Mit Volldampf voraus
František Dittrich wurde vom Waisenkind zum Oberbürgermeister und begründete die Prager Dampfschifffahrt
15. 9. 2016 - Text: Friedrich Goedeking
Waisenkind František Dittrich ein reicher Unternehmer und einflussreicher Politiker wurde, klingt wie ein Märchen. Es ist wohl kein Zufall, dass seinen Namen heute eine Straße nahe der Moldau in der Prager Neustadt trägt.
Geboren wurde Dittrich 1801 in Prag-Podskalí und verdiente seinen Lebensunterhalt zunächst als Flößer ohne Schulabschluss. Einige seiner Arbeitskollegen kamen ums Leben, als sie die in Südböhmen gefällten Bäume durch die Stromschnellen der Moldau zur Zollstation Podskalí navigierten. Da seine Arbeit gut bezahlt wurde, konnte der sparsame Dittrich bereits mit 25 Jahren einen eigenen Holzhandel und zwei Jahre später ein Gasthaus eröffnen. Als begabter Unternehmer gehörte er bald zu den führenden Kreisen der tschechischen Nationalbewegung. Er war maßgeblich an der Gründung des Nationaltheaters beteiligt, dessen Bau er mit großzügigen Spenden förderte. Zudem unterstützte er die von František Palacký ins Leben gerufenen Gesellschaft „Matice česká“, die sich für die Förderung der tschechischen Sprache und Literatur einsetzte.
Im Revolutionsjahr 1848 gehörte Dittrich zur Delegation, die in Wien dem neu gekrönten Kaiser Franz Joseph die Forderungen der Tschechen nach einem eigenen böhmischen Landtag vortrug. Als Mitglied des Stadtrates setzte er sich zudem für die Umbenennung von Straßen ein. Viele deutsche Namen, die an die Habsburger erinnerten, wurden durch Namen tschechischer Persönlichkeiten ersetzt.
Im Jahr 1863 wurde Dittrich stellvertretender Bürgermeister von Prag und von 1870 bis 1873 stand er selbt an der Spitze der Stadtregierung. Er genoss großes Ansehen. Schon vor seiner Wahl zum Oberbürgermeister hatte er sich bei zwei Hochwasserkatastrophen einen Namen gemacht. Er war ein guter Schwimmer und rettete 80 Personen vor dem Ertrinken.
Als Stadtoberhaupt wurde Dittrich zum Anwalt der sozial Benachteiligten. Er setzte sich unter anderem für die Gründung von Armenhäusern ein und sorgte für deren dauerhafte Finanzierung. Sein Motto lautete „Ohne Prunk für das Wohlergehen des Landes“.
Dittrichs bedeutendste Initiative war die Gründung der Prager Dampfschifffahrtsgesellschaft im Jahr 1861. Unterstützt wurde er von tschechischen Unternehmern und patriotischen Aktivisten, die sich als „Freunde des Fortschritts“ bezeichneten. Bis dahin verkehrten Dampfer nur auf der Elbe zwischen Ústí nad Labem (Aussig) und Dresden. 1865 fuhr der erste Dampfer auf der Moldau. Er trug den Namen „Praha“ auf der linken und „Prag“ auf der rechten Seite. Das Schiff war zwischen Prag und dem 26 Kilometer südlich gelegenen Štěchovice unterwegs. Es konnte bis zu 600 Personen befördern. Flussaufwärts benötigte es für die Strecke drei, flussabwärts zwei Stunden. Nach dem Bau weiterer Dampfer entstand auf der Moldau ein regelmäßiger Linienverkehr, der Fahrten Prag nach Mělník und auf der Elbe bis Nymburk einschloss. Als Verkehrsmittel waren die Dampfer gefragt, da sie zunächst deutlich billiger waren als die Eisenbahn. Viele Passagiere nutzten die Moldauschifffahrt, die heute eine Touristenattraktion ist, damals etwa, um ihre Waren zu den Märkten nach Prag zu transportieren.
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