Satire statt Protest
Der 17. November wird in Prag mit Kranzniederlegungen und Demonstrationen begangen. Eine Initiative aber will Schweizer Kunst und Witz etablieren
20. 11. 2013 - Text: Adem FerizajText: Adem Ferizaj; Foto: Anna Koutská
Sonntagnachmittag, kurz vor 15 Uhr. Dichte Nebelschwaden wälzen sich durch das Moldautal. Auf dem Platz hinter dem Nationaltheater liegt ein riesiges Schwein, ein schwarzer Förderradbagger und der überdimensionierte Kopf von Präsident Miloš Zeman. Kinder nutzen die Pappmaschee-Objekte, um ihr Versteckspiel noch interessanter zu gestalten. Ihre Eltern legen sich währenddessen ihre Transparente zurecht und gehen noch einmal ihre Parolen durch. Heute vor 24 Jahren wurde nur wenige Meter entfernt, auf der Nationalstraße (Národní třída), mit brutalen polizeilichen Übergriffen auf friedlich demonstrierende Studenten das Ende des kommunistischen Regimes eingeläutet. 2013 feiern rund 300 Leute und 13 NGOs diesen Staatsfeiertag, indem sie die Probleme der tschechischen Gesellschaft mit Satire und bunten Masken darstellen.
„Indem wir die gesellschaftlich relevanten Themen im wahrsten Sinne des Wortes durch die Stadt tragen, machen wir sie für die Bürger greifbar“, erklärt die Gründerin der Initiative FÓR_UM (zu deutsch etwa „Kunst_witz“) Olga Cieslarová. Sie organisiert die Prager Fasnacht bereits zum zweiten Mal und möchte dem 17. November einen anderen, unterhaltsamen und lebendigeren Anstrich geben.
Der Staatsfeiertag erinnert zum einen an den 17. November 1939. An jenen Tag, an dem die Nationalsozialisten tschechische Studenten ermordeten und in Konzentrationslager verschleppten und so weitere Demonstrationen gegen die Okkupation im Keim erstickten. Zum anderen war der 17. November 1989 der Schlüsseltag der Samtenen Revolution und somit der Anfang vom Ende der sozialistischen Tschechoslowakei.
Putzkolonnen und ein brennendes Schwein
Martin Pehal, Mitbegründer der Initiative FÓR_UM, bedauert die überwiegend humorlose Art, diesen Feiertag zu begehen. Mit den Umzügen möchte er seinen Landsleuten eine Alternative zu den offiziellen Gedenkzeremonien auf der Národní třída bieten. Das andere traditionelle Gesicht des Feiertags sind Demonstrationen: Auch in diesem Jahr versammelten sich auf dem Wenzelsplatz rund 200 Rechtsradikale; nur wenige Meter entfernt fand eine Gegendemonstration der Initiative „Gegen Rassismus“ statt, an der etwa 500 Menschen teilnahmen.
Auch bei der zweiten Prager Fasnacht stand der Kampf gegen Xenophobie und Rassismus im Vordergrund. Gleich drei Organisationen befassten sich mit der Diskriminierung der Roma in der tschechischen Gesellschaft. Eine Gruppe, mit Putzkübeln maskiert und Besen bewaffnet, parodierte die Anti-Roma-Proteste, bei denen im vergangenen Sommer fast wöchentlich Neonazis gemeinsam mit Anwohnern durch die Städte zogen und sie von ihren „unangepassten“ Mitbürgern säubern wollten. Das überdimensionierte Pappschwein wiederum sollte auf die Schweinefarm verweisen, die heute auf dem einstigen Roma-Konzentrationslager im südböhmischen Lety steht. Musizierende Roma trugen das Schwein durch die Stadt, um es schließlich im Kampa-Park zu verbrennen.
Weitere Schwerpunkte des Umzugs, denen die fantasievollen Kostüme Form gaben: die Lebensbedingungen von Behinderten, die geplante Anhebung der Förderlimits in den Braunkohleminen Nordböhmens, Frauenrechte oder die Kommerzialisierung der Bildung.
Basler Inspiration
Warum sich die Prager ausgerechnet die Basler Fasnacht zum Vorbild genommen haben, hängt mit Olga Cieslarová zusammen. Sie hat selbst viel Zeit in Basel verbracht. Vor drei Jahren nahm sie an der traditionsreichen Basler Fasnacht erstmals teil. Beeindruckt von diesem Umzug, kam ihr die Idee, die Satire der Basler Fasnacht nach Prag zu holen, um die Unzufriedenheit der Bevölkerung in Kreativität umzuwandeln.
Wichtiger Impulsgeber für die Prager Fasnacht war auch der Schweizer Künstler Werner Kern. Bereits im vergangenen Herbst brachte er interessierten Pragern die unverwechselbare Basler Methode der Maskenherstellung bei und leistete somit einen wichtigen Beitrag zum Erfolg der „Prager Cortège“. Auch in diesem Jahr ist Kern zum 17. November aus Basel angereist. Nach dem Umzug ist der Initiatorin Cieslarová die Freude anzumerken. Die zweite Prager Fasnacht soll nicht die letzte gewesen sein: „Es würde mich freuen, wenn es in zehn Jahren das Selbstverständlichste ist, dass die Prager zum 17. November verkleidet und maskiert durch die Stadt laufen, um auf die Probleme ihrer Gesellschaft hinzuweisen.“
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