Neue Eiszeit?
Der tschechische Botschafter besucht erstmals die Jahresversammlung der Sudetendeutschen in Bayern. Allerdings verzichtet er dort auf das angekündigte Grußwort
15. 7. 2018 - Text: Klaus Hanisch
Auch beim Sommerempfang der bayerischen Vertretung Ende Juni in Prag fiel der berühmte Satz wieder. „Die deutsch-tschechischen Beziehungen sind so gut wie nie“, urteilte Hannes Lachmann, Leiter der Repräsentanz, die vor vier Jahren in einem noblen Palais nahe dem Altstädter Ring eröffnet wurde.
Mancher Gast sah das differenzierter. „Wir haben etwas erreicht, aber wir müssen das weiter ausbauen“, war der Tenor mancher Unterhaltung während der mehrstündigen Veranstaltung. Damit waren zwar oft bestimmte Sachthemen gemeint, die in ihrer Summe jedoch die Beziehungen ausmachen. Wie ein Stereotyp wird die Einschätzung von den „besten Beziehungen“ seit Jahren wiederholt. Gerade so, als ob man sie so oft wie möglich aussprechen muss, damit auch der letzte daran glaubt. Doch stimmt diese Annahme wirklich?
Dass die Beziehungen tatsächlich so gut wie noch nie seien, „weiß ich nicht“, sagte mir der ehemalige Außenminister und Präsidentschaftskandidat Karel Schwarzenberg während eines Interviews im Oktober 2015. Nach seinen Erinnerungen seien sie bestenfalls so gut „wie seit Mitte des 19. Jahrhunderts“ nicht mehr. Damals war von der längst erbittert geführten Debatte zwischen beiden Ländern um die Aufnahme von Flüchtlingen noch keine Rede.
Und gerade fällt ein tiefer Schatten auf diese bilaterale Verbindung. Zumindest auf die staatliche. Das belegte nun eine Festveranstaltung der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Bayern. Am 15. Juli besuchte mit Tomáš Jan Podivínský ein tschechischer Botschafter deren Jahresversammlung in Würzburg. Das könnte im Prinzip als deutliches Zeichen für eine weitere Annäherung von Sudetendeutschen und Tschechen gewertet werden, die mit dem Verzicht der Sudetendeutschen auf Eigentumsansprüche in Tschechien vor wenigen Jahren enorm Fahrt aufgenommen hat.
Doch bei dem Treffen sprach der Botschafter kein Grußwort – entgegen der Ankündigung im Programm. Zwar nahm Podivínský die kilometerweite Fahrt von der Spree an den Main auf sich, beschränkte sich aber in Würzburg auf Small Talks mit Mandats- und Funktionsträgern. Hinter den Kulissen verlautete, dass ihm eine Rede vor den Sudetendeutschen möglicherweise untersagt worden sei. Grund dafür sind Verstimmungen zwischen den Regierungen in Prag und Berlin, die nach einer Rede von Angela Merkel zum Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung auftraten.
Dabei erklärte die Kanzlerin vor einem Monat, dass es „für Vertreibung weder eine moralische noch eine politische Rechtfertigung“ gebe – auch wenn Vertreibung und Flucht der Deutschen eine unmittelbare Folge des von Deutschland begonnenen Zweiten Weltkriegs und der unsäglichen Verbrechen während der nationalsozialistischen Diktatur waren.
Trotzdem sorgte diese Äußerung bei Staatspräsident Miloš Zeman und Premierminister Andrej Babiš für Empörung. Zeman drückte seine „tiefste Missbilligung“ aus, so ein Sprecher gegenüber dem Tschechischen Rundfunk. Babiš nannte sie „absolut inakzeptabel“. Wenig begeistert zeigten sich davon auch die Vorsitzenden von Sozialdemokraten (ČSSD), Bürgerdemokraten (ODS) und TOP 09.
