Schwarzer Protest

Schwarzer Protest

Auch in Prag demonstrieren Menschen gegen das Abtreibungsverbot in Polen – und nicht nur tschechische Frauen zeigen sich solidarisch

5. 10. 2016 - Text: Milena FritzscheText und Fotos: Milena Fritzsche

Kateřina hat sich am vergangenen Samstag schwarz gekleidet. Die 52-jährige Tschechin arbeitet im Buchhandel. Was gerade in Polen passiert, macht sie traurig. „Ich kann nicht verstehen, dass wir im 21. Jahrhundert immer noch über Abtreibungen diskutieren müssen.“ Kateřina hat sich am Palacký-Platz in der Prager Neustadt einer Gruppe angeschlossen. Die meisten sind Frauen. Einige Schwangere sind unter ihnen und Eltern mit Kindern. Manche haben Plakate dabei, auf denen „Solidarität mit polnischen Frauen“ oder „Mein Körper gehört mir“ zu lesen ist.

Das polnische Parlament hat am 23. September in erster Lesung für einen Gesetzentwurf gestimmt, nach dem Abtreibungen nur erlaubt sind, wenn für die Schwangere Lebensgefahr besteht. Wer gegen das Verbot verstößt, dem drohen bis zu fünf Jahre Gefängnis. Bereits jetzt ist das polnische Abtreibungsrecht vergleichsweise restriktiv. Erlaubt ist ein Schwangerschaftsabbruch nur, wenn das Kind schwer krank oder behindert ist, Gefahr für die Gesundheit oder das Leben der Mutter droht, und wenn die Schwangerschaft Folge einer Straftat ist.

In polnischen Städten sind schon mehrmals Menschen gegen das geplante Abtreibungsverbot auf die Straße gegangen. Im Internet verbreitet sich der Widerstand unter dem Hashtag „Czarny protest“ („Schwarzer Protest“) und am Montag wurde im ganzen Land zum Streik der Frauen aufgerufen. Aber auch in anderen europäischen Städten gab es Demonstrationen.

Dominika Szymańska stammt aus Polen, unterrichtet Englisch in Prag, und hat den Protest am Palacký-Platz organisiert. „Ich wollte an den Demonstrationen in Polen teilnehmen, aber wegen der Arbeit konnte ich nicht hin.“ Deshalb rief sie in sozialen Netzwerken zu einer Aktion in Prag auf. Es sei eine spontane Idee gewesen, sagt Szymańska, die von der Resonanz selbst überrascht war. Mit den Teilnehmern wollte sie am Samstag durch die Stadt ziehen, aber das genehmigten die Behörden nicht, sie dürfen sich nur am Palacký-Platz aufhalten.

Szymańskas Blick wandert durch die Menge. Sie freut sich sichtlich: „Ich dachte, dass nur die Polen, die wie ich in Prag leben, sich für die Aktion interessieren würden. Aber jetzt sehe ich vor allem Tschechen hier. Das ist ein tolles Gefühl, diese Unterstützung zu erfahren.“ Mehr Zeit zu erzählen hat sie nicht. Inzwischen haben sich etwa 200 Menschen versammelt. Szymańska tritt gemeinsam mit Lydie Franka Bartošová ans Megafon.

Heda Čepelová, Lydie Franka Bartošová und Apolena Rychlíková

Bartošová hatte bereits drei Tage nach der Entscheidung des Parlaments eine Protestaktion vor der polnischen Botschaft in Prag organisiert. So lernten sich die Frauen kennen, schrieben zusammen Einladungen und verfassten eine Erklärung, die sie nun in tschechischer, polnischer und englischer Sprache verlesen. Das Verbot, heißt es darin, bedeute eine unmittelbare Bedrohung für Gesundheit und Leben der Frauen und befördere „die wirtschaftliche Gewalt gegenüber den ärmsten Frauen in der polnischen Gesellschaft“.

