Ohne Rücksicht auf Verluste
Die Minderheiten protestieren gegen Kürzungen des Kulturministeriums. Besonders die Verbandszeitungen drohen einzugehen
27. 3. 2013 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba, Nancy Waldmann; Foto: Kulturverband deutscher Nationalität in Tschechien
Eigentlich geht es nur um etwa 24.000 Euro. 628.000 Kronen. Jedoch geht es laut Hans-Jörg Schmidt, Tschechien-Korrespondent für „Die Welt“, um viel mehr. Eine Kürzung der Zuwendungen vom Kulturministerium zeige, dass den tschechischen Politikern die deutsche Minderheit im Land herzlich egal sei. Es gehe um die Gültigkeit tschechischen und europäischen Minderheitenrechts. Nicht zuletzt betreffe es die offizielle Zeitung der deutschen Minderheit in der Tschechischen Republik, die „Landeszeitung“. Sie muss 2013 mit knapp 35 Prozent weniger Geld auskommen als im Vorjahr. Das geht auf einen Schnitt im Budget des Kulturministeriums für 2013 zurück und betrifft alle 13 Minderheiten im Land.
Schmidt, der regelmäßig Kommentare für die alle zwei Wochen erscheinende Zeitung schreibt, machte seiner Wut kürzlich auf seinem Facebook-Profil Luft. Er habe Karel Schwarzenberg (TOP 09) höchst persönlich – seines Zeichens nicht nur Außenminister, sondern auch Vorsitzender des Minderheitenrates der Regierung – auf die prekäre Lage der „Landeszeitung“ aufmerksam gemacht. Schwarzenberg versprach Hilfe. Seither tue sich nichts. Wenn das so bleibt, könne man im Sommer höchstens noch als Flugblatt erscheinen, so Schmidt. In dem sozialen Netzwerk entfachte sich eine leidenschaftliche Debatte. Nach der Lektüre von 65 Kommentaren bleibt der Eindruck, dass die tschechische Minderheitenpolitik in vielerlei Hinsicht ihr Ziel verfehlt.
Glaubt man Ondřej Matějka von der Bürgerinitiative Antikomplex, dann fängt das schon beim Minderheitenbegriff an. Der rühre von einem ethnischen Verständnis her. „Wer Tscheche ist, hat eine entsprechende Herkunft, spricht die tschechische Sprache und hat eine weiße Hautfarbe“, erklärt Matějka die gängige Sichtweise. Einer Minderheit gehört dementsprechend jemand an, der sich einer Gruppe zugehörig fühlt, auf die mindestens eines der drei Kriterien nicht zutrifft, und die trotzdem historisch auf tschechischem Gebiet ansässig ist. Das Wörtchen „historisch“ ist dabei nicht genauer definiert. Wo fängt Geschichte an?
Neue Minderheiten
Die vietnamesische Gemeinde etwa wächst seit den sechziger Jahren stetig. Offiziell geht man heute von 60.000 Vietnamesen in Tschechien aus, das heißt, sie haben einen vietnamesischen Pass. Da sie vom Staat jedoch nicht als nationale Minderheit anerkannt werden, bleibt ihnen die im Minderheitengesetz festgelegte „Förderung für den Erhalt und die Entwicklung ihrer Sprache, Kultur und Traditionen“ verwehrt. Die Minderheit der Russinen hingegen, der sich laut Volkszählung 2011 nur knapp 140 Leute zugehörig fühlen, wird gefördert. Unter anderem der Europarat mahnt Tschechien seit längerem zu einer Öffnung gegenüber „neuen Minderheiten“.
Ein Blick in die Kasse des Kulturministeriums, das neben dem Bildungsressort den Großteil der staatlichen Fördermittel verteilt, lässt Zweifel an einer baldigen Besserung aufkommen. Für Kulturprogramme gibt es 2013 rund 5 Millionen Kronen (rund 200.000 Euro) statt knapp 7,3 Millionen im Vorjahr. Für Minderheitenmedien statt 22 nur noch 15 Millionen (ca. 582.000 Euro). Auch beim speziellen Integrationsprogramm für Roma wurde gekürzt.