Am Rande der Würzburger Veranstaltung wurde spekuliert, dass darüber hinaus eine Rücksichtnahme der neuen Regierung auf die Kommunistische Partei (KSČM) ein Redeverbot für den Botschafter bewirkt haben könnte. Immerhin wird das neue Kabinett von Babiš aus ANO und Sozialdemokraten von den Kommunisten toleriert und funktioniert nur mit ihrer Zustimmung. Möglich jedoch auch, dass sich der Botschafter selbst Zurückhaltung beim Grußwort auferlegte. Podivínský ist seit Jahren dafür bekannt, sich über die Aufgaben seines Amtes hinaus für bessere deutsch-tschechische Beziehungen stark zu machen. Das unterstrich auch sein erstmaliger Besuch bei der Jahresversammlung der bayerischen Sudetendeutschen. Doch herrscht derzeit Unsicherheit in Prag, nachdem der Posten des Außenministers im neuen Kabinett von Babiš noch nicht definitiv vergeben worden ist.
Allerdings war Tomáš Jan Podivínský in Würzburg zu einem Interview mit dem Bayerischen Fernsehen bereit. Dabei zeigte er sich bemüht, die Wogen etwas zu glätten. „Diese Äußerungen und Gegenäußerungen unterstreichen, dass wir diese hervorragenden Beziehungen nach wie vor pflegen und uns um sie kümmern müssen“, erklärte der Botschafter. Denn sie seien „nichts Automatisches“, so Podivínský. „Deshalb müssen wir diese Beziehungen zwischen Bayern und Tschechien, aber auch zwischen Deutschland und Tschechien weiterhin pflegen.“ Weniger diplomatisch ausgedrückt: Das Verhältnis zwischen Deutschen und Tschechen bleibt sensibel und steht auf einem Fundament, das immer noch schnell brüchig werden kann – allen Beteuerungen von den „besten Beziehungen“ zum Trotz.
Hoffnung macht freilich, dass diese Beziehungen nicht von hoher Politik allein abhängen. Sie müsse zwar „die Weichen stellen“, so Karel Schwarzenberg im Oktober 2015. „Aber mit Leben wird eine Partnerschaft weiter unten erfüllt, gar kein Zweifel.“ Für den mehrfachen tschechischen Außenminister ist Zusammenarbeit etwa zwischen Städten, Hochschulen oder Institutionen daher sehr viel wichtiger – wenn sie kontinuierlich verläuft. „Nur gegenseitige Staatsbesuche richten wenig aus“, davon ist nicht nur Schwarzenberg überzeugt.
Barbara Stamm, Präsidentin des Bayerischen Landtages, knüpfte bei der Versammlung in Würzburg daran an, als sie von ihrem Besuch bei den Trenck-Festspielen in Waldmünchen unmittelbar an der Grenze zwischen Bayern und Böhmen berichtete. Ihr sei „das Herz aufgegangen“, wie stark auch tschechische Gäste in das Freilicht-Spektakel einbezogen würden, sagte die CSU-Politikerin sichtbar begeistert.
Gut gewählt war zudem Würzburg als Ort für die Veranstaltung der Sudetendeutschen. Denn über 12.000 Heimatvertriebene kamen nach dem Krieg hierher, unter ihnen ganz überwiegend Sudetendeutsche. Sie bauten die in Schutt und Asche liegende Stadt wieder mit auf, die nach schlimmsten Bombenangriffen als „Grab am Main“ bezeichnet wurde. Daran erinnerte der Würzburger Zweiter Bürgermeister Adolf Bauer (CSU).
Bereits im Jahr 1956 übernahm die Stadt eine Patenschaft für Vertriebene aus dem ehemaligen Trautenau, die in großer Zahl in der Mainfranken-Metropole eine neue Heimat fanden. Und seit Dezember 2008 ist das heutige Trutnov eine Partnerstadt von Würzburg [die „Prager Zeitung“ berichtete].
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“