Nüssesuchen in Zittau

Nüssesuchen in Zittau

Die abgeschlagene VV-Partei organisiert öffentliche Einkaufstouren in die Nachbarländer. Ein vorweihnachtlicher politischer Ausflug an die deutsch-tschechische Preisgrenze

19. 12. 2012 - Text: Nancy WaldmannText und Foto: Nancy Waldmann

 

Der Weihnachtseinkauf der Bürger ist eine öffentliche Angelegenheit, meint Vít Bárta, Populist und Gründer der kleinsten Partei im tschechischen Abgeordnetenhaus Věci Veřejné (VV). Öffentliche Angelegenheiten sind sein Geschäft und deswegen heißt auch seine Partei so. Die Tschechen bezahlen für den Einkauf im eigenen Land zu viel. Das müsse man den Leuten bewusst machen, findet Bárta. Deswegen steht er an diesem Adventssamstag früh um 8 Uhr auf dem Busbahnhof in Prag-Smíchov und schüttelt die Hände derer, die sich entschieden haben, an einem – so nennt er das – „Offenbarungseinkauf“ teilzunehmen. Gecharterte Busse bringen die Leute nach Deutschland und Polen. Dort sollen sie sich überzeugen, dass die Lebensmittel zwanzig bis dreißig Prozent billiger sind als in Tschechien, und dass die Regierung in ihrem Land etwas falsch mache. Sie erhöhe die Mehrwertsteuer und ließe Oligarchen auf dem Lebensmittelmarkt die Preise diktieren. „Mit Věci veřejné spart ihr“ steht auf dem Plakat. Organisierte Schnäppchenjagd als politische Aufklärung.

Der Parteiführer fröstelt
Bárta ist der inoffizielle Parteiführer der VV, einer jungen Partei, die sich der Korruptionsbekämpfung verschrieben hatte; ein etwas pummeliger Mann, der mit Jeans und Sweatjacke für minus acht Grad zu dünn angezogen ist. Bárta fröstelt. Er will wohl vermeiden, wie ein Politiker zu wirken, nur das Händeschütteln wirkt offiziös.

Petra, 32, arbeitet an der Universität und findet VV eigentlich scheußlich. Von der Aktion las sie auf einem Nachrichtenportal. Sie fand das so skurril, dass sie neugierig wurde. In Deutschland möchte sie sich ihren Lippenstift günstiger kaufen. Wenn man wie Petra knapp 700 Euro netto verdient, überlegt man sich das.

Der Bus ist zur Hälfte voll, als er losfährt, die meisten Passagiere sind über fünfzig. Aus ganz Tschechien sind neun Busse mit 300 Teilnehmern ausgerückt. Eva, die stämmige Reiseleiterin redet mit hoher Stimme ins Mikrofon: „Herzlich willkommen, Freunde! Herr Bárta wird im anderen Bus mitfahren und uns nachher begrüßen.“ Sie geht reihum und streicht die Teilnehmer auf der Liste ab. 250 Kronen zahlt jeder für die Fahrt, 10 Euro. Jeder bekommt ein blaues Gummiarmband mit Parteilogo als Fahrkarte. Hundehalsband, sagt Petra. 

Politische Bildung im Kaufland
Das Ziel: Zittau in Sachsen. Ausgerechnet eine Stadt mit 16 Prozent Arbeitslosigkeit, die von Abwanderung und Leerstand gezeichnet ist, präsentiert VV den Pragern als goldenen Westen, wo Qualität und Preis stimmen. Eine Einkaufstour als politische Bildung zu verkaufen gelingt nicht vielen, das muss man Vít Bárta lassen. Der Lernort: das Kaufland. Zur Vorbereitung werden im Bus Flyer verteilt, auf dem Preise für Grundnahrungsmittel aufgelistet sind: 1 Kilo Zucker im Kaufland Tschechien 22,90 Kronen, 1 Kilo Zucker im Kaufland Deutschland 21,70 Kronen. Toastbrot, Milch, Mehl, Milka-Schokolade – all das soll in Deutschland zwischen 17 und 65 Prozent günstiger sein. In der untersten Zeile das Durchschnittseinkommen der Länder im Vergleich: in Tschechien 24.626 Kronen (985 Euro), in Deutschland 91.600 Kronen (3664 Euro).

