„Nostalgisch-dogmatisch mit klarem Trend zum Pragmatismus“
Der Politologe Lubomír Kopeček über die KSČM und ihre Stellung in der tschechischen Gesellschaft
28. 8. 2013 - Text: Ivan DramlitschText: id; Foto: privat
Viele hätten sie am liebsten schon 1990 verboten, aus den Regionalwahlen 2012 gingen sie mit 20,4 Prozent als zweitstärkste Kraft hervor, die Parlamentsvorsitzende Miroslava Němcová tritt in Hungerstreik gegen ihre Rückkehr ins öffentliche Leben: Die Kommunisten polarisieren Tschechiens Gesellschaft. Im Gespräch mit PZ-Mitarbeiter Ivan Dramlitsch erhellt der Parteienforscher Lubomír Kopeček von der Masaryk-Universität Brünn Hintergründe und Zukunftsperspektiven der umstrittenen Partei.
Herr Kopeček, die KSČM erfreut sich wachsender Wählergunst und sieht sich gleichzeitig mit antikommunistischen Protesten konfrontiert. Warum polarisiert die KSČM derart?
Lubomír Kopeček: Als ehemalige Staatspartei, die im bedeutenden Maße auf die Nostalgie nach dem alten Regime baut, weckt sie natürlich Emotionen bei Menschen, die die Zeit vor 1989 negativ wahrnehmen. Die KSČM repräsentiert bestimmte Traditionen und Werte, die für einen Teil der Gesellschaft abstoßend sind.
Die Kommunisten werden aber von mehr Leuten gewählt als noch vor zehn Jahren. Gelingt es der Partei, neue, auch junge Wähler zu gewinnen?
Kopeček: Ich kenne keine Untersuchung, die das bestätigt. Im Gegenteil, die Wähler und Mitglieder werden immer älter. Es gibt interessante Modelle des Soziologen Lukáš Linek, die besagen, dass die KSČM in zehn bis 15 Jahren Probleme haben könnte, die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden – wenn es ihr nicht gelingt, neue Wählerschichten zu erschließen. Die Partei funktioniert natürlich auch als Protestpartei, aber das ist eine unsichere Wählergruppe. Wenn die Wahlbeteiligung nicht extrem sinkt, dann erwarte ich kein markantes Anwachsen der Wählerstimmen.
Dennoch stellt die Partei derzeit einen bedeutenden Faktor in der Parteienlandschaft da. Wie wahrscheinlich ist eine Regierungsbeteiligung der Kommunisten?
Kopeček: Innerhalb einer formalen Regierungskoalition ist das aus historischen und anderen Gründen unwahrscheinlich. Für sehr wahrscheinlich halte ich jedoch die Unterstützung einer sozialdemokratischen Minderheitsregierung, diese Art der Zusammenarbeit ist innerhalb der ČSSD weitgehend Konsens. Gegenleistung wären personelle und programmatische Zugeständnisse. Das könnte eine Variante des Oppositionsvertrages von 1998–2002 sein.
Würde so eine Konstellation die Kommunisten nicht „entzaubern“?
Kopeček: Wenn sie eine geschickte Strategie fahren, dann nicht. Beispiele aus Westeuropa zeigen, dass die kleineren, tolerierenden Parteien – ob nun Links- oder Rechtsparteien – in dieser Konstellation wenig Schaden nehmen. Ich spekuliere jetzt allerdings ein wenig. In Tschechien haben wir noch keine Erfahrung damit.
Rechnen Sie mit einer fortschreitenden pragmatischen Öffnung der Partei?
Kopeček: Im internationalen Vergleich der radikalen Linken handelt es sich um eine nostalgisch-dogmatische Partei. Allerdings ist sie auch kein Monolith. Einzelne Repräsentanten wie Jiří Dolejš unterscheiden sich deutlich von der nostalgischen Verankerung der meisten Mitglieder. Gleichzeitig ist der Trend zum Pragmatismus im tagespolitischen Geschäft offensichtlich – das gilt allerdings weniger für den Bereich der eigenen Identität. Jedenfalls wird die Partei meiner Meinung nach relativ reibungslos eine ČSSD-Minderheitsregierung unterstützen.
Wie stehen Sie zu der Forderung eines Parteiverbots?
Kopeček: Die Regierung Nečas hat einen diesbezüglichen eigenen Entwurf zurückgezogen, das sagt, glaube ich, schon eine Menge aus. Die Kriterien für ein Verbot sind sehr streng und die KSČM erfüllt diese offenbar nicht. Die Frage, ob die Partei bereits 1990 hätte verboten werden sollen, ist rein spekulativ. Der Übergang zur Demokratie basierte auf einem historischen Kompromiss zwischen den Siegern und den Kommunisten sowie der Übereinkunft einer Rechtskontinuität mit dem bisherigen Regime. Ein Verbot war unter diesen Bedingungen nicht möglich.
Halten Sie es für angebracht, dass sich die Parlamentspräsidentin an einem Kettenhungerstreik gegen eine Partei beteiligt, die auf demokratische Art und Weise in das Parlament gewählt wurde?
Kopeček: Ich betrachte das als Bestandteil des Wahlkampfs. In der Vergangenheit hat die ODS vor Wahlen immer wieder versucht, mit einer antikommunistischen Agenda zu mobilisieren. Man sollte anmerken, dass das keinen großen Effekt hat. Die Konfliktlinie Kommunismus versus Antikommunismus spielt in der tschechischen Gesellschaft keine dominante Rolle – das war eine Angelegenheit des Jahres 1990. Andererseits muss man davon ausgehen, dass bei den aktuellen Problemen der Konservativen dieses Thema eines der wenigen glaubwürdigen Wahlkampfthemen der ODS sein wird.
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