„Premium-Kooperation“ in angewandter Forschung
Tschechische Regierung und Fraunhofer-Gesellschaft vereinbaren langfristige Zusammenarbeit
27. 10. 2016 - Text: Josef FüllenbachText: Josef Füllenbach; Foto: Úřad vlády ČR
In Tschechien entfaltet der öffentliche Forschungssektor zu wenig Interaktion mit geeigneten Partnern aus dem Ausland – und das trotz verstärkter Förderung aus dem Staatshaushalt. Die Zusammenarbeit zwischen Forschungsinstituten und der Wirtschaft ist unbefriedigend, sodass Forschungsergebnisse zu wenig in innovative Produkte und Produktionsprozesse übertragen werden. „Tschechien bleibt hinter dem globalen Trend der Stärkung von Forschung und Innovation durch Unternehmen zurück.“ Zu diesem Befund von aktuellen Engpässen gelangt eine Bestandsaufnahme, die der neuen Strategie der tschechischen Regierung für Forschung, Entwicklung und Innovationen zugrunde liegt. Der Ausbau der Kooperation mit Partnern jenseits der Grenze gehört folgerichtig zu den obersten Prioritäten dieser Strategie, die in den nächsten vier Jahren eine Trendwende bringen soll.
Gleichsam als Schritt, das daraus resultierende Aufgabenheft abzuarbeiten, haben am 19. Oktober der Rat der Regierung für Wissenschaft, Forschung und Innovation und die Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung in der Deutschen Botschaft in Prag eine Vereinbarung unterzeichnet, die der beiderseitigen Zusammenarbeit ein neues und möglichst dauerhaftes Fundament geben soll. Seit Jahren schon sind einzelne Institute der Fraunhofer-Gesellschaft ebenso wie andere deutsche Forschungseinrichtungen mit tschechischen Partnern konkrete Projektpartnerschaften an der Schnittstelle von Forschung und innovativer Produktion eingegangen. Allein die Fraunhofer-Gesellschaft hat 2015 rund 2 Millionen Euro für konkrete Projekte mit Tschechien aufgewandt.
Der Besuch von Bundeskanzlerin Merkel im August dieses Jahres führte allen den hohen Stellenwert vor Augen, den beide Regierungen einer engeren Kooperation in der angewandten Forschung beimessen: Die Kanzlerin nahm sich trotz eines äußerst eng gestalteten Besuchsprogramms die Zeit, das neue Zentrum für Informatik, Robotik und Kybernetik der Prager Technischen Universität zu besuchen. Dort hat sie mit den Forschern diskutiert und durch ihre Anwesenheit dem Abschluss einer Kooperationsvereinbarung mit dem Deutschen Forschungszentrum für künstliche Intelligenz ein besonderes Gewicht verliehen.
Hohe Erwartungen
Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, dass Premierminister Bohuslav Sobotka (ČSSD) vergangene Woche den Präsidenten der Fraunhofer-Gesellschaft, Reimund Neugebauer, in seinem Regierungsamt zu einem Gespräch empfing, um seinerseits zu unterstreichen, wie sehr Tschechien an der Zusammenarbeit gelegen ist. Dieses Interesse wurde in der Botschaft auch durch die Teilnahme von etwa 200 Vertretern aus der tschechischen Industrie und Wissenschaft am „Deutsch-Tschechischen Fraunhofer-Technologie-Dialog“ bestätigt, der sich unmittelbar an die feierliche Unterzeichnung der Kooperationsvereinbarung anschloss und sich unter anderem solchen Themen wie Industrie 4.0, IT-Sicherheit, Innovationsmanagement oder Finanzierung der angewandten Forschung widmete.
Die gegenseitigen Erwartungen sind hoch gesteckt. Der Abteilungsleiter Volker Rieke vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sprach gar von einer „Premium-Kooperation“ und der deutsche Botschafter, Arndt Freiherr Freytag von Loringhoven, hob hervor, dass die Arbeitsgruppe „Wissenschaft und Entwicklung“ von den insgesamt zehn Arbeitsgruppen, die Deutschland und Tschechien im Rahmen ihres im Sommer 2015 vereinbarten „Strategischen Dialogs“ eingerichtet haben, derzeit die aktivste und bedeutendste sei. Auf der anderen Seite wurden die tschechischen Regierungsvertreter, allen voran der Vizepremierminister Pavel Bělohrádek (KDU-ČSL), nicht müde zu betonen, dass die notwendigen Gelder im Prager Budget gesichert seien – ein Punkt, der früher schon einigen Ärger bereitet hatte. Nach Aussagen der Botschaft konnten im Verlauf der Dialogveranstaltung bereits einige konkrete Projekte „angeknüpft“ werden.