Schuld an den hohen Preisen hätten, so der Flyer, Finanzminister Miroslav Kalousek (TOP 09) und Andrej Babiš, Milliardär und Chef des Lebensmittelkonzerns Agrofert. Ein Gesetz reguliere den Markt zum Vorteil der Branchenriesen. Eine Sauerei, wie sich die da oben die Bälle zuspielen, findet Bárta. Auf die müsse man mit dem Finger zeigen. Babiš ist Bártas Ebenbild. Er gründete die „Aktion unzufriedener Bürger“ (ANO 2011), die sich wie VV als Protestbewegung gegen etablierte Parteien definiert.

Politik als Geschäftsmodell
Für die Teilnehmer dieser Bustour ist es nichts neues, dass manche Dinge in Deutschland billiger sind. Für die einen zählt eher der Preisunterschied, für andere mehr der Qualitätsunterschied bestimmter Waren. Eine ältere Frau beschwert sich über das miserable Hundefutter in Tschechien: „Die Tierärzte empfehlen uns nur noch welches aus Deutschland!“ Andere sehen die Fahrt als Ausflug. Ein Mann sagt, Bárta sei Idealist und Pragmatiker zugleich.

Wäre Bárta ehrlich, dann müsste er auch auf sich selbst mit dem Finger zeigen. Vor zwanzig Jahren gründete Bárta ABL, einen Sicherheitsdienst und wurde damit reich. Vor zehn Jahren gründete er mit „Öffentliche Angelegenheiten“ eine Partei, die damit warb, gegen die politischen „Dinosaurier“ vorzugehen und Korruption zu bekämpfen. 2010 zog VV mit knapp 11 Prozent erstmals ins Abgeordnetenhaus ein und bildete die Regierungskoalition mit. Bárta wurde Fraktionsvorsitzender und Verkehrsminister. Im April 2011 kam heraus, dass er sich von den eigenen Fraktionsmitgliedern Loyalität bei Abstimmungen und Stillschweigen über Parteiinterna erkauft hatte. Der Angeklagte behauptete, er hätte den Parteifreunden Geld geborgt.
„Die Partei ist ein Businessprojekt von Vít Bárta“, sagt Ondřej Kundra, ein Journalist, der an der Aufdeckung der Korruptionsaffäre beteiligt war, die VV ins Abseits katapultierte. Er sehe kein vergleichbares Beispiel dazu in der populistischen Parteienlandschaft in Europa.

Amerikanische Verhältnisse
Bárta hat sein korruptes Vorgehen sogar schriftlich in einer Art Masterplan festgehalten. Das interne Dokument gelangte später an die Öffentlichkeit und damit auch, dass Bárta die Politik nutzte, um seiner Firma nicht nur öffentliche Aufträge, sondern auch politische Macht in den Rathäusern und der Regierungskoalition zu sichern – mit Hilfe der Partei. Vor Gericht bekam Bárta eineinhalb Jahre Haft auf Bewährung. Die Koalition mit der ODS zerbrach, Bárta und weitere VV-Politiker verloren ihre Ministerposten, einige Abgeordnete verließen die Partei, VV musste mit einer dezimierten Fraktion in die Opposition gehen.

Bártas Parteimitgliedschaft ruht seitdem offiziell. Vermutlich ist das der Grund, warum er für politische Aktionen, wie diese, seine persönliche Webseite benutzt. Wider Erwarten hat sich Bárta nach dem Korruptionsskandal nicht aus der Politik zurückgezogen. Er hat sich ihr verschrieben. 

Die Parteileute, die zum Offenbarungseinkauf nach Zittau mitfahren, halten Bárta die Treue.
Ein Kreisparteivorsitzender aus Mittelböhmen findet ungerecht, wie über ihn geurteilt wurde. Die anderen nicken. Bárta habe mit gutem Beispiel vorangehen wollen. Mit VV wollte der Millionär die Kürzung der Abgeordnetengehälter durchbringen. Als Kompensation für das finanzielle Opfer, das die eigenen Fraktionsmitglieder zu erbringen hätten, wollte er ihnen das niedrigere Gehalt aus eigener Tasche ausgleichen, wenn sie für den Gesetzentwurf stimmten. Das sei doch vorbildlich gewesen, findet der mittelböhmische Parteifreund. Und er sagt es ohne Ironie.

