Piussi Riot
Tschechische Filmemacher stellen sich hinter Zuzana Piussi. Für ihren Dokumentarfilm über Korruption im slowakischen Justizwesen soll die Regisseurin hinter Gitter
28. 11. 2012 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: Slovenská televíza
Es klingt wie das Drehbuch zu einem Mafia-Streifen. Im Frühjahr 2009 wird der Richterin Marta Lauková angetragen, den Boss eines internationalen Menschenschmugglerrings aus dem Gefängnis zu holen – auf Wunsch des Justizministeriums. Lauková lehnt ab und lässt in der Sache ermitteln. Von diesem Tag an wird ihr Leben zur Hölle. Schikane von höchster Stelle, Zwangsversetzungen, Demütigungen. Als Lauková krank wird, behauptet ihre Vorgesetzte, sie simuliere. Ihr wird das Krankengeld aberkannt. Kurz darauf fällt die Richterin ins Koma und stirbt an Herzversagen.
Die Vorgesetzte, die auf die Freilassung des Menschenschmugglers gepocht und später aus Rache beim Richterrat die Einstellung des Krankengeldes veranlasst hat, heißt Helena Kožíková und tritt in einer Schlüsselszene des slowakischen Dokumentarfilms „Nemoc tretej moci“ („Die Krankheit der dritten Gewalt“) auf. Die Tochter der verstorbenen Richterin Lauková bezichtigt sie in einem dramatischen Streitgespräch, mitverantwortlich für den Tod ihrer Mutter zu sein.
Krankheitsbilder
„Ich habe die Probleme eines ganzen Systems aufgezeigt, ich habe niemanden persönlich geschädigt“, erklärt die Filmemacherin Zuzana Piussi. Kožíková – die in dem Film anonymisiert wurde und angeblich mit den Aufnahmen einverstanden war – sieht das anders. Sie wirft der Regisseurin vor, die „Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes“ verletzt haben. Dafür drohen Piussi bis zu drei Jahre Gefängnis. Zudem verlangt Kožíková von der Regisseurin und dem Slowakischen Fernsehen 40.000 Euro Schadensersatz.
„Die Krankheit der dritten Gewalt“ zeigt ein bekanntes Problem. Die slowakische Justiz ist seit Jahren gelähmt. Eine Gruppe von Richtern um Štefan Harabin – als Lauková den zweifelhaften Wunsch nach Freilassung ablehnte, bekleidete dieser das Amt des Justizministers – hält die entscheidenden Stellen im Rechtssystem besetzt und manipuliert die Rechtsprechung zum Vorteil von zahlungskräftigen Interessengruppen. 70 Prozent der Slowaken setzen kein Vertrauen in ihre Gerichtshöfe.
Piussi wollte nicht wegsehen. Nun könnte sie zum Opfer der Krankheit werden, die sie in ihrem Film aufdeckt.
„Ich war geradezu schockiert, als ich den Film zum ersten Mal gesehen habe. Er gibt einen komplexen und tiefgründigen Eindruck“, sagt Regisseur und Filmtheoretiker Vít Janeček. Zusammen mit knapp 100 prominenten tschechischen Kollegen, forderte Janeček den slowakischen Präsidenten Ivan Gašparovič kürzlich in einem offenen Brief dazu auf, Piussi im Falle ihrer Verurteilung Amnestie zu gewähren. „Der Film problematisiert die Rechtsprechung an (manchen) slowakischen Gerichten“, schreiben die Filmemacher, „dass die Regisseurin eines solchen Films für ihre Reflexion derart bestraft werden soll, beunruhigt uns zutiefst.“
Der Druck auf die Slowakei wächst. In Bratislava und Prag wurde für Piussi protestiert. In einer Unterschriftenaktion heißen Bürger die Tat von Piussi gut und fordern die selbe Strafe für sich selbst. Hinter die mutige Filmemacherin hat sich auch Tschechiens Außenminister Karel Schwarzenberg gestellt: „Sie hat einen hervorragenden Film gedreht. Wenn sie verurteilt wird, wirft uns das 20 Jahre zurück“, zitiert die slowakische Tageszeitung SME den Minister.
