Politische Nutzpflanze
In Tschechien wird immer mehr Raps angebaut –aus zweifelhaften Gründen
20. 4. 2016 - Text: Zuzana Loubet del BayleText: Zuzana Loubet del Bayle; Foto: APZ
Im Frühjahr ist der Raps auf tschechischen Feldern nicht zu übersehen. Die Pflanze mit der leuchtenden Farbe und dem markanten Geruch wird auf immer größeren Flächen angebaut. Rapsöl kann zum Kochen verwendet werden – aber auch als Biokraftstoff. Dessen Herstellung fördert die Europäische Union mit dem Ziel, den Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtverbrauch zu steigern. In Tschechien hat sich der Rapsanbau jedoch zu einem Thema entwickelt, das längst nicht mehr nur Landwirte und Umweltschützer interessiert.
Tschechien gehört weltweit zu den größten Rapsproduzenten: Im Jahr 2013 lag es auf dem elften Platz hinter Kanada, China und Frankreich, aber vor Russland. Die Rapsfelder machen hierzulande 16 Prozent der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche aus und liegen damit knapp hinter Weizen – das Ergebnis einer langen Entwicklung seit der politischen Wende im Jahr 1989. In etwas mehr als einem Vierteljahrhundert hat sich die besäte Fläche fast vervierfacht. „Raps ist nicht sehr anspruchsvoll. Ihn kann man selbst in Regionen anbauen, die für die Landwirtschaft weniger gut geeignet sind, etwa in der Böhmisch-Mährischen Höhe oder in Westböhmen“, erklärt Miroslav Jírovský vom Tschechischen Bauernverband.
Es gibt jedoch auch Stimmen im Land, die meinen, der Rapsanbau würde die Landschaft verunstalten. Manche sprechen von „gelbem Meer“, „Rapswüsten“ oder sogar von einem „stinkenden gelben Kraut“. Menschen, die an Allergien leiden, schätzen die Pflanze auch nicht gerade. Denn ihre Pollen können allergische Reaktionen der Atemwege auslösen.
Angesichts der Tatsache, dass der Rapsanbau so stark zugenommen hat, fürchten manche, er würde auf tschechischen Feldern den Platz traditioneller Pflanzen einzunehmen, die als „nützlicher“ betrachtet werden – wie Rüben oder Kartoffeln. Miloš Porč, Vorsitzender der Landwirtschaftskammer in Olomouc, ist deswegen verbittert: „Die Region Haná gehört zu den fruchtbarsten in unserem Land und sogar in Europa. Der Boden hier ist ideal für den Anbau von Rüben. Aber unsere Bauern sind gezwungen, den Trends auf dem Weltmarkt zu folgen und haben begonnen, Raps anzubauen.“
Unheilvolle Effekte
Zu den Kritikern zählen auch die Förster. „Raps wächst früh im Frühling und ist oft die erste grüne Pflanze. Wenn Hirsche ihn in großen Mengen fressen, können sie daran sterben. Je mehr sich die Rapsfelder ausdehnen, desto dringender wird das Problem“, erklärt Josef Pubal, Sprecher der Böhmisch-Mährischen Förstervereinigung. Außerdem können die Rapsblätter zu Beginn des Frühlings von Pilzen befallen werden, die giftige Stoffe enthalten und deshalb gefährlich für Tiere sind. Warum also werden die Rapsfelder trotzdem immer größer?
Wie anderswo in Europa verdankt der Raps seinen Erfolg auch in Tschechien dem Aufstieg der Biokraftstoffe. Diese werden seit einigen Jahren als Alternative zu Erdöl im Verkehrssektor betrachtet. So gab die EU 2009 eine Richtlinie heraus, derzufolge der Anteil der Biokraftstoffe im Verkehrswesen bis zum Jahr 2020 auf zehn Prozent steigen soll. Diese Politik dient nicht nur dem Kampf gegen die Erderwärmung, sondern auch dem Bestreben der europäischen Staaten, ihre Abhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren. Inzwischen hat Brüssel aber den Rückwärtsgang eingelegt.
