Planspiele im Prager Sandkasten

Planspiele im Prager Sandkasten

Alles auf Anfang: Nach dem Ende der Stadtregierung steht ein neues Koalitionsgeschacher bevor

17. 11. 2015 - Text: Ivan DramlitschText: Ivan Dramlitsch; Foto: Matěj Stropnický

Die Prager Stadtpolitik ist derzeit vor allem mit sich selbst beschäftigt. Dass diese Art der Selbstbeschäftigung selten zu nennenswerten Ergebnissen führt, stellte die Hauptstadt­koalition vergangene Woche besonders eindringlich unter Beweis. Trotz zahlreicher stundenlanger Verhandlungen und mehreren Vermittlungsversuchen konnten die Akteure am Ende nur das konstatieren, was sich bereits seit dem Sommer angebahnt hatte: Nach rund einem Jahr ist die Prager Stadtkoalition aus ANO, Sozialdemokraten (ČSSD) und der sogenannten Dreierkoalition, einem Zusammenschluss aus Christdemokraten, Grünen und Unabhängigen, gescheitert.

Umstrittener Stropnický
Was dem vorausging und die unmittelbare Ursache des Zerwürfnisses war, erinnert an trotzige Kinder, die sich im Sandkasten gegenseitig ihre Burgen zertreten. Da wurde zunächst der Grünen-Stadtrat und stellvertretende Bürgermeister Matěj Stropnický mit Stimmen von ANO und ČSSD – also den eigenen Koalitionspartnern – aus dem Amt gewählt. Nach dem Motto ,wie du mir so ich dir‘ sorgte die Dreierkoalition mit ihren Stimmen im Gegenzug für die Abwahl von drei weiteren Stadträten von ANO und Sozialdemokraten. Die Selbstdemontage der Prager Koalition war vollendet.

Gekriselt hatte es zwischen den Koalitionären freilich schon länger. Konflikte entzündeten sich dabei immer wieder an der Person Matěj Stropnický. Der 32-jährige Sohn von Martin Stropnický, Schauspieler und derzeit tschechischer Verteidigungsminister, gehört dem linken Flügel der Grünen an und gilt als eine Art charismatischer Hoffnungsträger der in Tschechien darbenden Partei. Dass ausgerechnet dieser „linke Jungspund“, der in der Vergangenheit wiederholt die seiner Ansicht nach zu entgegenkommende Amigo-Politik gegenüber Developern beklagte, als Stadtrat für Stadtentwicklung für so strategisch wichtige und sensible Bereiche wie Flächennutzungsplan und Bauvorschriften zuständig sein sollte, war den Koalitionspartnern offenbar von Beginn an ein Dorn im Auge. Folgerichtig betrieben sie seine sukzessive Entmachtung, die im August darin gipfelte, dass Stropnický die Ressortkompetenz für die neuen Prager Bauvorschriften entzogen wurde – der erste große Koalitionskrach und der Anfang vom Ende der Rathauskoalition. „Es gibt keine Veränderungen, die alten Projekte und Praktiken werden fortgesetzt“, reagierte Stropnický auf seine Entmachtung und nannte die Koalitionspartner ANO und ČSSD „Freunde der alten Ordnung“. Die Ende Oktober erfolgte Abwahl Stropnickýs war lediglich der formale Schlusspunkt eines sich Monate hinziehenden Konflikts.

Wie es in Prag politisch weitergeht, ist derzeit offen. Die Regierungsbildung in der Hauptstadt gilt ohnedies als kompliziert, da in der 65-köpfigen Stadtverordnetenversammlung sieben Parteien vertreten sind. Neben den Ex-Koalitionären ANO (17 Sitze), Sozialdemokraten (8) und Dreierkoalition (8) sind dies noch die Schwarzenberg-Partei TOP 09 (16), die ODS (8) sowie Kommunisten und Piraten (je 4 Sitze). Als sicher gilt jedoch, dass entweder ANO oder die TOP 09 die nächste Stadtregierung anführen. Dass die beiden stärksten Parteien gemeinsam ins Regierungsboot steigen, ist nicht ausgeschlossen, aber derzeit unwahrscheinlich. Dabei spielen weniger grundsätzlich inhaltliche Differenzen eine Rolle als vielmehr persönliche Animositäten. Besonders die TOP 09 sendet im Vorfeld möglicher Koalitionsverhandlungen sehr selbstbewusste Signale aus. „Eine lebensfähige Koalition ohne unsere Beteiligung ist nur äußerst schwer vorstellbar“, so der Chef der Prager TOP-09-Fraktion Václav Novotný.

Schwierige Koalitionsbildung
ANO als stärkste Prager Partei ist hingegen an einer Fortsetzung der eben erst gescheiterten Koalition interessiert – freilich mit zumindest teilweise neuem Personal. Während sich die Sozialdemokraten gegenüber einem erneuten Zusammengehen mit ANO aufgeschlossen zeigen, scheint das Vertrauensverhältnis zur Dreierkoalition nachhaltig gestört. Insgesamt halten sich die Parteien nach außen bedeckt, niemand möchte sich um die Chance einer Regierungsbeteiligung bringen. Und so will keiner etwas „grundsätzlich ausschließen“, da es jede Menge „denkbarer Optionen“ gibt – in Prag ist jetzt alles auf Anfang. Beobachter gehen davon aus, dass es erst im kommenden Jahr zu einer Koalitionseinigung kommt. Es bleibt abzuwarten, ob bis dahin auch über politische Inhalte gesprochen wird. Denn die kommen in der derzeitigen Diskussion um die politische Zukunft Prags kaum vor.