Regenbogen über Prag
Das fünfte Prague-Pride-Festival feiert kleine und große Unterschiede
29. 7. 2015 - Text: Katharina WiegmannText: Katharina Wiegmann; Foto: Prague Pride/Lucie Eggenhoffer
Ein gesunder Mensch hat im Normalfall eine Körpertemperatur von ungefähr 36,5 Grad Celsius. Und das unabhängig davon, ob sich die dazugehörige Person als hetero-, bisexuell, transgender, lesbisch oder schwul begreift. „Wir sind alle gleich warm“ ist das Motto der diesjährigen Prague Pride. Es soll darauf anspielen, dass sich Schwule im Tschechischen als „teplý“, also warm, bezeichnen.
Von 10. bis 16. August will das Festivalteam um Direktorin Kateřina Saparová mit der Veranstaltung einen Dialog zwischen der LGBT-Community (englische Abkürzung für die Gemeinschaft der Lesbischen, Schwulen, Bi- und Transsexuellen) und der Mehrheitsgesellschaft herstellen. Außerdem haben die Organisatoren ein umfangreiches Rahmenprogramm vorbereitet: Neben einem Konzert von Eurovision-Song-Contest-Gewinnerin Conchita Wurst und des „London Gay Choir“ erwarten die Besucher Theater- und Filmvorführungen, Sportveranstaltungen und Aktionen für Kinder. „Die Menschen fürchten sich immer vor dem, was sie nicht kennen. Deshalb wollen wir mit dem Festival gegenseitiges Verständnis wecken. Die Prague Pride ist nicht nur eine fröhliche Parade am 15. August, sondern eine ganze Woche abwechslungsreiches Programm, bei dem für jeden etwas dabei ist“, so Saparová.
Sexuelle Minderheiten können in Tschechien vergleichsweise unbeschwert ihre Liebe leben. Im vergangenen Jahr veröffentlichte das amerikanische „Pew Research Center“ Umfragen zum Thema Moral. Von den Bürgern 40 verschiedener Länder wollte es wissen, wie sie zu Homosexualität stünden. In Tschechien sprachen sich 80 Prozent der Befragten für gesellschaftliche Akzeptanz von gleichgeschlechtlicher Liebe aus. Damit gehört das Land in den Augen der Forscher zu den liberalsten der Welt. Bohdana Rambousková, Pressesprecherin der Prague Pride, stimmt dem Befund zu, sagt aber, dass bei den ersten Pride-Umzügen in der tschechischen Hauptstadt noch eine andere Stimmung herrschte: „Es war eine kleine Veranstaltung und die Bevölkerung reagierte mit Vorbehalten. Viele hatten Angst, dass die Leute auf der Straße Sex haben werden. Inzwischen haben wir eine gute Beziehung zu einem großen Teil der Öffentlichkeit. Heterosexuelle und Familien kommen zur Parade, nicht mehr nur die LGBT-Gemeinschaft. Einfach weil es Spaß macht.“ Damit ähnelt die Prager Veranstaltung eher den bunten Straßenfesten, wie sie regelmäßig auch in vielen westeuropäischen Städten stattfinden, als einer politischen Kundgebung.
Drohbriefe und Proteste
Schon einige hundert Kilometer weiter östlich ist die Situation eine andere: In Bratislava mussten im vorigen Jahr Polizisten in Schutzbekleidung den Umzug vor aggressiven Protestierenden schützen. In diesem Jahr findet die Parade nicht statt. Auch in Ungarn ist der Regenbogen-Marsch regelmäßig ein Politikum; und in Russland untersagen die Behörden ähnliche Veranstaltungen schon seit Jahren. Präsident Wladimir Putin unterzeichnete im Jahr 2013 ein Gesetz, das die „Propaganda von Homosexualität“ für illegal erklärt – mit dem Ziel, Minderjährige vor Inhalten zu schützen, die traditionellen Familienwerten entgegenstehen.
