Mutig und schonungslos

Mutig und schonungslos

Das „Filmfest“ bringt Höhepunkte des deutschsprachigen Kinos auf tschechische Leinwände

8. 10. 2014 - Text: Peter HuchText: Peter Huch; Foto: Filmfest

 

Enthüllungen haben viele Gesichter. Mal zeigen sie sich sensationslüstern, mal schmerzhaft, zuweilen auch amüsant und geistreich. So oder so: Der Wahrheit ans Licht zu verhelfen, die eigene Scham zu überwinden und sich anderen gegenüber zu offenbaren, erfordert Mut. Das am 15. Oktober in Prag beginnende Festival deutschsprachiger Filme beschäftigt sich in seiner neunten Ausgabe besonders mit dem vielschichtigen Begriff der Enthüllung. „Das Filmfest“ ergründet bis 19. Oktober, welche neuen Einblicke das aktuelle deutsche Kino zu geben vermag. Denn gerade das Medium Film scheint dafür geeignet, Vermittler neuartiger Sichtweisen, menschlicher Konflikte oder eben überraschender Enthüllungen zu sein.

In insgesamt vier Kategorien – „Das Filmfest Spezial“, „Die Doku“, „Retrospektive: Haneke“ sowie „Enthüllung“ – flimmern in den Prager Programmkinos Atlas und Lucerna insgesamt 42 Produktionen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz über die Leinwände. Vom 20. bis 23. Oktober ist das Festival dann in Brünn zu Gast.

Wer gehofft hat, in diesem Jahr auch in den Genuss der einen oder anderen leichten Komödie zu kommen, wird eher enttäuscht. Den hohen Anspruch verdeutlicht nicht zuletzt die Wahl des Regisseurs für die Lebenswerk-Retrospektive. Wer schon einmal einen Streifen des Österreichers Michael Haneke sah, weiß um die bis ins Mark dringenden Erschütterungen, die den Betrachter seiner schockierenden Dramen erfassen. Dokumentarisch anmutende Tragödien wie „Benny’s Video“ oder „Der siebente Kontinent“ enthüllen menschliche Urtriebe und -ängste, mit denen der Filmemacher seine Zuschauer schonungslos konfrontiert.

Doch es sind nicht nur Hanekes international viel beachtete und mehrfach ausgezeichnete Filme, die den Zuschauer fordern und verstören. Der Austro-Iraner Houchang Allahyari setzt in „Der letzte Tanz“ ein gewagtes Zeichen gegen den Anti-Aging-Trend. Er inszeniert dabei die Geschichte des Zivildienstleistenden Karl, der sich in eine 87-jährige Alzheimer-Patientin verliebt. Und das obwohl zuhause eine gleichaltrige Partnerin auf ihn wartet. Die filmische Umsetzung des Stoffes ist beachtlich, die graue Welt der verständnislosen Justiz wird in Schwarz-Weiß-Bildern gezeigt. Es ist jene Welt, die der Liebe und Zuneigung Paragrafen entgegensetzt. Die Liebelei zwischen Karl und der dementen Julia hingegen wird so lebhaft bunt wie das Leben selbst gefilmt. Ein tabubrechendes und gelungenes Werk.

Düstere Zeiten
Eine der herausragenden Entdeckungen des diesjährigen Filmfests ist der Western „Das finstere Tal“, der in der „Spezial“-Sektion läuft. Regisseur Andreas Prochaska („Die unabsichtliche Entführung der Frau Elfriede Ott“, „Das Attentat – Sarajevo 1914“) überrascht den Zuschauer mit einem düsteren Thriller, angesiedelt in der verschneiten Abgeschiedenheit eines kleinen Alpendorfes des 19. Jahrhunderts. Ein Amerikaner bittet in der unwirtlichen Siedlung um ein Winterquartier. Den Unbekannten verbindet eine düstere Vergangenheit mit den furchteinflößenden Bewohnern. Prochaska beweist, welch bildgewaltiges Monumental-Kino im besten Hollywood-Stil auch jenseits der größten Filmindustrie der Welt möglich ist. Tobias Moretti als Sohn eines kalten Patriarchen bekämpft mit einer beeindruckenden Performance sein hartnäckiges Image als „Kommissar Rex“.

In derselben Kategorie stehen mit Jessica Hausners „Amour Fou“ und „Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht“ von Regie-Legende Edgar Reitz zwei weitere Historien-Epen auf dem Programm. Der 81-jährige Reitz beschäftigt sich wieder mit seiner fiktiven, filmischen Heimat Schabbach. Er präsentiert eine 230-minütige Dorfchronik aus dem 19. Jahrhundert und schafft es, deutsche Geschichte lebhaft und aus der Sicht des kleinen Mannes zu erzählen. Glücklich können sich die tschechischen Kinobesucher schätzen, wenn sie Reitz’ Festival-Beitrag mit Untertitel sehen können. Ein Zustand, den sich viele Deutsche, die nicht aus dem Hunsrück stammen, schon seit den ersten „Heimat-Schabbach“-Folgen aus den achtziger Jahren wünschen. Immerhin bleiben jenen Deutschsprachigen, denen der rheinische Dialekt spanisch vorkommt, die englischen Untertitel.

Zwischen den vier Sparten lassen sich auch Querverweise entdecken. In der Dokumentation „Alphabet – Angst oder Liebe“ legt Erwin Wagenhof Fehlentwicklungen im globalen Bildungssystem offen. Dieses scheint von China über die USA bis Europa nur darauf ausgerichtet zu sein, die Phantasie der Kinder im Zaum zu halten und sie zu funktionstüchtigen Rädchen im gesellschaftlichen Apparat zu machen. Der Film ist so eindeutig in seiner Aussage, dass er leider keine Diskussion zulässt.

Was aus den Kindern eines einseitigen Bildungssystems werden kann, zeigt Johannes Naber in der überspitzten Satire „Zeit der Kannibalen“ mit Sebastian Blomberg und Devid Striesow in den Hauptrollen. Naber erzählt die Geschichte zweier hedonistischer Unternehmensberater, die durch die Dritte Welt jetten und dort skrupellos Unternehmen schließen und Produktionsstätten auslagern. Doch ihr Leben ist ein Tanz am Abgrund, und ihre Entscheidungen wirken bald auf sie selbst zurück. Der Film hat etwas von einem Kammerspiel, da er nur in gesichtslosen Hotelzimmern stattfindet. Dass die beiden Topmanager in einem anderen Land nächtigen, erkennt der Zuschauer höchstens an der Hautfarbe und dem englischen Akzent der Angestellten. „Zeit der Kannibalen“ ist eine schwarze Komödie, die den Betrachter geschockt zurücklässt.

Nach all der schweren Filmkost soll schließlich doch enthüllt werden, ob der Komödien-Freund beim Filmfest trotzdem auf seine Kosten kommt. Er kommt, aber auf die wirklich seichteste Art und Weise. In „Fack ju Göhte“ von Bora Dagtekin versucht sich ein Kleinganove als Aushilfslehrer. Die Abhandlung sozialer Klischees mit plumpen Witzen auf Fernsehfilm-Niveau passt aber nicht so recht zum restlichen anspruchsvollen Programm des Filmfests.

Weitere Informationen unter www.dasfilmfest.cz

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