Mit leerem Magen gegen Kommunisten
Während die Tschechen der Okkupation vor 45 Jahren gedenken, tritt die Parlamentsvorsitzende in den Hungerstreik – auch aus Protest gegen den wachsenden Einfluss der KSČM
28. 8. 2013 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: Václav Zouzalík
Marie Charousková wollte an diesem Morgen ihre Diplomarbeit einreichen. Die Panzer der sozialistischen Bruderstaaten waren fünf Tage zuvor in die tschechische Hauptstadt gerollt, um dem Experiment „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ ein blutiges Ende zu setzen. Zum Zeichen ihrer Ablehnung der Okkupation hatte sich Charousková die Nationalfarben der Tschechoslowakei und ein Trauerflor an ihr Kleid geheftet. Um acht Uhr stieg Charousková am Montag, den 26. August 1968 am Klárov-Platz auf der Prager Kleinseite aus der Straßenbahn. Ein Soldat forderte die junge Frau auf, die Trikolore abzunehmen. Als Charousková ablehnte, antwortete der Soldat mit einem Schuss aus seinem Maschinengewehr. Kurz darauf erlag die Studentin im Krankenhaus ihren Verletzungen. Charousková war Studentin der Technischen Universität, 26 Jahre alt und Mutter eines zweijährigen Sohnes.
45 Jahre später: Miroslava Němcová, Vorsitzende des Abgeordnetenhauses und mögliche ODS-Spitzenkandidatin für die Neuwahlen im Oktober, legt an der Stelle des tödlichen Schusses einen Kranz nieder. Nach einem kurzen Moment des Schweigens tritt Němcová vor die Journalisten. Bei der Niederschlagung des Prager Frühlings sei sie 16 Jahre alt gewesen. Die Ereignisse von 1968 hätten ihre Weltsicht ein Leben lang geprägt.
Němcová tritt an diesem Tag in den Hungerstreik. Sie ist Nummer 231 in einer Kette von Protestierenden, die im Rahmen der Initiative „Bez komunistů”, also „Ohne Kommunisten“, jeweils für einen Tag hungern. Laut Petr Marek, Sprecher und Organisator der Initiative, verfolgt die Aktion zwei Ziele: „Sie verweist darauf, dass der Kommunismus eine absolut irregeleitete Ideologie ist, und dass die Vertreter dieser Partei nicht im öffentlichen Leben vertreten sein sollten, so wie das derzeit der Fall ist.“
Ihren Anfang nahm die Hungerstreikkette im vergangenen Dezember, als in Südböhmen Studenten gegen die Koalition zwischen den Kommunisten (KSČM) und Sozialdemokraten (ČSSD) demonstrierten. Genauso wie im gesamten Land gingen auch in Südböhmen die Kommunisten als zweitstärkste politische Kraft aus den Regionalwahlen hervor. Eine breite gesellschaftliche Allianz stand hinter dem Studentenprotest, der sich vor allem gegen die Ernennung der Kommunistin Vítězslava Baborová zur Kreisrätin für Schulwesen richtete. Die Grundschullehrerin trat zwar im Februar von ihrem Posten zurück, ihre Nachfolge trat jedoch Tomeš Vytiska an, einer ihrer Parteikollegen.
Zwischen Hass und Hoffnung
Am Mittwoch vergangener Woche rief Petr Marek den andauernden Hungerstreik gegen die Kommunisten wieder ins öffentliche Rampenlicht: effektvoll inszeniert, unterhalb des Nationalmuseums, an dessen Fassade noch immer die Wunden der tragischen Ereignisse von 1968 klaffen. Den Protest unterstützen zahlreiche Persönlichkeiten. Am 45. Jahrestag der sowjetischen Besatzung der Tschechoslowakei traten die beiden Söhne des bekannten Regisseurs Miloš Forman in den Hungerstreik, dann die Sängerin Marta Kubišová, die Schauspielerin Iva Janžurová und am Montag dann Němcová. Für die Bürgerdemokratin sei es eine Ehre, Teil der Hungerstreikkette sein zu dürfen, erklärte sie am vergangenen Montag.
Dass die Vorsitzende des Parlaments, in dem derzeit 26 Mitglieder der Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens vertreten sind, gegen die Rückkehr dieser Partei ins öffentliche Leben streikt, zeigt, wie schwer den Tschechen 23 Jahre nach dem Ende des totalitären Regimes der Umgang mit dem offiziellen Nachfolger der damaligen Einheitspartei fällt.
