Models vom Müll

Models vom Müll

Uli Westphal fotografiert Obst und Gemüse, das niemand kaufen will

6. 10. 2016 - Text: Franziska NeudertInterview: Franziska Neudert; Fotos: Uli Westphal

 

 

Die Ausrangierten und Unschönen sind Uli Westphal kostbar. Vor etwa zehn Jahren entdeckte er beim Einkaufen eine fünfköpfige Aubergine. Seitdem faszinieren den 36-Jährigen krumme Gurken, gewundene Zitronen und Paprika mit Knollennasen. Die „Mutatoes“, wie Westphal das bizarre Obst und Gemüse nennt, hält er in großformatigen Fotografien fest. Später landen die Models in seinem Kochtopf. In Zusammenarbeit mit der tschechischen Initiative „Zachraň jídlo“ („Rette das Essen“) sind die Bilder derzeit in der Artwall Gallery am Moldauufer zu sehen. Die Ausstellung „Vynikající“ („Ausgezeichnet“) zeigt Lebensmittel, die aufgrund ihrer Form nicht im Supermarkt verkauft werden.

Inwiefern ist der Mensch in Ihren Bildern gegenwärtig?
Speziell bei den Arbeiten der Projekte „Mutatoes“ und „Cultivar Series“ spielt der Einfluss des Menschen auf die Natur eine große Rolle. Zum einen ist der Mensch verantwortlich für die riesige Formenvielfalt landwirtschaftlicher Nutzpflanzen, die er über Jahrhunderte, teils über Jahrtausende entwickelt hat. Eine Tomate zum Beispiel ist sowohl ein biologischer Organismus als auch ein kulturelles Artefakt. In dieser Hinsicht spiegelt sie Menschheitsgeschichte wider. Sie verrät etwas über die Eigenschaften und die kulinarischen Vorlieben der Kultur, in der sie entstanden ist. Der Mensch ist aber auch verantwortlich für die zunehmende Standardisierung der Nutzpflanzen und das Aussterben der Sorten.

Aubergine mit Nase

In gewisser Weise sind Ihre „Mutatoes“ auch inszeniert. Das macht sie wiederum unnatürlich. Ist das kein Widerspruch?
Die Formenvielfalt in meiner Sammlung ist völlig normal. Die Bilder sind keineswegs manipuliert, sie bedienen sich jedoch einer bestimmten Ästhetik. Ich benutze für die Mutato-Serie die gleiche Bildsprache wie in der Wissenschaft oder in der Produktfotografie, in der Objekte isoliert von ihrem Kontext vor einem rein weißen Hintergrund dargestellt werden.

Warum?
Zum einen handelt es sich um eine Sammlung, die über viele Jahre weiter wächst. Die minimalistische Darstellungsweise ermöglicht es mir, die Bildsprache konstant zu halten, sodass Fotos, die ich vor zehn Jahren gemacht habe, immer noch zu jenen passen, die ich noch machen werde. Inhaltlich wichtiger ist aber die Verbindung zur Produktfotografie. Ich verwende die Bildsprache der Werbeindustrie für Obst und Gemüse, das normalerweise von eben dieser Industrie ausgegrenzt wird. Damit hebe ich die Ausgestoßenen auf Augenhöhe mit den genormten Produkten, die wir im Supermarkt und in der Werbung finden. Aus diesem Widerspruch entsteht ein Spannungsverhältnis, das Fragen aufwirft: Was ist natürlich, was ist normal, was ist schön, was ist lecker? Wie beeinflusst die Werbung und Lebensmittelindustrie unsere Wahrnehmung?

Möhre mit Fingern

Können Sie mit Ihren Bildern die Wahrnehmung der Menschen verändern?
Die Bilder sind weltweit in Ausstellungen, Zeitschriften und Büchern und auf Hunderten von Webseiten erschienen. Sie haben sicher einen Einfluss auf viele, die sie sehen. Oft sind sie ein Auslöser, sich überhaupt mit Lebensmittelverschwendung und Diversität in der Landwirtschaft auseinanderzusetzen und darüber zu diskutieren. Inwiefern sich das Konsumverhalten von Menschen durch die Bilder beeinflussen lässt, kann man schwer sagen. Vor allem weil es von unterbewussten Prozessen gesteuert wird, die wir selbst gar nicht wahrnehmen.

Wie kam die Zusammenarbeit mit der Initiative „Zachraň jídlo“ zustande?
Ich habe die Leute von „Zachraň jídlo“ über einen Freund kennengelernt, der in Prag lebte. Wir befassen uns mit den gleichen Themen, sodass das Interesse an einem Austausch von Anfang an gegeben war. Neben der Ausstellung haben wir auch an einer Publikation gearbeitet. Sie beschreibt die vielen Aspekte, die zum Verschwinden der Formen- und Sortenvielfalt in der Landwirtschaft geführt haben.

Paprika mit kleinen Köpfen

Uli Westphal: Vynikající. Artwall Gallery (nábř. Kapitána Jaroše 7, Prag 7), bis 2. Dezember, www.artwallgallery.cz