Nichts für Schöngeister
Roger Hiorns regt mit seinen verstörenden Installationen zum Nachdenken an
3. 6. 2015 - Text: Désirée LeiprechtText: Désirée Leiprecht; Foto: Martin Polák/Galerie Rudolfinum
Stille legt sich über eine post-apokalyptische Landschaft, spitze Trümmerberge erheben sich über der staubigen Oberfläche, durchbrochen von langgezogenen Kratern. Ab und zu meint man die Überreste eines eingeschlagenen Meteoriten zu erkennen. In Wirklichkeit sind die kleinen, schwarzen Brocken, die vereinzelt auf den verödeten Feldern liegen, Teile eines Militärjetmotors. Vor uns zeigt sich nicht die Welt in tausend Jahren, sondern ein Werk Roger Hiorns, das verstreut auf dem Parkett der Galerie Rudolfinum liegt. Es ist Teil einer außergewöhnlichen Ausstellung, die ausgewählte Arbeiten des 1975 in Birmingham geborenen Künstlers präsentiert.
Hiorns möchte Geschichten erzählen. Denn das Erzählen sei, so der 40-Jährige, was uns zu Menschen mache. Das immer wiederkehrende Thema seiner Geschichten sind Autoritäts- und Machtstrukturen. Hiorns transformiert diese symbolisch, wie in Gestalt des Militärjet-motors oder eines Granitaltars, der ebenfalls in tausend Stücken auf dem Boden des Rudolfinums zu sehen ist.
Durch das gewaltsame Verändern der Oberfläche möchte er sich mit der dunklen Seite des Fortschritts und der strukturellen Gewalt westlicher Gesellschaften auseinandersetzen. Er hinterfragt kritisch, um sich der Wahrheit zu nähern. Hierfür bedient sich Hiorns einer äußerst düsteren Formsprache und scheut sich nicht, mit ungewöhnlichen bis abstoßenden Materialien wie tierischer Gehirnmasse oder Autoschrott zu experimentieren. Stets fordert er den Rezipienten heraus und evoziert Unbehagen.
Dieses Gefühl stellt sich auch beim Betrachten seiner Installation „Beings“ („Wesen“) ein. Rund 200 „Mutanten“, Gebilde aus Plastikteilen alter Fahrzeuge, hängen an langen Schnüren von der Decke eines kleinen, lichtdurchfluteten Raums. Leise und unheilvoll ertönt das gleichmäßige Brummen eines Motors. Aus den bizarren Plastikobjekten quellen dicke Schaumblasen, die sich zu riesigen Bergen auftürmen, um anschließend wie Lawinen auf den glänzenden Steinboden zu fallen. Ein verstörendes Szenario.
Und Hiorns spielt weiter mit den Emotionen des Besuchers. So strömt der Geruch von Verbranntem durch die Ausstellungsräume. Er gehört zu Hiorns „Youth Series“, bei der junge, nackte Männer mitten in einem Raum auf industriellen Gegenständen posieren. Neben ihnen lodern kleine Flammen. Das Ganze wirkt wie ein entspanntes Zusammensein von Nudisten, die gelangweilt auf Metallbänken, Stahltischen oder einem umgekippten Waschbecken sitzen. Ab und an verlassen sie ihre angestammten Plätze und spazieren am Besucher vorbei; beinahe so, als wäre man aus Versehen in ihren Schlafzimmern gelandet.
Ähnlich einer interaktiven Performance, bei der auch die Reaktion des Zuschauers ein wichtiger Teil ist, entwickelt sich die Schau zu einer einzigen großen Kunstaktion.
„Das „Enfant terrible einer sich zu wohl fühlenden Gesellschaft“, wie die Galerie Rudolfinum in der Broschüre zur Ausstellung schreibt, eckt mit seiner ambivalenten Kunst an und animiert zum Nachdenken – eine Ausstellung für Experimentierfreudige ohne Schamgefühle und Berührungsängste.
Roger Hiorns. Galerie Rudolfinum (Alšovo nábřeží 12 , Prag 1), geöffnet: täglich außer montags 10–18 Uhr (Do bis 20 Uhr), Eintritt: 120 CZK (ermäßigt 70 CZK), bis 12. Juli, www.galerierudolfinum.cz
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