Radikaler Reformator
Die Ansichten von Jan Hus sind auch heute noch aktuell
1. 7. 2015 - Text: Friedrich GoedekingText: Friedrich Goedeking; Bild: „Meister Jan Hus auf dem Konzil von Konstanz“ von Václav Brožík, 1883
Vor 600 Jahren, am 6. Juli 1415, starb Jan Hus für seine aus der Bibel gewonnene Wahrheit auf dem Scheiterhaufen. 100 Jahre vor Luther bezeichnete er den Papst als Antichrist, kritisierte die reiche Kirche und prangerte die Unmoral und Habgier der Kleriker an.
Wie würde der Reformator Jan Hus über die heutige Kirche urteilen? Sicher wäre er auf der Seite der Kritiker, die sich entrüsten über den Bau des prunkvollen Bischofspalais, den der Limburger Bischof errichten ließ. Aber er würde darüber hinaus auch den Reichtum der katholischen Kirche in Deutschland anprangern, deren Vermögen auf 220 Milliarden Euro geschätzt wird und die in Deutschland der größte Großgrundbesitzer ist. Er würde jene Priester anklagen, die in sexuelle Missbrauchsskandale verwickelt sind, und seine Kirche dafür rügen, dass sie häufig versucht hat, diese Fälle zu vertuschen. Mit Interesse würde er die Kritik von Papst Franziskus aufnehmen, der den Mitgliedern der Kurie in seiner letzten Weihnachtsansprache Arroganz, Hartherzigkeit und Machtstreben vorgeworfen hat.
Aber Hus war in seiner Ablehnung der Papstkirche radikaler. Er verglich sie mit einem Körper, der von Lepra zerfressen sei. Seine Forderung vor 600 Jahren, dass die Kirche auf weltlichen Besitz und Macht verzichten solle, hat an Aktualität nichts verloren.
Mut zum Widerstand
Warum tut sich die katholische Kirche so schwer, diesen frommen Reformator, der als Ketzer verbrannt wurde, zu rehabilitieren? Der deutsche Kardinal Walter Brandmüller vertrat kürzlich die Meinung, dass Hus zu Recht als Häretiker verbrannt worden sei, weil er eine Kirche wollte, die sich nicht auf die Autorität des Papstes und die kirchliche Hierarchie gründet.
Woher nahm Jan Hus seine Überzeugungen und den Mut zu seiner radikalen Kirchenkritik? Sein Credo lautete, „alle religiöse Wahrheit ist in der Bibel enthalten (…) Die Bibel ist ganz wahr und hinreichend zur Seligkeit des Menschengeschlechts.“ Nicht dem Papst, nicht der Kurie, den Klerikern oder Priestern ist ein Christ Gehorsam schuldig. Hus kommt zum Ergebnis: „Gegen den vom rechten Weg abirrenden Papst zu rebellieren, heißt dem Herrn Christus gehorchen.“
Die Wortverkündigung wird für Hus Dreh- und Angelpunkt der Reformation der Kirche. Das Lesen der Bibel, das Hören der Predigt und der daraus resultierende Mut zur Kritik und zum Widerstand bilden für Hus das Fundament des christlichen Glaubens. Die Ratio hat bei Hus einen hohen Stellenwert. Er kritisiert die Wundersucht, die Verehrung der Reliquien und die Anbetung der Heiligen. Nicht die Teilnahme am Abendmahl ist entscheidend für die Zugehörigkeit zur rechten Kirche, sondern das Hören auf das Wort der Bibel. Er selbst hat deshalb das Predigen als seine Lebensaufgabe angesehen: In der Prager Bethlehemskapelle, die mehr als 3.000 Zuhörern Platz bot, hat Hus von 1402 bis 1412 täglich auf Tschechisch gepredigt und dabei insgesamt etwa 2.000 Mal auf der Kanzel gestanden.
Verkannt und verdrängt
Hus hat die Position des einzelnen Laien enorm gestärkt. Wenn die Kirchenoberen und die weltlichen Herren bei der Reform der Kirche versagen, dann sollen die Laien die Verantwortung dafür übernehmen. In einem antihussitischen Pamphlet ereifern sich Gegner des Jan Hus darüber, dass seine Anhänger „Prediger machen aus Schustern, Müllern, Metzgern, Bäckern, Gerbern, Barbieren und anderen Handwerkern. Sogar Frauen ist es erlaubt zu predigen.“
Hus hat sich als gläubiger Christ und Theologe für eine Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern eingesetzt. In der tschechischen Geschichte wurde seine religiöse Motivation oft verdrängt: Jan Hus wurde zum Nationalhelden, auf den sich die Tschechen in ihrem Kampf gegen die habsburgische Fremdherrschaft beriefen. Die tschechischen Kommunisten feierten ihn als ersten Sozialrevolutionär.
Hus hat die Ständegesellschaft seiner Zeit nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Aber er hat mit der Kirche die mächtigste Institution seiner Zeit angegriffen und es war nur ein kleiner Schritt, dass seine Anhänger auch gesellschaftliche Reformen forderten und sich dabei auf Hus’ Polemik gegen die Ausbeutung der Armen durch Steuern und Abgaben beriefen.
„Wie 1938“
30 Jahre PZ