„Nicht einmal nachts davon geträumt“
Klaus Hillenbrand beleuchtet die Geschichte nationalsozialistischer Scharfrichter
29. 1. 2014 - Text: Stefan WelzelText: Stefan Welzel; Foto: Campus
Initiativbewerbungen sind in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nichts Außergewöhnliches. Auch während der Nazi-Herrschaft in Deutschland standen trotz Aufschwungs viele Menschen ohne Arbeit da. Dass sich in jener Zeit aber mindestens 500 Männer freiwillig als Scharfrichter bewarben, darf als außergewöhnlich bezeichnet werden. Journalist Klaus Hillenbrand widmet sich in seiner Publikation „Berufswunsch Henker“ genau jenem bisher wenig beachteten Thema. Die Monographie über den staatlich sanktionierten Mord durch die Nationalsozialisten beinhaltet auch ein langes Kapitel über den Prager Henker Alois Weiß.
Zwischen 1933 und 1945 wurden dem damals geltenden Recht entsprechend insgesamt 12.000 Menschen ermordet. Nach der Verhaftung des niederländischen Links-Aktivisten Marinus van der Lubbe, der bezichtigt wurde, den Reichstag angezündet zu haben (was bis heute nicht eindeutig geklärt ist), verschärften die neuen Machthaber Deutschlands das Gesetz radikal. Von nun an wurde man auch für einfachen Diebstahl, Verschwörung oder eben Brandstiftung zum Tode verurteilt.
Und die Definition für Vaterlandsverrat wurde sehr großzügig interpretiert. Im NS-Staat sollten „Volksschädlinge“, meist politische Gegner, eliminiert werden. Jene Entwicklung rückt Hillenbrand mithilfe eines strukturalistischen Ansatzes im zweiten Kapitel in den Fokus. Davor versucht er sich an einer Typologisierung der Henker-Bewerber im Nazi-Staat. Dabei macht er drei Grundmuster aus: Es gibt erstens die Sadisten und psychisch Gestörten, zweitens die verzweifelten Mittellosen und drittens die begeisterten Anhänger der Regimes, die dem Nazi-Staat aus Überzeugung dienen wollten. Anhand zahlreicher Beispiele von Bewerbungsschreiben bringt uns der Autor diese Psychogramme des Schreckens näher. Es sind spannende und stringente Ausführungen, die viele Kriterien des historischen Fachpublikums genauso erfüllen wie sie das Interesse des Laien entfachen. Allerdings wäre es trotz allem angebracht gewesen, die beiden Kapitel zu vertauschen.
Der Prager Henker
Im dritten Teil wird die Geschichte des Prager Henkers Alois Weiß erzählt. Ein glühender Anhänger der Nazis seit dem Beginn der Bewegung. Er war ein „alter Kämpfer“ der ersten Stunde, der allerdings erst nach Beginn des Zweiten Weltkrieges auch Karriere im Dritten Reich machte. Und dies nachdem er sogar kurz in Gestapo-Haft war. Er ließ im Affekt seiner Wut freien Lauf, als er finanziell am Boden war und brach sogar mit der Partei. Später wurde ihm verziehen und er erhielt, auf zweimalige Initiativbewerbung hin, den Posten als Scharfrichter im berüchtigten Prager Gefängnis Pankrác. Dort tötete er von 1943 bis zum Ende des Krieges über 1.000 Menschen. Ihm wurde von offizieller Seite bestätigt, über „die erforderliche Ruhe, Sicherheit und Geschicklichkeit zur Vornahme von Hinrichtungen“ zu verfügen. Gelernt hat er dies 1942 als Gehilfe des bayerischen Scharfrichters Johannes Reichelt. Er selbst stand seiner Arbeit eher nüchtern gegenüber: „Mir war das erstemal ein bisschen komisch, aber ich hab’s überstanden. Ich habe nicht einmal nachts davon geträumt“, zitiert ihn Hillenbrand.
Seine eigenen Assistenten rekrutierte Weiß meist in der Stadt Prag. So gelangten Angehörige der deutschen Minderheiten in der Tschechoslowakei, aber auch tschechische Kollaborateure wie der Hausmeister Antonín Nerad, in den Vorteil, stattliche Löhne für ihre Arbeit zu erhalten. Pro Hinrichtung erhielten sie 300 Kronen. Damals viel Geld. Und aufgrund des inflationären Terrors im Protektorat ein lukrativer Job.
Zuletzt verschafft uns Hillenbrand in einem kompakten und geschickt zusammengestellten Dokumentationsapparat einen Überblick zu den Bewerbungsschreiben, geordnet nach Typologie. Es ist ein brutaler und schockierender Forschungsgegenstand, der in einer Mischung aus Fachpublikation und Laienliteratur gekonnt aufgearbeitet wird. (sw)
Klaus Hillenbrand: Berufswunsch Henker. Warum Männer im Nationalsozialismus Scharfrichter werden wollten. Frankfurt am Main 2013, Campus Verlag, 292 Seiten, 24,90 Euro, ISBN 978-3-593-39723-8
„Markus von Liberec“
Geheimes oder Geheimnistuerei?