Ende Januar traf sich der Minderheitenrat – auch um das Thema Finanzen zu diskutieren. Die Nerven lagen blank. Die Verbände sehen sich in ihrer Existenz bedroht, die Politik zerschlage das kulturelle Leben der Minderheiten.
Man bat Karel Schwarzenberg, den Vorsitzenden des Rates, auf Regierungsebene einzulenken. Ob das geschehen ist und ob die Minderheiten auf eine Aufstockung hoffen können, auf diese Fragen erhielt die „Prager Zeitung“ bis zum Redaktionsschluss am Dienstag keine Antwort vom stellvertretenden Regierungschef. Im Kulturministerium verwies man kühl auf die Kürzungspolitik. „Die Förderung kultureller Aktivitäten entspricht den finanziellen Möglichkeiten, die uns der Haushalt vorgibt“, erklärt Kulturministerin Alena Hanáková (TOP 09/STAN). Durch verringerte Finanzmittel werde keinesfalls die Bedeutung der kulturellen Aktivitäten nationaler Minderheiten geschmälert, meint Hanáková.
Polen proben Aufstand
Józef Szymeczek dürften diese Worte kaum besänftigen. Der Vorsitzende des Kongresses der Polen in Tschechien ist außer sich. „Wir werden protestieren“, schmettert Szymeczek entschlossen in den Telefonhörer. Adressieren werde man den Protest nicht nur an Schwarzenberg, sondern auch an Premier Nečas und die polnische Regierung. Bedroht sind bei der polnischen Minderheit, zu der sich in Tschechien rund 30.000 Menschen bekennen, vor allem die Medien. Zwei Millionen Kronen wurden gestrichen, die Zeitschrift „Zwrot“ ebenso wie die dreimal wöchentlich erscheinende Zeitung „Głos ludu“ stehen vor dem Aus. Das Geld reiche bis August.
Die Chefredakteurin der „Landeszeitung“ Alexandra Mostýn glättet die Wogen. Noch sei nichts endgültig entschieden. Man habe dem Rat eine detaillierte Antragsbeschreibung vorgelegt, die das zwölfseitige Blatt als prioritäres Projekt darstellt. Nun hoffe man, dass sich die finanzielle Situation doch noch bessert. Und wenn es nicht klappt? „Damit rechnen wir im Moment gar nicht“, sagt Mostýn. Man würde notfalls weniger Seiten drucken oder nur noch online erscheinen, fügt sie spontan hinzu. 2012 erhielt die „Landeszeitung“ noch 1,8 Millionen Kronen. Das reicht für zwei halbe Stellen, den Druck und eine Handvoll freier Mitarbeiter – eine weitere Redakteurin wird vom Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) in Stuttgart gestellt.
Negative Symbolwirkung
„Die deutsche Minderheit lebt heute in ganz Tschechien verstreut“, so Martin Dzingel, Präsident der Landesversammlung der Deutschen. Die „Landeszeitung“ sei das einzige Bindeglied. Während jedoch die Zahl der Sudetendeutschen und Deutschstämmigen in den letzten Jahren rapide abnimmt, wachse die Zahl der deutschen Staatsbürger in Tschechien. An sie wolle man sich in Zukunft verstärkt richten, so Dzingel. Neben verbandsinterner Berichterstattung konzentriert sich die „Landeszeitung“ auf deutsch-tschechische Themen und aktuelle Entwicklungen in der Prager Politik und kommentiert diese. Dzingel sieht heute eine besondere Verantwortung des tschechischen Staats gegenüber der deutschen Minderheit. Weil ihr nach dem Zweiten Weltkrieg Unrecht widerfahren ist, von Vertreibung über Zwangsarbeit bis hin zu jahrelanger Diskriminierung. Es sind junge Leute wie Ondřej Matějka von „Antikomplex”, die eine Aufarbeitung dieser problematischen Seite der tschechischen Nachkriegsgeschichte vorantreiben. Mit einer Kürzungspolitik, die keine Rücksicht auf individuelle Bedürfnisse von Gruppen und negative Symbolwirkungen nimmt, zeigt die Regierung, dass sie solche Bestrebungen um einen Dialog nicht wertschätzt. Auch wenn es nur um 24.000 Euro geht.
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