Für die vorgezogenen Neuwahlen im Oktober sagen aktuelle Umfragen den Kommunisten zwischen 9 und 15 Prozent voraus. Nicht nur die Linkskoalitionen auf Landesebene lassen so eine Regierungsbeteiligung der Kommunisten immer realistischer erscheinen. Auch Präsident Miloš Zeman hat unlängst in einem Interview mit der kommunistschen Zeitung „Haló noviny” verkündet, eine Zusammenarbeit von KSČM und ČSSD sei einer Koalition der Sozialdemokraten mit Schwarzenbergs TOP 09 vorzuziehen.
Partei mit Vergangenheit
Vor allem für sozial schwache und ältere Wähler sind die Kommunisten derzeit eine ernsthafte Alternative beim Urnengang. Nostalgische Erinnerungen an „gute alte Zeiten“ mischen sich bei ihnen mit der Enttäuschung über die bisherigen Regierungskoalitionen, die durch zahlreiche Korruptionsaffären und die schlechte Wirtschaftslage in Ungnade gefallen sind.
Die Nostalgie weiß die KSČM für ihre politischen Zwecke zu nutzen: Seine Partei werde dafür sorgen, „dass die Tschechische Republik den Weg aus der Krise findet, in die 22 Jahre der Herrschaft neoliberaler Theorien geführt haben“, wetterte der Vorsitzende Vojtěch Filip auf der Versammlung des Zentralkomitees der KSČM im September 2012. Auch eine Distanzierung von der totalitären Vorgänger-Partei steht deshalb lange nicht mehr zur Debatte: „Die KSČM hat es abgelehnt, vorzutäuschen, eine Partei ohne Vergangenheit zu sein“, begründet Filip.
Es ist der fehlende Bruch mit der totalitären KSČ, die die Partei auch auf internationaler Ebene mehr als fragwürdig erscheinen lässt. In der Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken in Straßburg haben die tschechischen Kommunisten – im Gegensatz etwa zur deutschen „Die Linke“ – lediglich einen Beobachterstatus inne.
Dass die KSČM eine etwas eigene Vorstellung von Versammlungsfreiheit und Menschenrechten hat, zeigt ein Kommentar von Jiří Dolejš, Anführer des reformistisch-modernistischen Flügels der Partei. Am Sonntag war auf dem Roten Platz in Moskau eine friedliche Kundgebung aufgelöst worden, die an eine Demonstration vor 45 Jahren an diesem Ort erinnerte. Damals hatten Dissidenten der Sowjetunion gegen die Besetzung der Tschechoslowakei protestiert, auch damals wurde der Protest aufgelöst. Auf Anfrage des Internetportals „Parlamentní listy“ relativierte Dolejš die Festnahmen in Moskau mit früheren Entschuldigungen für die Okkupation von russischer Seite.
Streiken statt Schweigen
Politologen sind sich dennoch einig, dass auch eine erstarkte KSČM nicht an den demokratischen Grundfesten der Tschechischen Republik rütteln wird. Němcovás Hungerstreik gegen eine Rückkehr der Kommunisten bezeichnete der Parteienforscher Lubomír Kopeček im PZ-Interview (siehe unten) als Wahlkampfveranstaltung. Es sei Teil der politischen Strategie der ODS, Front gegen die KSČM zu machen. Ohne allzu großen Effekt, meint Kopeček.
Zdeněk Zbořil, ebenfalls Politologe, weist auf die Gefahr der Antikommunistischen Stimmungsmache hin. „Überall wird blind auf die Kommunisten geschimpft. Die Jungen lernen ja teils gar nicht mehr, was denn ein Kommunist ist, sie lernen nur, sie zu hassen.“
Wie Miroslava Němcová gegenüber der „Prager Zeitung“ erklärt, möchte sie mit ihrem Hungerstreik vor allem an die Verbrechen des totalitären Regimes erinnern. Dass sie als Vorsitzende des Abgeordnetenhauses gegenüber einer regulär ins Parlament gewählten Partei Neutralität wahren sollte, lehnt Němcová ab. Sie verweist auf den Protest der südböhmischen Studenten gegen „die Rückkehr früherer kommunistischer Funktionäre in öffentliche Ämter“ und fügt hinzu: „Ich behaupte, dass man der stillen Rückkehr dieser Personen in bedeutende Positionen in unserem Land nicht stillschweigend zusehen darf.“
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“