Runter vom Sofa!
Prag ist Europäische Sporthauptstadt des Jahres – zu Recht?
13. 1. 2016 - Text: Corinna AntonText: Corinna Anton; Foto: Prague International Marathon
Ein grauer Januarnachmittag, der letzte Schneematsch taut am Moldauufer. In knallig orangefarbenem Trikot läuft eine Joggerin vorbei. Seit knapp zwei Wochen ist Prag Europäische Sporthauptstadt – wirkt sich das schon aus? Wohl kaum, denn die Dame sieht aus, als hätte sie nicht erst an Neujahr begonnen, sich für den Laufsport zu begeistern. Und außerdem schmückt sich Prag mit einem Titel, der doch recht ungreifbar daherkommt.
Seit 2001 zeichnet die gemeinnützige Vereinigung ACES (European Capitals and Cities of Sport Federation) jedes Jahr eine Sporthauptstadt aus. Madrid und Stuttgart waren schon dran, ebenso Warschau, Mailand und Rotterdam. Auf Prag werden Marseille, Sofia und Budapest folgen. Die Liste vermittelt den Eindruck, als dürfte jeder mal – zumal ohnehin nur Hauptstädte oder Städte mit mehr als 500.000 Einwohnern in Frage kommen. Ein Auswahlverfahren gibt es dennoch. In ihrer Bewerbung sollten die Kandidaten glaubhaft machen, dass sie Sport unterstützen.
Von Prag wollte die ACES-Kommission zum Beispiel wissen, wie der Sport-Haushalt aussieht, wie viele Sportstätten und aktive Sportler es gibt und was die Stadt unternimmt, um Jugendlichen, Senioren und Menschen mit Handicap die Teilnahme am Sportangebot zu ermöglichen. Positiv wertete die Jury zum Beispiel das Projekt „Praha sportovní“, das unter anderem die jährliche „Kostenlose Sportwoche“ organisiert und Vereinen hilft, Kinder und Jugendliche anzuwerben.
Für dieses Jahr kündigt die Stadt „mehr als 400 Aktionen“ an. Ein großer Teil davon würde wohl auch ohne den Hauptstadt-Titel stattfinden – darunter Großveranstaltungen wie der Prag-Marathon oder kleinere Feste und Meisterschaften von Vereinen und Stadtteilen. Allerdings können die Organisatoren 2016 auf höhere Zuschüsse hoffen. Rund 500 Millionen Kronen (etwa 19 Millionen Euro) stehen im Haushalt für Sport bereit; im vergangenen Jahr waren es 400 Millionen. Der für Sport zuständige Stadtrat Jan Wolf (Christdemokraten) verspricht, dass auch mehr in Sportstätten investiert werde.
Derzeit gibt es dem Magistrat zufolge 712 Anlagen, darunter 55 Freibäder, 33 Hallenbäder (einschließlich Schwimmbäder in Hotels und Fitnessstudios), 53 Sporthallen, 255 Spielplätze und mehr als 300 Turnhallen.
Glaubt man der Analyse, die der Prager Magistrat auf seinen Internetseiten veröffentlicht hat, sind die Prager schon jetzt ziemlich sportlich. Fast 60 Prozent gaben darin nämlich an, aktive Sportler zu sein. Besonders beliebt sind Fußball und Fitnesstraining – diese Sportarten betreiben der Umfrage zufolge jeweils 18 Prozent der Prager mindestens einmal pro Woche. Auf den Plätzen drei bis fünf landeten Schwimmen (16 Prozent), Laufen (15 Prozent) und Wandern (zehn Prozent). Das Jahr als Sporthauptstadt hätte man sich bei so viel Begeisterung fast schenken können. Denn dessen Ziel ist es, dass nach zwölf Monaten 60 Prozent der Bevölkerung Sport treiben.
Wer nun meint, er könne 2016 die Füße hochlegen, hat nicht mit Stadtrat Wolf gerechnet. Er ist regelmäßig im Stadion der Bohemians 1905 anzutreffen und ein „Sportler mit Leib und Seele“, wie er über sich selbst sagt. Er weiß wohl, dass man immer einen Ansporn braucht, deswegen hat er sich ein neues Ziel ausgedacht: Jeder Prager sollte in diesem Jahr mindestens ein Kilo abnehmen, so schlug es Wolf im Dezember vor. Gut 1,2 Millionen Kilo würde die Stadt somit abspecken.
