Mit Vorsicht zu gießen
Im Botanischen Garten in Troja wachsen 15.000 Pflanzenarten aus aller Welt. Für die richtigen klimatischen Bedingungen sorgen ein Computersystem und Naturwissenschaftler
29. 4. 2015 - Text: Corinna AntonText und Foto: Corinna Anton
Das Geheimnis, wie sich die Gärtner gegenseitig erkennen, verrate ich euch nicht, sei es nun am Geruch, an irgendeinem Losungswort oder einem geheimen Zeichen. Aber Tatsache bleibt, dass sie einander bei einer Begegnung gleich zu erkennen pflegen, ob es nun in den Gängen des Theaters, beim Tee oder im Wartezimmer eines Arztes ist. Mit dem ersten Satze, den sie sprechen, tauschen sie ihre Ansichten über das Wetter aus (‚nein, mein Herr, an so einen Frühling kann ich mich überhaupt nicht erinnern‘), worauf sie zur Frage der Feuchtigkeit übergehen, zu den Georginen, den Kunstdüngemitteln, einer holländischen Lilie (‚verflixt noch einmal wie heißt sie denn nur, na, das ist ja alles eins, ich gebe Ihnen eine Zwiebel davon‘), zu den Erdbeeren, den amerikanischen Preislisten, den Schäden, die der heurige Winter verursacht hat, zur Schildblattlaus, zu den Astern und anderen ähnlichen Themen. Es scheint nur so, dass man zwei Männer im Smoking im Wandelgange eines Theaters vor sich habe; in einer tieferen und echteren Wirklichkeit sind es zwei Gärtner mit Spaten oder Gießkanne in der Hand.“
Wer sich dem Gewächshaus „Fata Morgana“ des Botanischen Gartens im Prager Stadtteil Troja nähert, kann am Wegesrand diese Zeilen aus Karel Čapeks „Das Jahr des Gärtners“ lesen. Betritt man kurz darauf das Treibhaus mit seinem tropischen Klima, den bunten Pflanzen und Schmetterlingen, sind die Worte Čapeks schnell vergessen. Denn die meisten Gärtner und Botaniker, die sich um all die Orchideen und Lianen, Kakteen und Mimosen kümmern, arbeiten hinter den Kulissen und in den Morgenstunden, wenn die Tore für Besucher noch verschlossen sind.
Für Vladimíra Pávová und Petr Dienstbier beginnt die Schicht früh um sieben Uhr. Das sei die schönste Zeit des Tages, sind sich die beiden einig. Sie sind zwei von etwa 50 Gärtnern, die der städtische Betrieb in der Hochsaison beschäftigt. Hinzu kommen Botaniker, Pädagogen, Kuratoren und Aushilfskräfte – in der Sommersaison arbeiten rund 160 Menschen auf der Anlage in Troja. Pávová und Dienstbier sind für das Waldbiotop mit seiner Sammlung exotischer Gehölze zuständig. In den vergangenen vier Jahren haben sie und ihre Kollegen dort etwa 1.000 neue Bäume und Sträucher gepflanzt. „Den habe ich besonders gerne“, sagt Pávová und deutet auf einen Calycanthus floridus, einen Echten Gewürzstrauch. „Das war der erste, den ich hier eingesetzt habe.“ Sie spreche zwar nicht mit ihm, so die 40-Jährige, aber sie kontrolliere regelmäßig, ob er wächst und gedeiht. Mit ihren rot lackierten Fingernägeln streicht sie über die Zweige des Calycanthus. Wenn sie Unkraut jätet, streift sie sich Handschuhe über.
Ihr Kollege kontrolliert derweil einen Hydranten im Waldbiotop. Manche Gewächse würden nachts automatisch gegossen, erklärt Dienstbier. Frisch gepflanzte Bäume und Sträucher oder besonders empfindliche Exemplare müssen allerdings von Hand bewässert werden. Dazu schließen die Gärtner einen 50 Meter langen Schlauch an den Hydranten an. „Das Gießen erledigen wir bis zur ersten Pause um neun Uhr, bevor die Besucher kommen“, so der 33-Jährige. Wie Pávová trägt er fest geschnürte Wanderschuhe. Die Wege, die sie täglich zurücklegen, sind weit: Über fast 30 Hektar – etwas mehr als 40 Fußballfelder – erstreckt sich der öffentliche Teil des Gartens, der jährlich von rund 300.000 Gästen besichtigt wird.
Für die Besucher nicht zugänglich sind dagegen die Zuchtanlagen, insgesamt etwa 2.000 Quadratmeter Gewächshausfläche. Für die 13 Abteilungen, in denen Pflanzen aus aller Welt gepflegt werden, ist Bohumil Černý verantwortlich. Das, was in der Fata Morgana zu sehen sei, stelle nur eine kleine Kostprobe dessen dar, was er und seine Kollegen im Hintergrund züchten, erklärt der 24-jährige Biologe, während er durch seine Abteilungen führt: Kakteen verlangen ein anderes Klima als Kakaopflanzen, am schwierigsten – und auch am kostenintensivsten – seien fleischfressende Pflanzen: Sie vertragen keine Temperaturschwankungen, brauchen tagsüber 24 und nachts 16 Grad, im Sommer wie im Winter. Die vielen Blumen und Sträucher, die hier wachsen, dienen einerseits als Nachschub für die Ausstellungen des Botanischen Gartens, andererseits aber auch als „Pflanzenbank“, damit seltene Sorten erhalten bleiben und Samen getauscht werden können.
In den Gewächshäusern, die allesamt mit Erdgas beheizt werden, trifft hoch technisierte Automatik auf mühevolle Handarbeit: Eine eigene Wetterstation misst ständig Sonneneinstrahlung, Windgeschwindigkeit, Außentemperatur und Niederschlag. Die Daten werden in ein Computersystem eingespeist, ebenso die Luftfeuchtigkeit und die Temperatur, welche die Fühler in den Räumen messen. „Das System entscheidet auf Grundlage dieser Informationen, ob die Räume verdunkelt werden oder das Licht angeht, ob die Ventilatoren einsetzen oder sich die Fenster schließen“, erklärt Černý. Es weiß auch, welche Gewächse genau zwölf Stunden Sonne am Tag brauchen: Über diesen Pflanzen geht automatisch jeden morgen um sechs Uhr das Licht an, abends um 18 Uhr wird im Sommer verdunkelt.
Trotzdem vergeht kein Tag, an dem nicht Gärtner und Botaniker nach ihren Schützlingen schauen und die empfindlichen von Hand gießen. Anders als die Bäume und Sträucher im Außenbereich bekommen die Gewächse in den Zuchtanlagen kein Leitungs- sondern Regenwasser, das für sie gesammelt und gefiltert wird. Wer welche Menge verträgt, müssen die Pflanzenkundler oft selbst herausfinden und einen Gießplan erstellen. Denn eine Gebrauchsanweisung wird bei neuen Arten nicht mitgeliefert. „Entweder wir tauschen Samen, meist mit anderen botanischen Gärten, oder jemand geht auf Reise, zum Beispiel nach China oder Vietnam, und bringt von dort eine neue Pflanze mit“, beschreibt Černý, wie das Sortiment erweitert wird. Wenn eine Blume besonders schön blühe, sagt er mit Blick auf eine weiße Orchidee, dann dürfe sie für eine Weile in die Fata Morgana umziehen. „Damit alle etwas von ihr haben.“
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