Trotz grundsätzlicher Toleranz gibt es auch in Tschechien Gegner der Prague Pride. In diesem Jahr richtete Adam Bartoš, Vorsitzender der rechtsextremen Partei „Národní demokracie“, einen offenen Drohbrief an Czeslaw Walek, den langjährigen Direktor der Veranstaltung: „Unsere Partei bereitet eine Reihe von Aktionen vor, die die Unannehmbarkeit solcher widernatürlicher Initiativen aufzeigen. (…) Sollten Sie weiterhin die Durchführung der Demonstration planen, wird unsere Kampagne Fahrt aufnehmen: Wir haben schon viele Ideen, wie wir den Bürgern Prags und der Tschechischen Republik zeigen können, dass es sich hier um eine perverse Aktion handelt, die eine Bedrohung für sie darstellt.“
Rambousková spricht von einem Erpressungsversuch, auf den die Veranstalter nicht reagieren wollen; der Brief sei an die Polizei weitergeleitet worden. „Natürlich gibt es Menschen, die dagegen sind und denken, dass Homosexualität nicht sichtbar sein sollte, oder sogar, dass LGBT-Aktivisten ins Gefängnis gehören. Diese Leute bedienen sich einer starken, arroganten Rhetorik und so werden ihre Stimmen gehört“, kommentiert sie die Drohungen. „Zum Glück müssen wir während der Pride aber nicht um unsere Sicherheit fürchten, oder davor Angst haben, dass Massen von Menschen auftauchen, die uns attackieren wollen. Wir kooperieren auch sehr gut mit der Polizei, die jedes Jahr einen tollen Job macht.“
Kritik übt die Sprecherin der Prague Pride allerdings an den tschechischen Medien, die das Thema „sexuelle Minderheiten und rechtliche Gleichstellung“ weitgehend ignorieren würden. „Im letzten Jahr haben wir eine Umfrage in Auftrag gegeben, die bestätigte, dass LGBT-Themen wie das Adoptionsrecht oder die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare von den Medien nur im Zeitraum um die Prague Pride aufgegriffen werden. Kurzfristig öffnen sie sich für diese Fragen, bei denen politisch und rechtlich noch viel getan werden muss, und dann wird es für den Rest des Jahres wieder still.“
Diskussionen anstoßen
Ein Anliegen der Prague Pride ist es daher auch, möglichst viele Diskussionen anzustoßen. Die Debatte „Pride Voices“ („stolze Stimmen“) mit internationalen Gästen wie der ehemaligen isländischen Ministerpräsidentin Jóhanna Sigurðardóttir und ihrer Ehefrau, der Autorin Jónína Leósdóttir findet am Dienstag, 11. August im Französischen Institut statt. Neben einem „Pride Village“ auf der Schützeninsel (Střelecký ostrov) und den Räumen der Menschenrechtsorganisation „Člověk v tísni“ („Menschen in Not“) wird auch das Schwanda-Theater in Smíchov mit drei internationalen Bühnenproduktionen eines der Festivalzentren bilden.
Insgesamt spiegelt das Programm all jene verschiedenen Lebensbereiche wider, in denen Lesben, Schwule, Transgender und andere sexuelle Identitäten dem Druck der Norm ausgesetzt sein können. Der ehemalige BP-Topmanager John Browne wird über sein von den Medien erzwungenes Outing in der Geschäftswelt sprechen und ein Olympia-Schwimmer von seinen Erfahrungen als offen homosexueller Sportler berichten. Und auch Gottesdienste gehören zum Programm. „Gläubige LGBT-Menschen haben es oft besonders schwer. Zur Rechtfertigung gegenüber der Mehrheitsgesellschaft kommt diejenige gegenüber der Kirche und die innere Zerrissenheit hinzu, die sich durch den Glauben an Gott und die eigene Orientierung ergeben“, erklärt Rambousková.
Dass es sich bei der Prague Pride nicht nur um eine Party handelt, betont Direktorin Saparová. Das zehnköpfige Kernteam, in dem selbst verschiedene Geschlechteridentitäten zusammenkommen, ist darüber hinaus nicht nur während des einwöchigen Festivals aktiv. Seit Februar betreibt es die Internetseite „Sbarvouven.cz“, auf der Menschen von ihren Erfahrungen berichten oder anderen Rat geben. So schreibt zum Beispiel Svatava, wie das Coming Out ihres Sohnes ihr Leben veränderte, oder Fipah, dass er/sie sich weder als Frau noch als Mann begreift. Mit einem Klick kann man ihnen oder den 30 anderen Ehrenamtlichen eine Nachricht schicken. Über 700 Personen haben seit Februar von dem Angebot Gebrauch gemacht – ein klarer Beweis, dass ein offenes Ohr oftmals gebraucht wird.
Dass Menschen miteinander in Kontakt treten, wünscht sich das Festivalteam am meisten. Rambousková hofft, dass sich möglichst viele neugierige Passanten und auch Touristen vom bunten Programm auf die Schützeninsel locken lassen. Und dann zum Beispiel an einem Yoga- oder Tanz-Workshop mit Personen aus der LGBT-Gemeinschaft teilnehmen – und merken, dass die sexuelle Orientierung keinen Unterschied macht.
Prague Pride. 10. bis 16. August, verschiedene Veranstaltungsorte, Eröffnungskonzert mit Conchita Wurst am 10. August auf der Schützeninsel, Prague Pride Parade am 15. August ab 12 Uhr, Treffpunkt Wenzelsplatz, mehr Informationen unter www.praguepride.cz
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