„Mich fasziniert der tschechische Humor“
Schauspielerin Corinna Harfouch über Erinnerungen an die Tschechoslowakei, Prager Spaziergänge und sensible Feenwesen
24. 10. 2012 - Interview: Stefan Welzel, Titelbild: Pandora Film ("Was bleibt")
Es ist etwas unruhig in dem kleinen Büro, das sich über dem Restaurant des Kinos Lucerna befindet. Mitarbeiter des Festivals deutschsprachiger Filme schwirren durch die Gänge, von fern sind der Bistro-Betrieb und das Summen eines Staubsaugers zu hören. Corinna Harfouch stört sich nicht an der Hektik und nimmt auf einem der Sessel in der stillsten Ecke des Backstage-Bereiches Platz. Bevor das Gespräch mit einer der erfolgreichsten Schauspielerinnen Deutschlands beginnt, freut sich die Suhlerin über tschechische Schokoladenwaffeln, die sie auf dem Salontisch des Büros erblickt und sie an ihre Kindheit erinnern. Corinna Harfouch, so merkt man, fühlt sich wohl in Prag, wo sie vergangene Woche als Stargast beim Eröffnungsabend des Filmfestes eingeladen war.
Welche Assoziationen weckt bei Ihnen die Stadt Prag?
Harfouch: Speziell erinnere ich mich an einen langen Spaziergang durch die Stadt. Ich fing auf der Burg an und ging dann immer weiter und weiter. Ich habe so eine Macke, dass ich nicht denselben Weg zurückgehen möchte, den ich hinter mich gebracht habe. So lerne ich auch die Umgebung besser kennen. Ich landete schließlich auf einem Platz mit einem großen Hotel in stalinistischem Baustil (Das Hotel Crowne Plaza in Prag Bubenec, Anm. d. Red.). Um mich zu orientieren, bin ich in dieses Hotel, stieg in den Lift ein und fuhr nach oben, um mir einen Überblick zu verschaffen. Dabei habe ich mich kurioserweise auf der Feuertreppe ausgeschlossen. Das werde ich nie vergessen. Aber ich hatte sogleich die Orientierung wiedergewonnen.
Zum in Prag vorgestellten Film „Was bleibt“ des Regie- und Drehbuch-Duos Hans-Christian Schmidt und Bernd Lange: Was gefiel Ihnen besonders an der Geschichte über die depressive Mutter inmitten einer scheinbar heilen Welt?
Harfouch: Das Buch hat mich wahnsinnig fasziniert. Die erste Fassung, die ich zu lesen bekam, war ganz aufregend. Da war vieles noch nicht festgesetzt, so manches schälte sich erst heraus. Das fand ich sehr spannend. Ich fragte mich immer wieder: Was ist denn das? Worüber reden die? Da ist diese Familie, und die spricht in ihrem ganz eigenen Terminus. Man spürt die ganze Zeit diese Geheimnistuerei, die Sorgen um die depressive Mutter. Die Krankheit, die in der Mitte dieser Familie wohnt und jedes seiner Mitglieder beherrscht beziehungsweise beeinflusst. Wie diese Menschen mit dieser Situation umgehen und was sie deswegen geworden sind, das fand ich einen sehr spannenden Ansatz.
Sie haben selbst zwei erwachsene Söhne, so wie die Figur Gitte, die Sie spielen. Hat Ihnen das beim Spielen der Rolle geholfen?
Harfouch: Zuerst muss ich sagen, dass mir das immer hilft. Zwei Söhne zu haben, hat mich so viel gelehrt, dass mich das bei jeder Rolle enorm weiterbringt.
Sie inszenierten 2010 in Stuttgart Marguerite Duras‘ „Der Schmerz“. Ähnlich wie in „Was bleibt“ drehte sich in dem Stück vieles um Vergangenheitsbewältigung, um die Konfrontation mit dem, das seinen Schatten ins Hier und Jetzt wirft. In diesem thematischen Bereich scheint sich in den letzten Jahren eine Konstante Ihres künstlerischen Schaffens gebildet zu haben…
Harfouch: Also es gibt da eine Konstante, die erklärt sich auch aus meinem Alter. Ich bin in einer Phase meines Lebens, wo ich Figuren darstelle, die wie ich selbst erwachsene Kinder haben. Und es scheint in den vergangenen Jahren tatsächlich eine Tendenz gegeben zu haben, dass ich in Filmen ausschließlich depressive, traurige Mütter spielte, deren Kinder flügge werden und die aus diesem und auch anderen Gründen zerbrechen. Aber ich persönlich sehe auch das Gegenteil: Ich sehe viele starke Frauen, die nach dem Ausziehen der Kinder ein eigenes, selbstdefiniertes Leben führen und sich verwirklichen. Ich habe meiner Agentur gesagt, dass ich das mit diesen Rollen sehr schön und spannend fand, aber dass ich das Thema mit Sicht auf zukünftige Projekte als abgehakt betrachten möchte.
Sie verkörperten im Lauf Ihrer Karriere auch viele lustige und heitere Rollen. Ihre Vielseitigkeit ist bewundernswert. Was oder wen kann Corinna Harfouch nicht verkörpern?
