„Palachs Tat hat mehr Resignation gebracht“
Die Regisseurin Agnieszka Holland über Jan Palachs Selbstverbrennung in Prag 1969 und was man daraus lernen kann
24. 1. 2013 - Text: Nancy WaldmannText: Nancy Waldmann; Foto: HBO Dušan Martineček
Ab dem 27. Januar ist der Film „Hořící keř” (zu Deutsch: „Der brennende Dornbusch“) auf dem Digitalkanal des Kabelfernsehanbieters HBO Europe zu sehen. Der Dreiteiler spielt in Prag in der Zeit der Niederschlagung des Prager Frühlings. Er erzählt die Geschichte der Selbstverbrennung des Studenten Jan Palach und des darauf folgenden Gerichtsprozesses gegen die tschechoslowakische Geheimpolizei, den Palachs Familie anstrengte, um gegen die Verschleierung der wahren Motive ihres Sohns zu kämpfen. PZ-Redakteurin Nancy Waldmann sprach am Rand der Premiere am vergangenen Freitag im Prager Filmpalast „Lucerna“ mit der Regisseurin Agnieszka Holland.
Sie haben in der Zeit des Prager Frühlings und nach dem Einmarsch der Truppen an der Prager Filmakademie FAMU studiert. War dieses Projekt für Sie eine nostalgische Rückkehr?
Holland: Ja, natürlich. Ich habe ein ganzes Jahr hier verbracht. Solange haben die Dreharbeiten gedauert. Also es war Nostalgie in Verbindung mit harter Arbeit.
Wie haben Sie selbst das Jahr 1969, das Jahr, in dem sich Palach verbrannte, erlebt?
Holland: Ich habe natürlich viele Ereignisse mitbekommen, die auch im Film vorkommen. Es war eine Zeit zwischen Mut und Angst, zwischen Verzweiflung und Hilflosigkeit. Das hat mich sehr geprägt.
Sie saßen damals im Gefängnis.
Holland: Verhaftet wurde ich im Januar 1970, weil ich Leuten geholfen hatte, verbotene Literatur aus Polen in die Tschechoslowakei zu schmuggeln. Ich saß sieben Wochen. In den Protesten war ich seit 1968 aktiv, noch vor der Invasion haben wir zum 1. Mai eine Demonstration organisiert. Um die Studenten in Polen zu unterstützen, die sich im März ’68 gegen die Regierung Gomulka auflehnten.
Sie kennen die Geschichte Jan Palachs ziemlich genau. Hat das Drehbuch zu „Hořící keř” etwas aufgegriffen, das sie überrascht hat?
Holland: Ich dachte immer, dass Palach Teil einer Gruppe ist. Dass er, wie in seinem Abschiedsbrief stand, der erste aus einer Gruppe von Studenten ist, die sich aus Protest gegen den sowjetischen Einmarsch verbrennen. Später verbrannte sich ein zweiter, Jan Zajíc. Erst durch das Drehbuch und die Recherchen habe ich verstanden, dass Palach sich das ausgedacht hat. Politisch war das sehr klug.
Wurde Palachs Tat allgemein so positiv bewertet wie Sie es mit dem Film tun?
Holland: Darüber gab es viele Diskussionen. Der Preis für die Tat war natürlich furchtbar. Ich persönlich finde, es hat die allgemeine Resignation damals beschleunigt.
Bewundern Sie Jan Palach?
Holland: In dem Moment, als das passierte, waren alle bewegt und hatten das Gefühl, dass Palach ein Held war, der uns die Sünden abgenommen hat. Aber das dauerte nur kurz. Für mich war das ohne Zweifel heldenhaft. Ich hab mich nicht gefragt, ob sich das lohnte oder ob der Typ vielleicht nicht normal ist. Ich bin in Polen aufgewachsen, da sind verzweifelte Heldentaten normal (lacht).
Sehen Sie das aus heutiger Sicht anders?
Holland: Ich glaube, die Welt braucht Helden.
Aber war das nicht eher ein Akt der Verzweiflung als eine politische Tat?
Holland: Es gibt auch heute sehr viele solcher Fälle auf der Welt. Mit Selbstverbrennungen begann die Revolution in Tunesien. Etwa achtzig tibetische Mönche haben sich schon verbrannt. Das sind keine Kamikaze, sondern Leute, die glauben, dass die Situation Opfer von ihnen verlangt.