Im Oktober 2012 räumte die Kommission ein, dass die Produktion von Biokraftstoffen einen unheilvollen Effekt auf die weltweite Lebensmittelsicherheit hat – und wegen des hohen Energieverbrauchs letztendlich auch auf den Kampf gegen die Erderwärmung. Daher wurde das Ziel auf sieben Prozent gesenkt, jedoch ohne dass davon abgesehen wurde, Biokraftstoffe der sogenannten ersten Generation zu verwenden, zu denen auch Rapsöl zählt. Um die Klimaziele zu erreichen, fördern die EU sowie der tschechische Staat seit 2009 die Produktion von Biokraftstoffen im Land. Zudem verpflichtet das Gesetz Raffinerien, jedem Liter Erdöl zwei Prozent Rapsöl beizumischen. Folglich wird heute ein Drittel das angebauten Rapses als Biokraftstoff verwendet.
Davon profitieren die Autofahrer, die froh sind, dass sie für ihren Kraftstoff weniger bezahlen müssen, aber auch die Bauern. Denn die steigende Nachfrage treibt den Preis in die Höhe. „Raps ist für Landwirte die rentabelste Pflanze“, sagt der Vorsitzende der Landwirtschaftskammer Jan Veleba. Was ihnen nicht auf dem heimischen Markt abgekauft wird, das exportieren sie ins Ausland, vor allem nach Deutschland, wo laut Gesetz sogar vier Prozent Biokraftstoff beigemischt werden müssen.
Die Herstellung von Biokraftstoff in Tschechien ist ein Markt, dessen Volumen auf 2,5 Milliarden Kronen pro Jahr (etwa 92 Millionen Euro) geschätzt wird. Über das Thema ist in den vergangenen Monaten auf politischer Ebene viel diskutiert worden. Vor allem weil Finanzminister Andrej Babiš (ANO), zweitreichster Mann des Landes und Vizepremierminister, zugleich den Konzern Agrofert steuert – ein wahres Imperium in der Lebensmittel- und Chemieindustrie. Er steht an der Spitze von mehr als 300 Unternehmen, außerdem besitzt er die Pressegruppe Mafra, der mehrere wichtige Zeitungen im Land gehören.
Ermittlungen gegen Agrofert
Seit er im Januar 2014 in die Regierung eingezogen ist, tritt Babiš als aktiver Verteidiger einer Gesetzgebung auf, die die Produktion von Biokraftstoff fördert. Man kann den Verdacht schöpfen, dass er das nicht in erster Linie der Umwelt zuliebe macht. Der Hauptgrund dürfte sein, dass von der Förderung die Unternehmen des Konzerns Agrofert profitieren, der mehr als die Hälfte des Biokraftstoffmarktes kontrolliert. Miroslav Kalousek, wichtigster politischer Gegner des Finanzministers und Vorsitzender der Oppositionspartei TOP 09, prangert seit mehreren Monaten einen Interessenkonflikt an – und er ist nicht der einzige. „In einem normalen Land würde dieser Interessenkonflikt ausreichen, um die Regierung zu Fall zu bringen und der betroffene Minister könnte nie mehr ein politisches Mandat erlangen“, schrieb der Journalist Martin Černý bereits im April vergangenen Jahres im Magazin „Reflex“. In Brüssel ist der mögliche Interessenkonflikt nicht unbemerkt geblieben. Ende 2015 hat das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) Ermittlungen wegen europäischer Subventionen eingeleitet, die Agrofert erhalten hat.
Unterdessen entschieden die tschechischen Abgeordneten im November vergangenen Jahres, auch weiterhin die Produktion von Biokraftstoff zu fördern – durch Subventionen und Steuernachlässe mindestens bis zum Jahr 2020. Ohne diese Unterstützung wäre der Preis für Biokraftstoff zu hoch für die Verbraucher, die auf Erdöl zurückgreifen würden. In diesem Fall würde Tschechien niemals das von der EU vorgeschriebene Ziel von sieben Prozent Biokraftstoff-Anteil bis 2020 erreichen.
Die Autorin ist Dozentin am Institut national des langues et civilisations orientales in Paris. Der Artikel erschien auf Französisch am 20. März 2016 in der Online-Zeitschrift „RSE. Regard sur l’Est“. Übersetzung: Corinna Anton
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