Harfouch: Ich kann wahnsinnig viel nicht. Ich habe am Anfang meiner schauspielerischen Tätigkeit zu DDR-Zeiten ein Mädchen gespielt, dass in Kriegszeiten bei seinen Schwiegereltern lebt und irgendwann erfährt, dass der frisch Angetraute gefallen ist. Und ich hatte mir vorgestellt: Dieses Mädchen ist ein fragiler, sensibler Schmetterling, ein luftiges Feenwesen, dass dann an diesem Schicksal zerbricht. Ich wollte unbedingt mit Leichtigkeit diese junge, naive und prinzessinnenhafte Frau spielen. Als ich mich dann sah, wusste ich sofort: Das mit dem Feenwesen, das haut nicht hin, das kann ich nicht. Es gibt wohl viele Rollen, die ich gerne ausfüllen und ausprobieren möchte, die mir aber nicht liegen. Dafür kann ich andere Sachen ganz gut. Irgendwann muss man erkennen und wissen, was zu einem passt und was nicht.
Sie sind in Suhl geboren. Das ist nicht allzu weit weg von der tschechischen Grenze. Welche persönlichen Assoziationen und Erinnerungen aus der Kinder- und Jugendzeit verbinden Sie mit der Tschechoslowakei?
Harfouch: Hier in Prag, oder irgendwo zwischen Dresden und Prag, traf man sich mit den West-Verwandten. Wenn man kein Visum bekam, konnte man sich in der ČSSR treffen. Ich erinnere mich auch an ganz viele Reisen und Wanderungen und unglaublich schöne Landschaften.
Welche Verbindungen bestehen heute im Erwachsenenalter zum böhmischen Nachbarn?
Harfouch: Durch den Film „Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern“, in dem ich die tschechische Nationaldichterin Božena Němcová spielte, habe ich unheimlich viel über das Land und seine Vergangenheit gelernt – über die Nationwerdung, über den Kampf des Volkes durch die Fremdbeherrschung hindurch, von der Zerstückelung des Landes bis hin zum Prozess der nationalen Wiedergeburt.
Was mich sonst noch besonders fasziniert an den Tschechen ist ihr Humor. Wie sie die Dinge angehen, das ist toll. Davon können manch Deutsche nur träumen. Insgesamt gibt es viele Assoziationen und ich fühle mich sehr verbunden mit dem Land. Ich denke dabei auch an Václav Havel, einen großen europäischen Helden. Ich wünschte, wir hätten jemals so einen Staatspräsidenten gehabt.
Eine weitere Erinnerung dürfte Karlsbad 1988 sein, dort gewannen Sie beim Filmfestival den Preis als beste Schauspielerin…
Harfouch: Stimmt, das habe ich fast vergessen. Den Preis bekam ich vom berühmten kirgisisch-russischen Schriftsteller Tschingis Aitmatov überreicht. Das war natürlich überwältigend, ich war sehr glücklich und stolz.
Bleiben wir in den 80er Jahren. Sie arbeiteten damals viel auf den Theaterbühnen Berlins – und dies mit Größen wie Heiner Müller und Frank Castorf. Inwiefern wurden Sie von dieser Zusammenarbeit privat wie auch beruflich geprägt?
Harfouch: Es ist die Denkart, die spezielle Herangehensweise an einen Stoff, die ich mit auf den Weg bekommen habe. Es war ein unglaubliches Glück, von solchen Künstlern zu lernen. Da erweitert sich der Begriff des Schauspielers schon ganz gewaltig. Das war eine großartige Möglichkeit, die Welt der Bühne zu erkunden. Ich lernte auch viel über politische Kunst. Aber es war natürlich nicht so, dass alles rosarot war, da steckte sehr viel harte Arbeit dahinter.
Existiert auch ein persönlicher Bezug zum tschechischen Film oder Theater? Gibt es bestimmte Persönlichkeiten aus dem Land, die sie in jungen Jahren geprägt haben?
Harfouch: Wir sind natürlich mit den tschechischen Märchen aufgewachsen, die kennen wir ja alle. Als ich in den Barrandov-Studios war, hat es mich fast umgehauen. Da hat mich so vieles an diese wunderbaren Märchen erinnert.
Sie arbeiten beim Film, Fernsehen, Synchronisieren, stehen auf der Theaterbühne und führen dort auch Regie. Welchem Genre werden sie sich in Zukunft stärker widmen – geht es wieder vermehrt zurück in die Schauspielhäuser?
Harfouch: Na ja, vielleicht täuscht der Eindruck ein wenig, weil man mich viel auf der Leinwand sieht. Aber mein zentraler Wirkungsort ist schon das Theater. Mein nächstes Regie-Projekt basiert auf einem Text einer libanesisch-amerikanischen Autorin – eine großartige Dichterin und Philosophin: Etel Adnan. Sie ist zur Zeit meine Heldin. Ihr Text „In einer Kriegszeit leben“ handelt von ihren Erfahrungen und Empfindungen in San Francisco während des Zweiten Irakkriegs. In einer ganz eigenen, tagebuchartigen Form thematisiert sie unterschiedlichste gesellschaftliche Probleme der Neuzeit, wie zum Beispiel die manipulative Rolle der Medien. Dies ist eines von mehreren Themen, mit denen wir uns bei dem Projekt auseinandersetzen. Der Text, der als Grundstoff dient, ist sehr komplex und nicht wirklich linear. Ich habe für die Umsetzung eine Mischform gewählt und arbeite mit jeweils vier Tänzern und Schauspielern zusammen. Auch zwei ältere Damen werden auf der Bühne stehen. Nächsten Juni wird das Stück im Berliner HAU Premiere feiern.
Das klingt nach einem Stück in postdramatischer Tradition…
Harfouch: Ich glaube nicht, dass ich die bevorzuge. Ich suche hier nach einer Form für einen Text, der mich eben sehr intensiv beschäftigt hat. Aber die Art der Umsetzung hat viel mit Heiner Müller zu tun. Das wird schon etwas ziemlich Körperliches.
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