Was kann ein heutiger Zuschauer, der in einer europäischen Gesellschaft lebt, aus dem Film lernen?
Holland: Palach ist schon fast ein religiöses Symbol. Aber unsere filmische Adaption basiert darauf, die Haltung der anderen Protagonisten zu erschließen: Palachs Mutter, die Anwältin usw.. Da geht es nicht darum, das eigene Leben zu hundert Prozent aufs Spiel zu setzen, sondern einen Kompromiss zu finden zwischen Mut und Anpassung. Und Mut zu haben, kann einen zum Beispiel den Job kosten.
Und diese Dilemmata sehen Sie auch heute.
Holland: Ja. Sie liegen in der, ich nenne es mal, korporatistischen Natur der Demokratie des Marktes – vielleicht mehr noch als in der Natur eines totalitären Regimes. Aber die Fragen und Versuchungen, vor denen die Menschen stehen, unterscheiden sich nicht so sehr. Die Grundsatzfrage ist die gleiche: Was ist uns wichtig und wer wollen wir sein? Für uns selbst und für andere.
Sie sagten einmal, dass Filmstudios im kommunistischen Polen ähnlich funktionierten wie in den USA. Sie haben im Osten wie im Westen Filme gemacht. Was haben Sie wiederentdeckt?
Holland: Mit der Erfahrung der Zensur in der Volksrepublik Polen habe ich mich in den großen amerikanischen Filmstudios ganz gut wiedergefunden. Der Grad an Konformismus, die Angst um die eigene Position waren ähnlich. Ob in den großen Produktionsfirmen oder in den sozialistischen Ministerien, da waren Leute mit ähnlicher Mentalität angestellt. Sie drückten sich vor Entscheidungen.
Waren sich Systeme so ähnlich?
Holland: Die Motivation war ähnlich: Man macht nichts, was die eigene Position kosten könnte. Also mache ich entweder nichts – das trifft auf viele Beamte des kommunistischen Regimes zu – das heißt, ich schiebe Entscheidungen in die Schublade oder wälze sie auf andere ab. Oder ich riskiere etwas. Wenn ich nichts mache, macht mir später auch keiner Vorwürfe. Und wenn ich Dinge tue, die nicht loyal sind oder keinen Erfolg haben, muss ich dafür bezahlen.
Agnieszka Holland
geboren 1948 in Warschau, studierte Regie an der Prager Filmfakultät FAMU, Abschluss 1972. Regisseurin und Drehbuchautorin von rund 30 Filmen, darunter „Hitlerjunge Salomon“(1990), sowie die für den Oscar nominierten Filme „Bittere Ernte“ (1985) und „Europa, Europa“ (1990). Auch an Kieślowskis Trilogie „Drei Farben“ wirkte sie mit. Vor „Burning Bush“ drehte Holland das Drama „In Darkness“ (2011), das das Schicksal der jüdischen Gemeinde im von den Nazis besetzten Lemberg erzählt und für den Oscar in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ nominiert wurde. Filmisch wird Holland dem polnischen „Kino der moralischen Unruhe“ zugeordnet. Ihre ersten Filme entstanden in Prag, dann kehrte sie nach Polen zurück und arbeitete mit den Regisseuren Andrzej Wajda und Krzysztof Zanussi zusammen. Emigrierte 1981 nach Westeuropa, lebte einige Jahre in Deutschland, dann in Frankreich. In den neunziger Jahren ging sie in die USA. Holland lebt heute in Frankreich, den USA und Polen.
Der Film „Hořící keř“
beginnt mit der Selbstverbrennung des Studenten Jan Palach am 16. Januar 1969 auf dem Prager Wenzelsplatz und erzählt nah an historischen Begebenheiten von den Reaktionen in Palachs studentischem Umfeld, seiner Familie und der Geheimpolizei, die die Tat als Mord verunglimpfen will. Palachs Familie und die Anwältin Dagmar Burešová kämpfen schließlich in einem Gerichtsprozess gegen einen kommunistischen Abgeordneten, der Jan Palach kurz im Zuge der Massenproteste bei der Beerdigung öffentlich bloßgestellt hatte, um die Wahrheit über die Tat ans Licht zu bringen.
Dreiteiliges Drama (3 × 80 Minuten), Tschechien 2013, nicht im Kino zu sehen, sondern auf dem Digitalkanal HBO Europe. Tschechisch mit englischen Untertiteln. Regie: Agnieszka Holland, Drehbuch: Štěpán Hulík.
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