„Die Stadt hat es verdient“
Was die Prager vom Titel halten
Luft anhalten, Bauch einziehen. Wer sich in der Europäischen Sporthauptstadt 2016 sehen lassen will, der sollte eine gute Figur machen. Doch was sagen die Prager über den Titel?
„Es hat mich etwas überrascht, dass Prag Europäische Sporthauptstadt ist. Prag bemüht sich langfristig nicht, gute Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich die Einwohner täglich bewegen. Durch den Titel wird sich nicht viel ändern. Ich erwarte eher, dass Veranstaltungen, die sowieso in Prag stattfinden, im Zusammenhang mit der Sporthauptstadt präsentiert werden. Ich wäre positiv überrascht, wenn Prag das Jahr nutzt, um für mehr Bewegung in der Stadt zu sorgen, zum Beispiel Radfahrer zu unterstützen. Ich gehe davon aus, dass Prag die Bedingungen erfüllt, um diesen Titel zu tragen, eine Stadt mit guten Bedingungen für Sport stelle ich mir aber anders vor.“
Hana Škodová leitet die Bürgerinitiative Auto*Mat, die sich für eine höhere Lebensqualität in der Stadt einsetzt, vor allem für Fußgänger und Radfahrer. Die 38-Jährige treibt Sport am liebsten in der Natur, zum Beispiel auf dem Rad, auf Langlaufskiern oder im Kajak. Sie geht auch gerne schwimmen, findet aber, dass es in Prag vor allem im Winter nicht genug Möglichkeiten dafür gibt.
„Ich gehe davon aus, dass der Titel Sporthauptstadt für Prag damit verbunden ist, sportliche Aktivitäten mehr zu fördern, was eine gute Sache wäre. Und ich wünsche mir, dass die Stadt unsere Skateboard-Schule unterstützt, die wir im Mystic Skatepark im April bereits im fünften Jahr für Kinder anbieten. Dass Prag den Titel verdient, glaube ich schon, man kann hier Dutzende Sportarten betreiben, sei es in traditionellen Vereinen oder in neueren Klubs, die in den vergangenen 15 Jahren entstanden sind.“
Tomáš Rejman, 49, ist Vorsitzender des Mystic Skatepark Štvanice und trainiert Baseballspieler der Alterskategorie U13 im Verein Tempo Titans Praha. Seine Kinder, neun und elf Jahre alt, spielen Baseball, fahren Skateboard im Mystic Skatepark und stehen für den Prager Skiklub SK Lajdáček auf Skiern und Snowboards.
„Prag hat diesen Titel auf jeden Fall verdient. Ich sehe ihn als Anerkennung unserer Arbeit, nicht nur in der Gymnastikabteilung, sondern auch in Fitnessstudios, verschiedenen Sportklubs, bei Sportveranstaltungen auf allen Ebenen. Außerdem ist es eine Auszeichnung für alle, die sich einer sportlichen Tätigkeit widmen, sei es organisiert oder privat. Ich erwarte mir mehr Werbung für Sport und Bewegung, mehr Anerkennung von Seiten des Staates, zum Beispiel finanzielle Unterstützung für den Sport, aber auch für den Bau neuer Turnhallen und den Unterhalt oder die Sanierung alter Sportstätten.“
Eva Maršálková hat Sporterziehung und Geographie studiert und ist Übungsleiterin der Gymnastikabteilung des Sokol Praha Vršovice. Die 63-Jährige treibt Sport, wann immer sie Zeit dazu findet, sie geht gern wandern, schwimmen und gibt zweimal pro Woche einen Gymnastikkurs für Senioren.
„Es freut mich, dass Prag Sporthauptstadt ist. Wir organisieren Fußballkurse für Kinder und sind in Kontakt mit den zuständigen Vertretern der Stadt. Als Vater weiß ich, wie schwierig es ist, Kinder, die mit dem Prager Lebensstil aufwachsen, zum Sport zu motivieren. Ich hoffe, dass die Stadt 2016 einige Aktionen für die Öffentlichkeit veranstaltet und vielleicht auch in neue Sportanlagen investiert. Wenn der Titel dazu führt, dass mehr Prager Sport machen, dann wäre das nur gut.“
Als „Botschafter“ des Ballsports versteht sich die Organisation Ambassadors Football Czech Republic, deren Vorsitzender Ondřej Mazaný ist. Der 33-Jährige klagt zwar, dass er immer weniger Zeit für Sport habe, dennoch spielt und trainiert er regelmäßig Fußball, geht ins Fitnessstudio und zum Boxtraining. Mit seiner Familie fährt er gern Fahrrad.
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