Mit Stacheldraht und Militär gegen Flüchtlinge
Ein Jahr Migrationskrise: Die Balkanroute ist nur offiziell geschlossen. Illegal kommen weiterhin Tausende
14. 9. 2016 - Text: n-ost, Foto: Michael Gubi/CC BY-NC 2.0Autor: Keno Verseck (n-ost)
Am Straßenrand hat Ahmad ein Feuer gemacht. Auf der Glut köcheln in einem Topf Reis, Tomaten und Möhren. „Eine irakische Spezialität“, sagt er, seine Frau Sara lacht. Schwere Lastwagen rollen auf der Straße vorbei. Keine 50 Meter weiter lehnen zwei ungarische Grenzpolizistinnen mit Sonnenbrillen und Maschinengewehren lässig an einem geöffneten Eisentor. „Alles ruhig“, sagen sie Kaugummi kauend.
Kelebija an der serbisch-ungarischen Grenze: Seit zwei Monaten kampieren Ahmad und seine Frau in einem Unterschlupf aus Stöcken, Decken und Plastikplanen am Grenzzaun zu Serbien. Sie warten darauf, in die Transitzone gelassen zu werden, wo sie Asyl beantragen können. Es wird wohl noch lange dauern: Hineingelassen werden pro Tag nur 15 Flüchtlinge, bevorzugt Familien mit Kindern, Alte und Kranke. Diese Kriterien treffen auf das Paar aus dem Irak nicht zu. So wie Ahmad und Sara hausen in Kelebija am Grenzzaun rund 300 syrische und irakische Flüchtlinge, ähnlich wie vor einer baugleichen Transitzone 40 Kilometer weiter östlich.
Die beiden Elendslager an der serbisch-ungarischen Grenze symbolisieren die ganze Härte und Unerbittlichkeit von Ungarns Flüchtlingspolitik. Im vergangenen Jahr ließ Ministerpräsident Viktor Orbán die Grenzen zu Serbien und Kroatien mit Stacheldraht abriegeln, 10.000 Polizisten und Soldaten bewachen sie seither, demnächst sollen noch einmal 3.000 Grenzjäger und neue Zaunanlagen dazukommen.
Seit Juli gilt die „tiefe Grenzkontrolle“: Alle Flüchtlinge, die auf ungarischem Territorium in einem acht Kilometer breiten Grenzstreifen aufgegriffen werden, schickt die Polizei zurück hinter den Zaun. Illegal sei das, sagen das UNHCR und Human Rights Watch, zudem komme es zu Misshandlungen. Ungarn dementiert. „Wir halten uns an alle Gesetze und internationalen Bestimmungen“, sagt Regierungssprecher Zoltán Kovács. „Alle Kritik an Ungarns Flüchtlingspolitik bedeutet nur eines: Wir sind sehr effektiv in der Migrantenabwehr.“ Unter allen Staaten der Region, die auf Flüchtlingsrouten liegen, geht Ungarn zwar am drastischsten gegen Migranten vor. Aber es ist längst nicht mehr allein. Die Balkanroute, auf der Flüchtlinge letztes Jahr nach Westeuropa durchgewunken wurden, ist nur offiziell geschlossen. Illegal kommen weiterhin Tausende: via Griechenland über Mazedonien oder Albanien-Montenegro-Kosovo oder über die Türkei und Bulgarien nach Serbien, von dort über Ungarn oder Kroatien Richtung Westen.
Auch Polen, Tschechien und die Slowakei beteiligen sich mit Soldatenkontingenten und Ausrüstungen am Grenzschutz auf dem Westbalkan. Slowenien hat einen Grenzzaun zu Kroatien gebaut, Kroatien wiederum hat die Grenze zu Serbien mit Polizei und Militäreinheiten abgeriegelt. Mazedonien und Bulgarien haben Zäune zu Griechenland und der Türkei errichtet und wollen diese ausbauen. Albanien hat seinen Grenzschutz zu Griechenland ebenfalls verstärkt. Mittendrin liegt Serbien, das bisher noch eine Art Insel für Flüchtlinge bildet. Mehrere Tausend warten derzeit auf einen günstigen Zeitpunkt zum illegalen Übertritt nach Ungarn oder Kroatien. Mit der Toleranz wird wohl auch in Serbien bald Schluss sein. Bereits im Juli wurde serbisches Militär an die bulgarische Grenze beordert.
Zugleich geben beträchtliche Teile der öffentlichen Meinung in mittel- und südosteuropäischen Staaten anlässlich des Jahrestages der deutschen Grenzöffnung für Flüchtlinge zunehmend Deutschland und Bundeskanzlerin Merkel die Schuld für die Flüchtlingskrise in ihren Ländern. So etwa ritt die ungarische Historikerin Maria Schmidt, eine Vertraute Viktor Orbáns, in einem Blogeintrag unlängst einen scharfen Angriff gegen Merkel. „Sie vertritt ein Deutschland“, schrieb Schmidt, „das sich wegen seiner Vergangenheit schämt und dessen globalisierte Weltbürger es kaum erwarten können, dass jemand, sagen wir die Muslime, es unterjocht, damit es endlich von seiner Nazi-Vergangenheit und seinem ewigen Täterstatus loskommt.“
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