Knappe Fördermittel
Was letztlich aus den vielen Hoffnungen, „Anknüpfungen“, Vereinbarungen und Zusagen wird, wird sich noch erweisen müssen. Die Grundvoraussetzungen für eine enge und fruchtbare Zusammenarbeit, darin waren sich alle einig, sind jedenfalls gegeben. Die Wirtschaftsstrukturen beider Länder sind ähnlich. Die wirtschaftliche Verflechtung mit Deutschland ist für Tschechien bei Weitem breiter und tiefer als mit jedem anderen Partner. Die lange gemeinsame Geschichte ist ein Kapital, das nun, nachdem die schwierige unmittelbare Vergangenheit nicht mehr die zentrale Rolle wie früher spielt, ebenfalls positiv in die Waagschale fällt. Dennoch warf Ralf Wehrspahn, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen in Halle, einen eher vorsichtigen Blick in die Zukunft: Man könne sich zwar theoretisch vorstellen, dass nach einigen Jahren einmal ein Fraunhofer-Institut in Tschechien angesiedelt würde, aber zur Realisierung solcher Träume sei es nicht nur ein sehr weiter, sondern auch ein schwieriger Weg. Er könne nur begangen werden, wenn die projektgebundene Kooperation in der Praxis auf Dauer hält, was sie an einem solchen Feiertag verspricht.
Entscheidend dürfte sein, ob das Interesse an dieser Zusammenarbeit auf beiden Seiten stabil bleibt, sodass für beide Partner der Einsatz langfristig lohnend erscheint. Das tschechische Interesse ist klar. Bělobrádek brachte es auf den Nenner, es sei die Ambition Tschechiens, die eigene Wettbewerbsfähigkeit weniger auf niedrige Löhne zu gründen (Stichwort „verlängerte Werkbank der deutschen Industrie“), etwa als Zulieferer der deutschen Automobilindustrie. Stattdessen müsse ein immer größerer Anteil der tschechischen Marktstellung auf hochinnovativen Produkten und intelligenten Lösungen beruhen. Da Fraunhofer auf europäischer Ebene als führende Organisation für angewandte Forschung gilt, sei die nun angebahnte Zusammenarbeit ein vielversprechender Weg. Standorte mit Forschungsinstituten, die mit Fraunhofer zusammenarbeiten, versprechen sich schon allein von dem Namen einen zählbaren Wettbewerbsvorteil – Brünn mit seiner Technischen Universität und dem Schwerpunkt Maschinenbau ist ein Beispiel. Zudem dürfte der Hinweis „Fraunhofer“ im innertschechischen Zank zwischen Grundlagen- und angewandter Forschung um knappe Fördermittel zu einem gewichtigen Argument bei Entscheidungen über die Mittelverteilung werden.
Kritische Stimmen
Und das deutsche Interesse? Zum einen spielen einzelne tschechische Forscher oder Institute durchaus auch im Weltmaßstab in der Oberliga mit, zum Beispiel in der Nanotechnologie oder im Maschinenbau. Die Substanz, um eine Partnerschaft auf Augenhöhe einzugehen, ist vorhanden, was die Kooperation lohnend erscheinen lässt. Außerdem ist angewandte Forschung politisch wenig sensibel. Eine jetzt schon gute und in Zukunft noch engere Kooperation in diesem Bereich – wie auch auf anderen „unpolitischen“ Feldern – muss aus deutscher Sicht besonders willkommen sein, wenn es an anderer Stelle nicht so gut läuft wie etwa in der Migrationsfrage, die zeitweise alles andere zu überschatten drohte.
Da Deutschland aber generell an guten Beziehungen zu seinen östlichen EU-Nachbarn sehr gelegen ist, liegt es nahe, das Kontakt- und Kooperationsnetz gerade mit Tschechien als dem noch relativ zugänglichsten Visegrád-Land so eng wie möglich zu gestalten. Schließlich wird man sich in Berlin dessen bewusst sein, dass die in mancher Hinsicht einseitige wirtschaftliche Abhängigkeit Tschechiens von Deutschland hierzulande zunehmend kritisch beäugt wird. Erzählungen von gewaltigen Gewinntransfers nach Westen, darunter nach Deutschland, machen ebenso die Runde wie Befürchtungen eines allmählichen Niedergangs der Gesundheitsversorgung wegen der permanenten Abwerbung und Abwanderung junger Ärzte nach Deutschland. In dieser Gemengelage kann man sich nur wünschen, dass bald prominente Erzählungen über positive Auswirkungen des Zusammenwirkens mit dem großen Nachbarn das allgemeine Bild aufhellen.
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