Mit Dolch und Degen
Historischer Schwertkampf ist eine Lebensaufgabe für Josef Kutílek. Seine Gruppe „Alotrium“ tritt auf Mittelalterfesten in Tschechien, Frankreich und Deutschland auf
17. 9. 2014 - Text: Eva FamullaText: Eva Famulla; Foto: Alotrium
Es ist ruhig in Černošice. Die kleine Stadt 16 Kilometer südlich vom Prager Zentrum schläft bereits, es ist halb acht. Nur in der alten Turnhalle ist noch Leben. Das Fenster ist einen Spalt breit geöffnet. Lautes Klirren und Scheppern dringt nach außen, ab und zu Kampfgeschrei. Draußen fällt der Regen leise auf grün bewaldete Berge. Drinnen trainieren die historischen Schwertfechter aus Beroun. Ein Hund bellt.
In der Turnhalle tobt ein scheinbar wildes Durcheinander. Äxte, Schwerter und Degen fliegen durch die Luft. Es schallt von den Wänden. Mitten drin steht Josef Kutílek. Er ist 51 und im wirklichen Leben Unternehmer. Seine Freunde nennen ihn Pepa. Ein Jahr nach Fall des Eisernen Vorhangs gründete er die Gruppe „Alotrium“, um sich mit Gleichgesinnten dem historischen Schwertkampf zu widmen.
Pepa führt seinen Besuch durch die Klub-Räume. Sein Bart ist grau, im Gegensatz zum brünetten Schopf, der ihm bis über die Schultern fällt. Stolz zeigt er Fahnen, Kostüme und Waffen, die seine Gruppe über die Jahre gesammelt hat. „Degen gehören in die Zeit des Leichtbarocks, Äxte, Schwerter und Morgensterne dagegen ins Mittelalter.“ Schwertfechten ist ein zeitintensives Hobby; zweimal die Woche ist Training, dazu kommen die Vorführungen am Wochenende und die Zeit, die man in das Nähen und Bemalen der Kostüme steckt. Diese beruhen auf historischen Vorlagen, die aufwendig recherchiert werden. Gerade sieht es ein wenig chaotisch aus in den Klub-Räumen, es wird gepackt, weil am Wochenende eine Aufführung ansteht. Im Durchschnitt hat Pepas Gruppe 80 Vorstellungen im Jahr. Nicht nur in Tschechien treten sie auf, auch nach Deutschland und Frankreich reist die Truppe hin und wieder.
Zurzeit besteht „Alotrium“ aus 15 Mitgliedern. „17 mit unseren beiden Hunden Rex und Igrayne“, erklärt Pepa schmunzelnd. Die Mehrheit stellt die jüngere Generation bis Mitte 30. Der weibliche Anteil ist überraschend hoch; fast die Hälfte der Gruppe sind Frauen. Nach neuen Mitgliedern muss Pepa nie suchen, die finden sich von alleine. Die meisten erfahren über Bekannte von der Gruppe. „Alotrium“ ist ein bisschen wie eine Familie, das macht vor allem Igrayne deutlich, als sie alle aus der Gruppe freudig begrüßt, dem Besuch gegenüber aber sehr verhalten bleibt.
Pepa ist etwas nervös, bis zum Wochenende gibt es noch einiges zu erledigen. Das „Dobřichovická Alotria“, auf das sich die Gruppe vorbereitet, ist für Pepa nicht nur irgendein Mittelalterfest – es ist sein eigenes. Bereits zum elften Mal organisiert „Alotrium“ das Festival des historischen Schwertkampfes, Tanzes und Theaters auf Schloss Dobřichovice.
Mehr als Sport und Theater
Karolína beugt sich über den Koffer, um die Kostüme zurechtzulegen. Die 29-Jährige begann vor sieben oder acht Jahren mit dem Schwertkampf, so genau kann sie sich nicht mehr erinnern. „Eigentlich bin ich über Freunde hier reingekommen“, lacht sie. Ihre blauen Augen strahlen im Licht der Glühlampe. „Aber die sind schon längst nicht mehr dabei.“ Die Fluktuation ist groß. „Es kommt eine Generation nach der anderen. Nur ich bleibe“, erklärt Pepa etwas wehmütig. Die Idee zum Schwertfechten kam ihm vor mehr als 30 Jahren, als er den Film „Die schwarze Tulpe“ mit Alain Delon in der Hauptrolle im Kino sah. Die Kampfszenen faszinierten Pepa so sehr, dass er ein paar Jahre später beschloss, diesen Kampfstil selbst zu erlernen. „Damals gab es in der Tschechoslowakei gerade einmal 60 Schwertfechter-Gruppen“, erinnert sich Pepa. Heute seien es an die 800, allein in Tschechien. Davon beherrschten 100 die historische Kunst auf einem höheren Level.