Zu VV sei er gekommen, weil er fand, dass in der tschechischen Politik „amerikanische Verhältnisse“ herrschten. Es gebe nur links und rechts, die sich gegenseitig blockieren. VV stehe  jenseits davon. Was das genau ist, sagt er nicht.

Der guten Sache helfen
Wegen der beiden V im Namen werden die Parteileute auch „Veverky“, Eichhörnchen, genannt. Kurz vor dem Weihnachtsfest ist es für sie kälter denn je geworden, wenn man auf die aktuellen Umfragewerte schaut. Die liegen momentan bei nicht mal mehr einem Prozent. Außerhalb der Partei glaubt niemand, dass VV nach den nächsten Wahlen eine Zukunft hat. Mit der Einkaufskampagne graben die Eichhörnchen offenbar im deutschen Kaufland ihre letzten Nüsse aus und legen sie den Wählern vor die Füße. Um irgendwie über den Winter zu kommen.

Nach der Ankunft in Zittau ist Vít Bárta immer noch kalt. Mit hochgezogenen Schultern und Händen in den Hosentaschen stellt er sich mit ein paar Teilnehmern zum Erinnerungsfoto auf dem Kaufland-Parkplatz auf. Die Journalisten knipsen. Er ist mit Abstand der jüngste auf dem Bild. Der Bus von Eva ist bereits seit einer halben Stunde da, aber kaum jemand hat die persönliche Begrüßung durch „Herrn Bárta“ abgewartet. Die Leute sind gleich zum Shoppen losgezogen.

Bárta findet nicht, dass die Aktion etwas über den hoffnungslosen Zustand seiner Partei aussagt. „In letzter Zeit betrachte ich die Politik immer weniger als Marketingaktion“, sagt er. „Ich gehe da jetzt anders heran. Ich kämpfe dafür, dass es in Tschechien besser wird und überlege, was ich dafür noch tun kann.“ Diese Aktion helfe der „guten Sache“, sagt er.
Im Kaufland ist Bárta nicht mehr zu sehen. Petra vergleicht die Preise und stellt fest, dass sie mit der Liste auf dem Flyer nicht ganz übereinstimmen. Zucker zum Beispiel ist vier Cent teurer, die Milch neun Cent teurer als angegeben. Der Preis für Bier und Zwiebeln stimmt. Aber 20 Prozent zu sparen, das erscheint schwierig. Wenigstens gibt es Apfelsinen im Sonderangebot. Später kauft Petra den Lippenstift, aber leider gibt es ihre Farbe in Zittau nicht.

Mit Thermosbecher durch den Winter
Fünf Stunden später treffen sich alle wieder am Bus. Die Stimmung ist geselliger als auf der Hinfahrt. Man tauscht sich aus, man verstaut die Einkaufstüten. Zum Platzen voll sind die nicht. Bei den meisten sieht es eher nach genau kalkulierten Einkäufen aus, als nach Goldgräberstimmung. Ein Paar hat gar nichts gekauft und sich die Stadt angesehen. Viele Häuser stünden zum Verkauf, sei ihnen aufgefallen, die Preise seien extrem niedrig. Und sie glauben nicht, dass die Leute dort durchschnittlich 90.000 Kronen (3.600 Euro) verdienen würden.

Vít Bárta ist schon nach Hause gefahren. In seinem schwarzen BMW – werden die Medien am nächsten Tag hämisch bemerken. Eva, die Organisatorin, wirkt zufrieden. Sie hat einen Eimer Orangen erstanden. Dann bittet sie, einen Mini-Fragebogen auszufüllen und die Mail-Adressen anzugeben. Hat es Ihnen gefallen? Petra kreuzt „Ja“ an. Aber an weiteren VV-Aktionen möchte sie nicht teilnehmen. Das Thermometer im Bus blinkt nun bei minus zehn Grad. Eva verlost als Dankeschön zwei Thermosbecher und ein paar Mützen. Und sie tut die Offenbarung dieser Busfahrt kund: Den Eichhörnchen steht noch ein harter Winter bevor.