Mit Mut und Meinung
Sprecher der Charta 77 und ehemaliger Rektor der Karls-Universität Radim Palouš gestorben
16. 9. 2015 - Text: Franziska NeudertText: fn/čtk; Foto: KUP
Radim Palouš gehörte zu den Menschen, die Zeit ihres Lebens für ihre Überzeugungen kämpften – auch wenn ihnen politische Verfolgung drohte. Der Philosoph, Pädagoge und promovierte Comenius-Forscher wurde wiederholt öffentlich geächtet: zunächst in den fünfziger Jahren, als er die stalinistischen Säuberungen kritisierte, später nach der Niederschlagung des Prager Frühlings. Palouš gehörte zu den ersten Unterzeichnern der Charta 77. Nach dem politischen Umbruch im Jahr 1989 wurde er zum ersten frei gewählten Rektor der Karls-Universität. In der vergangenen Woche ist der ehemalige Dissident im Alter von 90 Jahren gestorben.
Premier Bohuslav Sobotka würdigte ihn in einem Kondolenzschreiben an die Hinterbliebenen: „Die Tschechische Republik hat eine weitere bedeutende Persönlichkeit ihrer neuzeitlichen Geschichte verloren.“ Palouš habe die einzigartige Bereitschaft besessen, trotz Verfolgung für seinen Glauben einzutreten, so Sobotka. Der Mitunterzeichner der Charta 77 und ehemalige Verteidigungs- und Außenminister Alexandr Vondra ehrte Palouš ebenfalls: „Ihm gebührt mein Respekt dafür, dass er in Zeiten schlimmster Repressionen die Rolle des Sprechers der Charta 77 übernahm.“
Radim Palouš wurde am 6. November 1924 geboren und wuchs in einer Journalistenfamilie auf. Während des Zweiten Weltkriegs musste er Zwangsarbeit leisten; im Mai 1945 beteiligte er sich am antifaschistischen Aufstand. Nach Kriegsende studierte er Philosophie an der Prager Karls-Universität. Zu seinen Mentoren gehörte Jan Patočka, bei dem Palouš 1948 über das Werk Johann Amos Comenius’ promovierte. Zudem schloss er ein Studium der Chemie ab. Nachdem er als Lehrer unterrichtet hatte, erhielt Palouš in den Fünfzigern Berufsverbot. Fortan verdiente er als Heizer und Drechsler seinen Lebensunterhalt. In diesen Jahren veranstaltete er dennoch Seminare in seiner Wohnung. Unter dem Schlagwort „Kampademie“ – benannt nach der Lage seines Hauses nahe der Halbinsel Kampa – trafen sich Akademiker und Dissidenten, darunter auch Václav Havel.
Später engagierte er sich für die Charta 77 und wurde zu einem engen vertrauten Havels. Mit anderen Dissidenten half er, das „Tschechische Helsinki-Komitee“ zu formieren, das sich für die Wahrung der Menschenrechte einsetzte. Nach der brutalen Niederschlagung der Studentenproteste im November 1989 rief er mit Havel und anderen Oppositionellen das Bürgerforum (Občanské fórum) ins Leben. Gemeinsam organisierten sie im Theater „Laterna magika“ Diskussionsrunden, die sich zum intellektuellen Mittelpunkt der Samtenen Revolution entwickelten.
Als erster Rektor der Karls-Universität nach dem Wendejahr wirkte Palouš maßgeblich an der Hochschulreform mit und verhalf der Universität wieder zu internationalem Ansehen. Palouš verfasste mehr als hundert wissenschaftliche Arbeiten zu Philosophie, Pädagogik und Didaktik, darunter „Totalismus und Holismus“ und „Über die Globalisierung“. Für sein Werk wurde er mehrfach ausgezeichnet, beispielsweise 1990 mit dem Preis der Tschechischen Akademie der Wissenschaften und im Jahr 1997 mit dem Tomáš-Garrigue-Masaryk-Orden für seinen herausragenden Beitrag für die Wahrung von Demokratie und Menschenrechten.
„Markus von Liberec“
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