Schwertfechten ist nicht nur Sport, sondern vor allem Geschichte und Theater. Die Schau-Kämpfe sind genau einstudierte Bewegungsabläufe, eine Choreografie. Höchstes Gebot ist die Sicherheit der Anderen, damit niemand verletzt wird. Das Fechten erinnert an einen Tanz. Die rechte Hand hält das Schwert, gerade nach vorne gestreckt. Der Körper ist seitwärts gedreht, sodass wenig Angriffsfläche bleibt. Der linke Arm wird hinter dem Körper geführt, hoch erhoben, im rechten Winkel und möglichst elegant. Die Füße trippeln ein paar Schritte vor und wieder zurück.
Wenn es ein Stereotyp von einem Schwertkämpfer gäbe, dann wäre es ein Mann mit langen Haaren und einem Ohrring – genau wie Martin mit seinem dicken, langen Lockenschopf. Seine Augen strahlen, er hat Freude am Schauspielern. Mit Gebrüll und Morgenstern stürzt er sich auf seinen Gegner. Sein Schild ist so verbeult, dass man denkt, es zerfällt gleich in zwei Teile. Die Farbe ist abgeblättert, das Wappen nicht mehr zu erkennen. Neben ihm wirft Petr sein schulterlanges, rotes Haar immer wieder mit einer schwungvollen Kopfbewegung in den Nacken. Er kämpft mit Michal, der gerade zwei Schwerter zieht und mit wilder Grimasse die beiden Klingen aneinander reibt. Michals Haare sind kurz geschoren, im linken Ohr trägt er einen schwarzen Ring.
„Alotrium“ hat ein Repertoire von ungefähr sieben Stücken, vom Piratenkampf über die drei Musketiere bis zum Spanischen Tanz. Am Wochenende werden sie das klassische Ritterturnier der Königin aufführen. Pepa beobachtet kritisch, Gesichtsausdrücke und Armhaltungen werden korrigiert. Das ganze Stück wird durchgespielt, das Training gleicht einer Theaterprobe. Knapp 20 Minuten dauert das Programm. Jede Bewegung muss sitzen.
Nach dem Training sind die Schwertfechter müde, aber sie sehen glücklich aus. Im Umkleideraum erklärt die 21-jährige Babora, was sie an dem außergewöhnlichen Hobby so fasziniert: „Ich mag Geschichte – lebendige Geschichte.“ Die Studentin hat mit dem Schwertfechten die Liebe ihres Lebens gefunden. „Das ganze Leben ist ein Kampf“, fügt sie lachend hinzu. Da passt die Leidenschaft zur Lebensphilosophie.
Für die Zuschauer
Im Gang hängen Urkunden und Trophäen von vergangen Festspielen. Besonders auf die Krone aus Budyně nad Ohří ist Pepa stolz. „2008 haben wir im größten nationalen Schauwettkampf den Hauptpreis gewonnen, das ist schon eine Auszeichnung“, lacht er. Neben den Urkunden hängt das Bild einer jungen Frau. Auch sie lacht. Das Schwert in der Hand hat sie zu ihrer Linken erhoben. Pepa betrachtet das Foto mit Stolz in den Augen. „Meine Tochter“, erklärt er. „Sie ist Stuntfrau. Mit uns fechtet sie schon lange nicht mehr.“ Auch seine Frau tritt manchmal mit auf. Das Schwertfechten ist sozusagen ein Familien-Hobby.
Nach dem Training setzen sich alle auf ein Bier zusammen. Pepa klärt die letzten Formalien für Samstag. Die letzten Eintrittskarten werden gestempelt. Es ist zehn Uhr. Das ersten Kämpfer verabschieden sich, sie wollen zurück nach Prag. Ein paar Plakate bekommen sie noch in die Hand gedrückt, die sollen sie auf dem Weg verteilen. Der zweite Teil der Gruppe bleibt zum Plakatieren vor Ort. Bis halb eins werden sie noch unterwegs sein, bis der letzte Handzettel ausgelegt ist.
Ihren nächsten Auftritt nach dem „Dobřichovická Alotria“ werden die Schwertfechter aus Beroun am ersten Oktoberwochende in Kladno haben, gut 20 Kilometer nordwestlich von Prag. Im November sind sie in der Hauptstadt zu sehen, im Dezember reisen sie wieder nach Frankreich. Dort hat die Truppe eine Partnerschaft mit der elsässischen Stadt Molsheim. In Deutschland hegen sie eine ähnliche Verbindung zum fränkischen Gerbrunn bei Würzburg. Die Frage, was der größte Anreiz beim Schwertfechten sei, bringt Pepa einen Augenblick ins Grübeln. „Die Zuschauer“, sagt er dann entschlossen. „Wenn es den Leuten gefällt, dann macht es auch mir Spaß. Die Unterhaltung des Publikums ist das Wichtigste.“
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