Offene Diskussion
Der Adalbert-Stifter-Verein hat seine Kulturzeitschrift neu gestaltet
13. 8. 2015 - Text: Friedrich GoedekingText: Friedrich Goedeking; Foto: Europas Kulturhauptstadt Pilsen 2015/Guillaume Delebarre
Vor 57 Jahren wurde die Fachzeitung „Sudetenland. Europäische Kulturzeitschrift“ gegründet. Seit 2014 wird sie vierteljährlich im Auftrag des Adalbert-Stifter-Vereins in München veröffentlicht. Zu den neuen Herausgebern zählen neben Peter Becher und Franz Adam unter anderem die Schriftstellerin Ursula Haas, der Künstler Hans-Jürgen Gärtner und Susanne Habel. Mit der neuen Redaktion hat sich auch der Inhalt der Zeitschrift verändert. Lag der Schwerpunkt bisher vor allem auf der Darstellung von Landschaften, Bauwerken und Stadtansichten, wenden sich die Autoren nun verstärkt der geistigen Kulturgeschichte zu, beispielsweise mit Porträts von Schriftstellern wie Peter Kurzeck, Josef Hrubý oder dem Maler Otto Herbert Hajek.
Im Fokus der ersten Ausgabe dieses Jahres steht die Europäische Kulturhauptstadt 2015 Pilsen. Tschechische und deutsche Autoren kommen mit ihren literarischen Beiträgen über die Stadt zu Wort. Mehrere Beiträge erinnern an die Samtene Revolution von 1989.
Hauptthema des zweiten Heftes sind die letzten Tage vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, an die sich tschechische und deutsche Augenzeugen erinnern. Ferdinand Gerhardt erzählt von den letzten Tagen in Reichenberg und davon, mit welcher Verblendung die deutschen Landsleute noch an den „Endsieg“ glaubten, von deutschen Müttern, die bereitwillig ihre Kinder hergaben und stolz darauf waren, dass sie nun als Flakhelfer eingesetzt wurden. Der Historiker Václav Kural hat die grauenhaften Todeszüge gesehen, in denen KZ-Häftlinge im Januar 1945 bei minus 20 Grad Celsius von Auschwitz durch Mähren und Böhmen ins „Reich“ deportiert wurden, um sie vor der Roten Armee zu evakuieren. Er schreibt von Gefangenen, die Fluchtversuche wagten, die dann aber nicht etwa von der SS oder der Wehrmacht, sondern „von lokalen Nazis und Deutschen aus der Umgebung“ gefasst und erschlagen wurden. Diese bestialischen Massaker haben, so Kural, den tschechischen Hass auf die Deutschen eskalieren lassen, der dann in der Vertreibung seinen Höhepunkt erreichte.
Respekt verdient ein Beitrag von Peter Becher über den bisher unbekannten ersten Roman des 2013 verstorbenen Kinderbuchautors Otfried Preußler, der mit seinen Werken „Der Räuber Hotzenplotz“ und „Die kleine Hexe“ bis heute ein Millionenpublikum begeistert. Über den von Sudetendeutschen hoch geachteten Schriftsteller berichtete die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrem Nachruf, er habe von der hysterischen Begeisterung vieler Sudetendeutscher für das Nazi-Regime nichts berichtet. Nun enthüllt Becher, dass der 20-jährige Preußler 1943 in seinem ersten Roman „Erntelager Geyer“ von einem Lager der Hitlerjugend im sogenannten Sudetengau im Jahr 1940 erzählt, in der die Disziplin des Lagerlebens, die Hochschätzung von „Blut und Boden“ und die Begeisterung für den „Führer“ und den Nationalsozialismus im Mittelpunkt stehen.
Die neu gestaltete Zeitschrift präsentiert sich als eine Publikation, die sich vor allem den Ausgleich und die Versöhnung zwischen Tschechen und Deutschen zum Ziel gesetzt hat. Bleibt nur zu hoffen, dass die in der Zeitschrift offene Diskussion über die Beibehaltung des Namens „Sudetenland“ dazu führt, dass diese Bezeichnung, die ihren Ursprung in der deutschnationalen und nationalsozialistischen Propaganda hat, ersetzt wird.
„Markus von Liberec“
Geheimes oder Geheimnistuerei?