Piussi selbst ist ob der Solidaritätsbekundungen gerührt und entsetzt zugleich: „In was für einer Zeit leben wir, in der Leute wie während des Kommunismus Unterschriften sammeln, um andere zu verteidigen? Ich bin aber dankbar dafür, ich würde sonst mit Sicherheit im Knast landen.“
Privatisierung der dritten Gewalt
Der Vergleich zum Kommunismus wird in der Slowakischen Republik in letzter Zeit öfter gezogen. Štefan Harabin – der selbst in der kommunistischen Tschechoslowakei hinter dem Richterpult stand – hat vor allem die Gerichte in der Ostslowakei fest in seiner Hand. 2011 hat die Internationale Richtervereinigung die Rechtsprechung in Bratislava unter die Lupe genommen. Angeprangert wird vor allem Harabin, der die Mängel des Systems zu seinen Gunsten missbrauche.
Sein Netz spannt der 55-Jährige von der Schaltzentrale des slowakischen Justizwesens aus, dem Richterrat, dem er seit Jahren vorsitzt und dem einige Schlüsselkompetenzen vom Justizministerium übertragen wurden. Der Richterrat schlägt neue Richter vor und beantragt beim Obersten Gerichtshof – dem Harabin auch vorsitzt – deren Abberufung.
Laut Daniel Lipšic, der in der Regierung von Iveta Radičová bis April 2012 Innenminister war und der politischen Gruppierung Nová väčšina vorsitzt, hat Harabin die slowakische Justiz in den vergangenen Jahren „privatisiert“. Eine Gruppe höriger Richter manipuliert auf dubiose Aufträge hin Gerichtsverfahren. Gegen Kritiker führt Harabin Rachefeldzüge. Mehrere Hunderttausend Euro Schadensersatzzahlungen hat sich der Richter bereits von den slowakischen Medien vor Gericht erstritten, im Oktober gewann er in Straßburg auch gegen den slowakischen Staat. Nachdem die Generalstaatsanwaltschaft Harabins enge Beziehungen zu einem Drogenboss öffentlich bestätigte, erstritt sich der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofes eine Zahlung von 150.000 Euro vom Staat – wegen Rufschädigung.
Auf dem Weg der Besserung?
Nicht nur der Tod von Lauková hat die slowakische Öffentlichkeit schockiert. Juraj Majchrák, Gründerfigur des einst vielversprechenden Rechtssystems der neu gegründeten Republik, sah sich, nachdem Harabin den Richterrat unter seine Gewalt gebracht hatte, mit einer unendlichen Reihe von Disziplinarverfahren konfrontiert. Mit der Zeit wurde Majchrák schwer depressiv und erhängte sich vor knapp zwei Jahren in seiner Garage.
Es sind nicht nur diese besonders dramatischen Fälle, die die slowakische Justiz im internationalen Vergleich des Weltwirtschaftsforums auf Platz 140 von 144 abrutschen ließen. Aber es sind diese Fälle, die die Öffentlichkeit aufrütteln und Filmemacher wie Zuzana Piussi dazu bringen, die „Krankheiten der dritten Gewalt“ auf Video zu bannen. Neben der Solidarität mit der 41 Jahre alten Regisseurin gibt es auch bei der dritten Gewalt vorsichtige Anzeichen der Besserung: Seit Mai bilden die Harabin-treuen Talarträger nicht mehr die Mehrheit im Richterrat.
Vít Janeček versteht Piussis Film auch in einem weiteren Zusammenhang: „Ihr Film ist mit gewissem Abstand betrachtet auch für den tschechischen Kontext bedeutsam. Er ist ein Aufruf an alle Filmemacher, ähnliche Dinge zu versuchen.“
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