Nichts für Ferraris
Seit dem Wochenende ist der Blanka-Tunnel für den Verkehr freigegeben. Droht nun ein Fahrverbot im ersten Bezirk?
23. 9. 2015 - Text: Marcus Hundt, Foto: MHMP
Acht Jahre nach Baubeginn sind am Samstagnachmittag die ersten Autos durch den neuen Stadttunnel Blanka gefahren. Erdeinbrüche, technische Probleme und vor allem der Rechtsstreit zwischen Stadtverwaltung und Baufirma machten Blanka zum Dauerthema in den tschechischen Medien. Wohl auch aus diesem Grund hatten viele Prager die Idee, sich an ihrem freien Sonntag nicht ins Einkaufszentrum, sondern in den Untergrund zu begeben. Insgesamt fuhren an diesem Tag 45.000 Autos unter den Stadtteilen Smíchov und Troja hin und her. Die Polizei sichtete sogar Fußgänger und Radfahrer im Tunnel, einige von ihnen hatten ihre Smartphones und Kameras dabei, um sich ein bleibendes Bild vom größten Komplex der Stadt zu machen. Wegen „Gefährdung des Straßenverkehrs“ wurden sie allerdings wieder ans Tageslicht geschickt. In den kommenden Wochen werden weniger Schaulustige, dafür aber 50.000 – langfristig bis zu 80.000 – Fahrzeuge erwartet, die den sechs Kilometer langen Tunnel pro Tag durchfahren.
Sechs Kilometer: Nie zuvor in der Geschichte des Landes verursachte eine so kurze Strecke so immense Kosten. 43 Milliarden Kronen, das sind umgerechnet 1,6 Milliarden Euro, muss die Hauptstadt dafür zahlen – umgeschlagen macht das 270.000 Euro pro Meter, was in etwa dem Preis des schnellsten Ferraris entspricht, der derzeit auf dem Markt zu haben ist. Im Blanka bringt der einem übrigens wenig, denn hier darf man (seit Montag) höchstens 70 Stundenkilometer fahren.
Hat sich diese Unsumme denn wenigstens gelohnt? Also, wird der Tunnel den Verkehr in der Innenstadt beruhigen, vielleicht sogar für ein Ende der teilweise kilometerlangen Staus auf der Magistrale sorgen? Die Stadtregierung ist mit solchen Aussagen vorsichtig. Der stellvertretende Oberbürgermeister Petr Dolínek (Sozialdemokraten) dämpfte vor wenigen Tagen erst einmal die Erwartungen. Die Fahrer und die Prager im Allgemeinen müssten sich in Geduld üben. „Blanka ist wie ein neugeborenes Kind, das zunächst Laufen lernen muss – und dabei bestimmt ein paar Mal auf die Nase fällt“, fiel Dolínek ein eigenwilliger Vergleich ein. Erwachsen werde das „Kind“ erst sein, wenn der äußere und innere Stadtring (die der Politiker übrigens als „Waisenkinder“ bezeichnete) komplett geschlossen sei. Bis dahin befände sich der Tunnel seinen Worten nach nur im Testbetrieb. „Erst wenn der Staat seine zugesagten Investitionen für den Prager Stadtring bereitstellt, ist alles gut. Bis jetzt hat uns Vater Staat aber ziemlich im Regen stehen lassen“, kritisierte der stellvertretende Oberbürgermeister. Ein Sprecher des Verkehrsministeriums konterte, der Lückenschluss sei „ein gemeinsames Problem“.
Von staatlicher Seite heißt es: „Ohne Prag geht es nicht, denn eigentumsrechtlich ist die Stadt für solche Sachen verantwortlich, nicht der Staat.“ Und aus dem Rathaus meldete Oberbürgermeisterin Adriana Krnáčová (ANO): „Wir müssen den Ring schließen, damit Blanka wirklich Sinn ergibt. Aber das ist nicht nur die Aufgabe der Stadt, sondern auch des Staates. Und der soll sich an den Kosten großzügig beteiligen.“ Im Grunde genommen sind sich also beide einig, gleichzeitig weiß man jedoch: Diese Geschichte kann sich noch hinziehen. Erst recht, wenn man den Beschluss vom September 1999 kennt, der eine Fertigstellung der beiden Stadtringe im Jahr 2010 vorsah.
Trotz aller Geduldsspiele: Blanka hat den Straßenverkehr in der Innenstadt schon jetzt beruhigt. Für die Bürgervereinigung „Auto*Mat“ sogar so sehr, dass sie ein Fahrverbot im historischen Zentrum fordert. Zwischen 7 und 21 Uhr sollten die Straßen zwischen Nationaltheater und Rudolfinum sowie die komplette Kleinseite (Malá Strana) für den Verkehr gesperrt werden. „Das darf nicht als Schikane für die Autofahrer verstanden werden. Wenn wir den Transitverkehr begrenzen, würde das Leben in der Stadt aber angenehmer werden“, meint Tomáš Cach, der sich als Stadtplaner bei „Auto*Mat“ engagiert. Ein solcher Beschluss würde zudem kaum Kosten verursachen, es müssten nur etwa 70 Straßenschilder aufgestellt werden. Bislang hat sich die Stadtverwaltung noch nicht mit solchen Vorschlägen beschäftigt. Allerdings hat Petr Dolínek schon signalisiert, dass sie dabei nicht auf Rot schaltet: „In den nächsten Tagen werden wir einen unabhängigen Experten beauftragen, der sich mit den Eingaben genauer befasst.“
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