Mit Witz gegen das System
Vor 80 Jahren erschien erstmals die Prager Satirezeitschrift „Simplicus“
19. 2. 2014 - Text: Wolfgang WessigText: Wolfgang Wessig; Bild: Johannes Wüstem, Selbstporträt
„Auch der Spaß kann feststellen, was ist“, schrieb der Kritiker und Essayist Alfred Kerr im Vorwort einer Sammlung politischer Karikaturen, die 1935 im Prager Simplicus-Verlag erschienen. „Gewiss, das vertreibt Hyänengeschöpfe nicht aus ihrem befestigten Stall. Doch etwas nicht zu tun, bloß weil es vielleicht nicht nutzt, ist nichtsnutzig in gewissen Fällen.“
Davon wird der jüdische Rechtsanwalt Hans Nathan aus Görlitz überzeugt gewesen sein. Er befand sich im Frühjahr 1933 in Prag auf der Suche nach einem neuen Beruf; den bisherigen juristischen hatten ihm die Nazis genommen. Eher zufällig traf er mit emigrierten Berliner Zeitungsleuten zusammen. Einer von ihnen, Heinz Pol, hatte die Idee, den gleichgeschalteten Münchner „Simplicissimus“ durch einen „Gegen-Simplicissimus“ zu ersetzen. So etablierte Nathan mit einem Teil seines geretteten Vermögens einen eigenen Verlag und finanzierte die satirische Wochenschrift „Der Simplicus“, deren erste Ausgabe vor nunmehr achtzig Jahren Anfang 1934 erschien. Es war die einzige satirische Zeitschrift, die im Exil gegründet wurde.
Sichtbares Zeichen
Zum Chefredakteur wurde der ehemalige Ullstein-Journalist Heinz Pol ernannt. Da die tschechischen Gesetze einen Ausländer auf diesem Posten nicht zuließen, fungierte der Pressezeichner und Karikaturist František Bidlo als verantwortlicher Redakteur des Gemeinschaftsunternehmens deutscher und tschechischer Künstler. Als ein erstes sichtbares Zeichen einer gemeinsamen antifaschistischen Front zog es sogleich große Aufmerksamkeit auf sich. Die Zeitschrift erschien in einer deutschen und einer tschechischen Ausgabe. Die Zeichnungen stimmten im Wesentlichen überein, die Textbeiträge hingegen waren dem jeweiligen Leserkreis angepasst. Immer wieder und auf unterschiedliche Weise kreisten Zeichnungen und Karikaturen, Witze, Gedichte und Erzählungen um die Aktionen, Akteure und Opfer des Dritten Reiches. Reichstagsbrandprozess und Röhm-Erschießungen, Germanen-Kult und Konzentrationslager, Widerstandskämpfer und bedrängte Juden, devote Kleinbürger und heldenhafte Proletarier, Nazigrößen und opportunistische Künstler.
Neben hervorragenden tschechischen Zeichnern, wie Adolf Hoffmeister, Ondřej Sekora, Josef Čapek und Antonín Pelc, waren es vor allem die talentierten Emigranten Peter Nikl und Bert, die das Gesicht der Zeitschrift prägten. Der Görlitzer Kupferstecher und Maler Johannes Wüsten, der im Exil unter anderem das Pseudonym Peter Nikl benutzte, hatte schon während seiner letzten Wochen in Görlitz für Nathans „Simplicus“ gezeichnet. In dessen Prager Wohnung fand er ein erstes Exil-Quartier. Mit über 50 Arbeiten wurde er neben Bert zum dominierenden Zeichner des „Simplicus“, der bis September 1934 und von da an unter dem Titel „Der Simpl“ bis Juli 1935 erschien. Danach wurde die Auslieferung des Blattes in die deutschsprachigen Länder zunehmend schwerer. Der Absatz sank und auch die Druckkosten konnten schließlich nicht mehr aufgebracht werden.
Wüsten kamen zweifellos seine Erfahrungen als Stecher zugute. Die Prägnanz seiner Kupferstiche lebte verwandelt in den grotesken Überhöhungen seiner satirischen Zeichnungen und Bildfolgen im „Simplicus“ beziehungsweise im „Simpl“ weiter. Sie sind ebenso von leidenschaftlichem Engagement getragen, wie die weitaus mehr als hundert Zeichnungen gegen den Faschismus, die Bert im Prager Exil schuf, darunter auch Entwürfe für das sozialdemokratische Wochenblatt „Neuer Vorwärts“.
Grausames Ende
Hinter dem Pseudonym Bert verbarg sich der am 9. März 1900 im ungarischen Kalocsa geborene Josef Jusztusz, dessen Familie vermutlich noch vor dem Ersten Weltkrieg nach Berlin kam. Im Juli 1933 ging Jusztusz mit seiner Ehefrau, der Schauspielerin Philippine Levi, nach Prag, 1935 nach Paris. Beide wurden 1944 in Frankreich verhaftet und über das Sammellager Drancy im Mai 1944 nach Auschwitz deportiert.
Die beiden herausragenden Zeichner des „Simplicus“ – „Simpl“ wurden Opfer eines Systems, das sie leidenschaftlich bekämpft hatten. Johannes Wüsten, 1942 vom „Volksgerichtshof“ aufgrund der in Prag veröffentlichten Karikaturen zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, verstarb am 26. April 1943 im Zuchthaus Brandenburg-Görden. Josef Jusztusz – Nr. 186610 – starb in Auschwitz. Das Schicksal seiner Frau ist unbekannt.
„Markus von Liberec“
Geheimes oder Geheimnistuerei?