Revolution in der Backstube

Revolution  in der Backstube

Ein Litauer und eine Japanerin wollen Licht in die Welt des tschechischen Einheitsbrots bringen

10. 9. 2014 - Text: Corinna AntonText und Foto: Corinna Anton

Wenn ein Kunde den Laden betritt, schaltet Aleksan Zaviackas die Lampen in der Vitrine an. Das Licht fällt auf Süßes und Salziges: auf Törtchen mit Vanillecreme und Rosinen, auf Quiche-Stückchen mit Tomaten und Zwiebeln und auf viel Unbekanntes mit komplizierten Namen. „Anmaki pie“ zum Beispiel oder „Matcha melon“. Aleksan lächelt und deutet auf die einzelnen Gebäckstücke, von denen sich jeweils nur eine Handvoll in der Vitrine befindet. Er beginnt von links: „Anmaki pie ist ein süßes Gebäck mit roten Bohnen, Macha melon verdankt seine hellgrüne Kruste dem japanischen Macha-Tee …“ Aleksan redet über pikante Eiertörtchen und Apfelküchlein, über die süßen Schnecken und die Zutaten des Reisbrots. „Das habe alles ich gebacken“, sagt der 28-Jährige und strahlt.

Er trägt ein Gewand, das wie eine Mischung aus einem Schlafanzug und einem Kimono aussieht und wirkt damit fast ein bisschen japanisch. Aber der Chefbäcker der japanischen Bäckerei im Prager Stadtteil Nusle kommt aus Litauen. Aus Japan kämen die meisten Rezepte, die Besitzerin und Bäckermeisterin Rie Inagaki sowie der Name der Bäckerei, erklärt Aleksan: „Hotaru“ bedeutet so viel wie Leuchtkäfer oder Glühwürmchen und soll laut Inagaki ein wenig Licht in die dunkle Welt der Einheitsbackwaren bringen. Die japanische Bäckermeisterin ist auch Pianistin und kam vor einigen Jahren wegen der Musik nach Prag.

Sie habe sich entschieden, in der Stadt eine Bäckerei zu eröffnen, weil sie immer wieder von Bekannten darum gebeten worden sei, die sich über die schlechte Qualität der hiesigen Backwaren beschwert haben. Ihr Handwerk hat sie in Tokio gelernt. Gebacken werde nach eigenen Rezepten und ohne chemische Zusätze, versichert die Japanerin, die zugleich Musik-Professorin ist und deshalb wenig Zeit hat, in der Backstube zu stehen.

„Kleine Revolution“
Das übernimmt Aleksan, der mit seiner Chefin die Begeisterung für japanische Backwaren teilt. „In Japan essen die Leute eigentlich gar kein Brot“, sagt er. Ein Bäcker müsse sich deswegen viel größere Mühe geben, müsse den Kunden etwas anbieten, das schmeckt und gut aussieht. „Nicht so wie hier, wo es überall das gleiche gibt.“ Seit zwei Jahren versuchen Inagaki und Aleksan in Prag eine „kleine Revolution“, wie der Chefbäcker sagt. Backstube und Verkaufsraum haben sie in einem ehemaligen Trafohäuschen am Ostrčilovo náměstí im Stadtteil Nusle eingerichtet. Das Gebäude stehe schon mehr als hundert Jahre, meint Aleksan, zuletzt habe es einen Hotel in der Nähe als Lager genutzt. Bevor die Bäckerei vor zwei Jahren eröffnen konnte, musste viel umgebaut werden. „Der Boden und die Treppen sind neu, außerdem brauchten wir einen neuen Wasseranschluss“, erzählt der Chefbäcker.

Er steht nicht nur von 20 Uhr bis sechs Uhr morgens in der Backstube, um zusammen mit einem Gehilfen täglich knapp zwei Dutzend Sorten Süßes und Salziges zu kreieren, sondern ist auch für alle anderen Arbeiten zuständig: Er habe die Dekoration gemacht, zeigt er stolz auf ein Mobile an der Decke, und sich um die Einrichtung sowie die technische Ausstattung gekümmert. Manchmal übernimmt er auch noch den Verkauf. Wann schläft er eigentlich? Eine richtige Antwort gibt der 28-Jährige nicht. „Können Sie kurz aufpassen“, fragt er stattdessen und schlürft mit seinen Schlappen aus dem Laden. „Sagen Sie einfach, der Bäcker ist gleich zurück.“ Nach zwei Minuten kommt er wieder, hat gegenüber etwas zu trinken besorgt.

Schon vor der Eröffnung habe er für Hotaru gearbeitet und sich mit um den Umbau des Trafohäuschens gekümmert, erzählt er, seit zwei Jahren sei er nun Bäcker und Verkäufer und auch Teilhaber. „Insgesamt wird es etwa fünf Jahre dauern, bis das Geschäft richtig angelaufen ist. Bis dahin muss man viel Zeit, Geld und Nerven investieren.“ Er ist überzeugt, dass sich der Einsatz lohnen wird. Wenn sich die Bäckerei erst einen Namen gemacht habe, könne sie lange bleiben und auch in der nächsten und übernächsten Generation noch bestehen. „Wenn man etwas macht, dann muss man es richtig machen“, erklärt der Wahlprager seine Philosophie. Das Gebäck soll schmecken und der Einkauf zum Erlebnis werden – ein Verkaufsgespräch kann da schon einmal etwas länger dauern, auch wenn es „nur“ um eine Rosinenschnecke und ein Hörnchen aus Blätterteig geht.

Skepsis und Neugier
Zwei junge Touristinnen betreten das Geschäft, Aleksan schaltet das Licht in der Vitrine an, wartet kurz ab, welche Sprache sie sprechen, dann begrüßt er sie auf Russisch. „Was ist das“, fragt eine der Frauen. Wieder beginnt Aleksan zu erklären, was heute im Sortiment ist, was sich hinter den komplizierten Namen verbirgt und welche Zutaten seine Chefin aus Japan mitbringt. Die Kunden entscheiden sich für Reisbrot, das mit getrockneten Tomaten gefüllt ist, und eine faustgroße Tarte mit Vanillecreme, dazu nehmen sie ein paar Kekse, die schwarzen Tee beinhalten. Als sie sich verabschiedet haben, löscht Aleksan das Licht in der Vitrine.

„Sie waren aus dem Hotel gegenüber“, meint der Litauer. Dort werden immer wieder Touristen in die Bäckerei geschickt, eine gute Werbung für Hotaru. Langfristig möchte Aleksan aber vor allem mehr einheimische Kunden gewinnen. Die Menschen aus der Nachbarschaft seien zunächst ein wenig skeptisch gewesen, aber auch neugierig. „Wenn sie einmal kommen, merken sie, dass wir gut und nicht teuer sind und werden bald zu Stammkunden.“ Die Preise sind tatsächlich relativ niedrig, etwa fünf bis 30 Kronen zahlt man für die Törtchen, Schnecken und Brötchen. Die Gewinnspanne sei gering, sagt Aleksan, aber am Anfang komme es vor allem darauf an, dass die Kunden wieder kämen. Wieder geht die Tür auf, wieder macht er Licht in der Vitrine. „Die Lampen gehen schnell kaputt, wenn man sie so oft ein- und ausschaltet.“ Würde er sie brennen lassen, würde das aber dem Gebäck schaden, meint der Chefbäcker, es würde vom Licht und von der Wärme trocken werden. Da nimmt er lieber in Kauf, dass er ab und zu die Birnen wechseln muss.