Rosa Räder für alle
Prag hat sein erstes großes Bikesharing-System. Die PZ hat „Rekola“ getestet
15. 5. 2014 - Text: Martin NejezchlebaText und Foto: Martin Nejezchleba
Sie fallen auf: Rund 40 rosa Fahrräder sind seit Mai auf den Straßen von Prag unterwegs. Fahren kann auf ihnen jeder, der einen Mitgliedsbeitrag bei „Rekola“ bezahlt und sich an ein paar einfache Regeln hält. Die tschechische Hauptstadt – und mit ihr Brünn und Olomouc – hat endlich ein Bikesharing-System, das nicht nur auf ein Stadtviertel beschränkt ist.
Der Magistrat spricht zwar schon seit Langem von einem städtischen Fahrradverleih, wie man ihn aus Berlin, Paris oder Barcelona kennt. Bislang reichten die Anstrengungen der Politiker aber lediglich dazu, eine Machbarkeitsstudie in Auftrag zu geben. Vítek Ježek und seine Kollegen von „Rekola“ hatten das Warten satt – und haben kurzerhand ein eigenes Bikesharing-Projekt ins Leben gerufen. „Das Leben ist zu kurz, um im Stau zu stehen“, sagt Ježek. Die „Prager Zeitung“ hat die rosa Fahrräder getestet.
Das System ist erfrischend einfach. 200 Kronen im Monat oder 1.000 Kronen im Jahr (7,30/36,50 Euro) kostet die Mitgliedschaft im Verein „Rekola“. Sobald das Geld überwiesen ist, kann es losgehen. Am Morgen möchte ich von meiner Wohnung ins Büro. Vor der Haustür schalte ich meine „Rekola“-App ein – und erlebe die erste Enttäuschung. Der nächste rosa Flitzer ist 952 Meter von mir entfernt – in der falschen Richtung. Das Damenrad heißt Anežka und wird in der App mit „Eingangrad, Schutzblech, Gepäckträger, Korb“ beschrieben. Ich mache also einen schönen Morgenspaziergang in die Finská-Straße.
Schweiß auf der Stirn
Anežka hat ein Stück Klebeband auf dem Schutzblech, darauf eine Nummer. Wenn ich diese in mein Smartphone eintippe, bekomme ich umgehend den Code für das Zahlenschloss zurück. Anežka ist für meine 1,90 viel zu klein geraten und das Attribut Eingangrad treibt mir schon beim ersten Hügel hinauf ins Viertel Vinohrady den Schweiß auf die Stirn. Bergab ist dann die Welt wieder in Ordnung – auch wenn der Hinterreifen deutlich mehr Luft vertragen könnte.
Ein Team von Freiwilligen kümmert sich um die Instandhaltung der Räder. Doch kommen sie kaum hinterher. „In Prag gibt es eine ganze Menge Fahrrad-Hasser, wir haben ständig mit Vandalismus und abgelassenen Reifen zu kämpfen“, gibt Ježek zu. Der etwas klapprige Zustand, in dem sich die Räder befinden, hat noch einen anderen Grund – er und die auffallende rosa Farbe sollen vor Diebstahl schützen. „Rekola“ hat eine Kooperation mit dem Projekt „Räder für Afrika“. Die Drahtesel, die vor dem Transport aussortiert werden, streicht „Rekola“ rosa an und gibt ihnen Namen – Horymír etwa.
Der böhmischen Legende nach entfloh Horymír vor seiner eigenen Hinrichtung mit einem beherzten Sprung über die Moldau – im Gegensatz zu seinem Pferd Šemík hat Horymír den Satz überlebt und wurde begnadigt. Einen besseren Weggefährten kann ich mir für den Prager Innenstadtverkehr nicht wünschen. Horymír wartet vor dem Kundenzentrum im Hauptbahnhof auf mich. Gleiches Zahlenspiel wie mit Anežka – für Smartphone-Verweigerer geht das Ganze im Übrigen auch per SMS. Den Standort muss man dann am heimischen Computer herausfinden.
Horymír macht seinem Namen alle Ehre – tapfer kutschiert er mich bis zur Metrostation Malostranská, die Fünfgangschaltung funktioniert, das ungestüme Scheppern des Schutzblechs ersetzt die Klingel im Touristen-Nadelöhr Můstek.
Freiwillige Mechaniker
Den Berg hinauf in den sechsten Bezirk spare ich mir dann doch lieber. Ehrlich gesagt, ich bin zu faul den Berg hochzufahren – zudem hat „Rekola“ noch ein weiteres Manko. Stehen lassen kann man die Räder außerhalb ausgesuchter Viertel nur für maximal zwei Tage, um die Instandhaltung durch freiwillige Mechaniker gewährleisten zu können, wie Ježek erklärt.
Am nächsten Morgen habe ich Glück – Vesna steht unweit von meiner Wohnung. Als ich sie, an einen Baum gelehnt, sichte, nähert sich ihr ein junger Mann, der gerade etwas in sein Handy tippt. Er stellt sich als Josef vor, und wir sind uns schnell einig, dass er Vesna zuerst entdeckt hat. Josef trägt seine schwarzen Haare als Zopf und ist zufrieden mit den rosa Rädern. „Aber es sollten noch mehr Fahrräder sein“, sagt er und steigt auf den Sattel. Sein Viertel Žižkov liegt außerhalb des „Rekola“-Gebiets. Weil er dort ein Fahrrad zu lang stehen ließ, hat er schon eine Mahnung per SMS bekommen. Man arbeite an einer größeren Reichweite, sagt Ježek, ebenso wie an einer verbesserten App.
Fazit: „Rekola“ ist etwas für Mutige und Fitte. Die Kombination Metro/Rad ist aber – zumindest im Zentrum – in puncto Schnelligkeit unschlagbar. Den Fahrradservice und die Angst vor Diebstahl kann man „Rekola“ überlassen. Aber: Das nächste Rad ist oft zu weit weg und klappert entschieden zu viel.
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