USA.
Ab Juni 1946 wurde eine „Weltbühne“ in der DDR neu aufgelegt. Als Ausgangspunkt dafür wurde der Kampf gegen den Faschismus und das Vergessen von Kriegsursache und -folgen genannt. Ursula Madrasch-Groschopp, die 30 Jahre lang Assistentin, Redakteurin und stellvertretende Chefredakteurin jener „Weltbühne“ in der DDR war, kritisierte Versuche, das alte Unternehmen gegen das neue auszuspielen. „Wer heute in der Weltbühne schreibt, ist sich klar darüber, dass sie nicht die alte Weltbühne sein kann“, merkte sie an.
Nicht vorstellbar sei tatsächlich, dass Jacobsohn, Tucholsky oder Ossietzky „als Akteure in dieser politisch gegängelten Presse“ schreiben würden, bemerkte dazu 2004 die Zeitschrift „Ossietzky“, die sich seit der deutsch-deutschen Vereinigung in der Tradition der „Weltbühne“ sieht. Wie auch die ebenfalls in Berlin erscheinende Zweiwochenschrift „Das Blättchen“.
Zwar sei es legitim gewesen, sich in seiner Kritik an Zuständen in der Bundesrepublik und der kapitalistischen Welt auf sie zu berufen. Bei der Beschreibung der Zustände im eigenen Land habe es aber Anpassung und Beschönigungen gegeben, auch wenn sich Ton und Inhalt vom häufig so plumpen Jargon der DDR-Presse abhoben, resümierte „Ossietzky“.
Für Professor Haarmann ist diese „DDR-Weltbühne“ dagegen einfach „elendig gescheitert“ und reine Camouflage gewesen. Der gute Ruf der „Weltbühne“ aus der Weimarer Zeit habe sie geschützt und manches sagen lassen, was sonst nicht gesagt werden durfte. Trotzdem lag sie „auf Linie“. Haarmann: „Man nutzte den klangvollen Namen, meinte aber was ganz anderes: nämlich Parteilichkeit. Parteilicher Journalismus wurde dort weiter entwickelt.“
Ebenso deutlich äußert er sich über Hermann Budzislawski, mit dem Ursula Madrasch-Groschopp von 1967 bis 1971 in der „Weltbühne“ zusammenarbeitete. Er sei vor allem „ein parteilicher Journalist“ gewesen. Budzislawski prägte in der DDR wesentlich die Journalistenausbildung in Leipzig, schrieb ein Buch über „Sozialistische Journalistik“ und wurde als Vorzeigemann des sozialistischen Journalismus von DDR-Oberen vielfach ausgezeichnet.
Und was lehrt die Weimarer „Weltbühne“ für die heutige journalistische Arbeit? Vor allem ein „trotzdem“, meint Publizistik-Professor Haarmann, nachdem sich das Leseverhalten extrem verändert habe. Selbst „keiner von meinen Studenten liest heute noch eine Zeitung oder ein Magazin.“ Stattdessen beobachtet er sie in seinen Seminaren bei intensiven Smartphone-Studien.
Dabei gelte für sie, weiterhin „Nachrichten an die Frau und den Mann zu vermitteln, mit eigenen Argumenten und Möglichkeiten zur Rezeption.“ Gerade der publizistische Nachwuchs müsse sich daran erinnern, was „Weltbühne“-Autoren beherrschten: einen journalistischen Satz auf den Punkt bringen, intensiv recherchieren und damit die Chancen für Fake News so gering wie möglich halten.
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