Mit 100 Kräutern um die Welt
Karel Růžek verkauft in der Prager Neustadt exotische Pflanzensamen, Tee – und Träume
6. 1. 2016 - Text: Katharina WiegmannText: Katharina Wiegmann; Foto: APZ
Vojtěch steht mit einem Zettel am Verkaufstresen der „Čajovna Setkání“ und liest eine ungewöhnliche Einkaufsliste vor: Sanddorn, Virginia-Tabak, afrikanisches Traumkraut. Karel Růžek muss nicht lange überlegen. Zielsicher zieht er Schubladen aus einem Regal und holt kleine Plastikbeutel mit den gewünschten Pflanzensamen heraus. Růžek ist Tee-Spezialist, Experte für exotische Gewächse – und vor allem Reisender. Was er von seinen Expeditionen in fernen Ländern mitbringt, verkauft er über einen Online-Shop und in seiner Teestube, die seit drei Jahren in der Prager Neustadt beheimatet ist.
Heute hat Růžek eigentlich noch gar nicht geöffnet. Als er das Klopfen von draußen hört, zieht er für seine ersten Kunden an diesem Tag trotzdem den Rollladen hoch und bittet freundlich in sein etwas aus der Zeit gefallenes Reich. Im schummerigen Innenraum, der mit seinen Steinwänden und Holzstreben einen mittelalterlichen Charme versprüht, liegen geöffnete Koffer auf dem Boden, in denen sich dunkelbraune Papiertüten befinden. „Ich komme gerade aus China zurück. In der Fujian-Provinz habe ich eine Plantage besucht und von dort Tee mitgebracht“, erklärt Růžek die Unordnung.
Besonders gefallen habe ihm, dass dort keinerlei Pestizide verwendet würden. Mit Hilfe einer tschechischen Freundin, die Chinesisch spricht, habe er sich alle Prozesse auf der Plantage ansehen können und erklären lassen. Der Mann mit dem grauen Bart und dem jugendlichen Gesicht erzählt gerne. Die meisten seiner Waren importiert er direkt, ohne Zwischenhändler. Und nicht nur die entsprechende Schublade findet er auf Anhieb, auch die passenden Mythen und Legenden hat er sofort parat. Das afrikanische Traumkraut beispielsweise, das er gerade für den jungen Mann am Tresen hervorgekramt hat, soll für luzide Träume sorgen und bei Schamanen-Ritualen angewendet werden. Die Samen, die wie kleine Kastanien aussehen, werden an den Stränden tropischer und subtropischer Länder angespült – ihren Findern verheißen sie Glück. Ein gutes Geschenk, findet Vojtěch.
Ob Bambus, Bonsai-Zeder oder gewöhnliche Gartenkräuter: Růžek kennt sein Sortiment in- und auswendig. Die kleinen Plastiktüten sind allesamt mit detaillierten Informationen über Anbau und optimale Umweltbedingungen versehen. Ganz schön viel Arbeit, bei so einem breiten Angebot. „Das ist mein Hobby, meine Leidenschaft“, sagt Růžek und zuckt mit den Schultern. In Marokko und Kambodscha hat er auch eigene Gärten. Regelmäßig reist er in die beiden Länder, in seiner Abwesenheit kümmern sich Freunde um seine Pflanzen.
Die Teestube nahe dem Moldau-Ufer bietet aber nicht nur Platz für Růžeks Enthusiasmus, er stellt die verwinkelten Räumlichkeiten, die sich über mehrere Etagen erstrecken, auch anderen zur Verfügung. „Wir haben einen Projektor und Platz für Filmvorführungen und Präsentationen. Oft kommen Studenten, verschiedene Vereine, Wissenschaftler oder Leute, die von ihren Reisen erzählen und Fotos zeigen.“ Bei Růžek kann es durchaus passieren, dass man sich auf der Suche nach einem ruhigen Platz zum Teetrinken auf einmal in einer Versammlung von Panslawisten wiederfindet, die kroatische Volkslieder singen und anschließend lauthals über das Konzept einer gesamtslawischen Blindenschrift diskutieren. Jeden Monat ist zudem eine andere Ausstellung in der „Čajovna Setkání“ zu sehen, im Moment werden Naturfotografien gezeigt.
Ob das Konzept für ihn aufgeht? Auch wirtschaftliche Gründe waren es, die Růžek, der aus der mittelböhmischen Kleinstadt Poděbrady stammt, vor drei Jahren zum Umzug in die Hauptstadt bewogen. In seinem Heimatort hatte er zuvor schon seit 1996 einen Laden betrieben, in Prag erhoffte er sich ein größeres Interesse für sein Angebot. „Auch hier war es anfangs schwierig“, sagt er. „Viele Teestuben machen ein gutes Geschäft mit ihren Wasserpfeifen, ich will aber einen komplett sauberen, rauchfreien Treffpunkt anbieten“. Nichts soll die Geschmacksnerven von den Aromen der 450 Teesorten ablenken, die der Pflanzen-Spezialist in seinem Laden anbietet. Seit er einen Talisman, eine kleine geschnitzte Figur eines einem Tapir ähnelnden Tieres auf der Theke platziert habe, laufe die Teestube besser, lacht Růžek, bevor er im Hinterraum verschwindet und gerade eingetroffene Gäste zu ihren reservierten Sesseln geleitet. Er verkauft nicht nur Träume – er glaubt auch an sie.
Čajovna Setkání (Vojtěšská 2, Prag 1), geöffnet: täglich 16 bis 22 Uhr sowie nach Vereinbarung, Tel. 603 436 262, www.cajovnasetkani.cz, Online-Shop: www.kupsicaj.cz
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