„Nationaler Selbstmord“
Wenn es um Frauenrechte geht, sind sich die Organisatorinnen der Proteste einig, „obwohl wir durchaus unterschiedliche politische Ansichten haben“, wie Bartošová erklärt. Sie ist in der Piratenpartei aktiv. Ihre Mitstreiterin Heda Čepelová gehört dem „Oranžový klub“ („oranger Klub“) an, einem Zusammenschluss sozialdemokratischer Frauen. Die Dritte in der Runde ist Apolena Rychlíková. Sie ist Dokumentarfilmerin und Journalistin des linken Online­magazins „Alarm“. Warum engagieren sie sich gegen das Abtreibungsverbot in Polen? „Als wir von dem neuen Gesetz gehört haben, wollten wir uns mit polnischen Frauen solidarisch zeigen“, erklärt Čepelová. „Es ist ja unser Nachbarland“, fügt Rychlíková hinzu. „In Tschechien ist das Thema Abtreibung politisch weniger relevant.“

Im Gegensatz zu Polen wurden in Tschechien die liberalen Abtreibungsgesetze aus der sozialistischen Ära nicht verschärft. Bis zur zwölften Woche können sich Frauen für eine Abtreibung entscheiden. Eine Beratungspflicht wie in Deutschland gibt es nicht. Neben einem chirurgischen Eingriff ist es seit 2014 möglich, eine Abtreibungspille einzunehmen, die vom Arzt verordnet werden kann. Darüber hinaus sind bis zur 24. Schwangerschaftswoche Abtreibungen aus schwerwiegenden medizinischen Gründen erlaubt. Frauen, die bereits abgetrieben haben, dürfen aber erst nach sechs Monaten erneut eine Schwangerschaft abbrechen.

Einen Versuch, das zu ändern, gab es im Jahr 2004. Damals schlugen acht Christdemokraten und ein Vertreter der konservativen ODS ein Gesetz vor, das Schwangerschaftsabbrüche nur nach einer Vergewaltigung oder bei Lebensgefahr für die Mutter zulassen sollte. Das Abgeordnetenhaus lehnte den Entwurf mit 134 von 170 Stimmen ab.

„Dass Abtreibungen legal sind, heißt aber nicht, dass sie von der Gesellschaft als legitim angesehen werden“, sagt Bartošová. „Die Menschen haben viele Vorurteile gegenüber Frauen, die abtreiben. Sie sagen, diese Frauen wären jung und naiv, alt und arm oder reich und egoistisch. Die wirklichen Geschichten kennen wir nicht, denn in diesem Klima traut sich keine Frau zu sagen: ‚Ich habe abgetrieben‘.“

Zu diesem Klima trägt auch die Kirche bei. So hat der Prager Erzbischof Dominik Kardinal Duka im Frühjahr verkündet, eine Abtreibung sei „schlimmer als ein Terroranschlag“. Rund 4.000 Abtreibungsgegner zogen damals durch die Prager Innenstadt. Unter anderem nahm der stellvertretende Ministerpräsident Pavel Bělobrádek (Christ­demokraten) an diesem sogenannten Nationalen Marsch für das Leben teil. Die Demonstranten schwenkten tschechische Flaggen und der damalige Bischof von Pilsen František Radkovský sagte: „Die Nation und Europa sterben aus und andere Nationen könnten sie ersetzen. Man könnte sagen, wir begehen nationalen Selbstmord.“

Die Mehrheit der Bevölkerung sieht das Thema Abtreibung aber offenbar anders. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts CVVM sprachen sich im vergangenen Jahr knapp 70 Prozent der Tschechen dafür aus, dass Frauen selbst über eine Abtreibung entscheiden sollten. Acht Prozent wollten einen Abbruch nur bei Lebensgefahr für die Mutter zulassen, drei Prozent waren für ein Verbot ohne Ausnahmen.

Demokratien in Gefahr
Handlungsbedarf sehen die Frauenrechtlerinnen in Tschechien daher eher bei anderen Themen: „Die Debatte dreht sich für uns nicht um Abtreibungen. Ein Problem ist die ärztliche Betreuung bei Schwangerschaften“, so Rychlíková. Die zweifache Mutter hat das selbst erlebt: „Es fängt damit an, dass Hausgeburten nicht erlaubt sind. Außerdem gibt es während der Schwangerschaft zahlreiche Tests, auf deren Ergebnisse man sich nicht verlassen kann.“ Auch Bartošová kann das aus eigener Erfahrung bestätigen: „Die männlichen Ärzte folgen bei der Geburt ziemlich starren Regeln, sie wollen die Situation kontrollieren und die Geburt organisieren. Deshalb greifen sie oft vorschnell zu invasiven Methoden. Damit handeln sie aber gegen die Natur. Das ist das Schlimmste, was man der Frau in dem Moment antun kann.“

Nun aber beschäftigt erst einmal das Gesetz in Polen die tschechische Gesellschaft – und zwar nicht nur Frauen. Der Philosoph und Soziologe Václav Bělohradský, der als parteiloser Kandidat der Grünen und der Sozial­demokraten in den Senat einziehen will, hat sich auf Facebook deutlich gegen ein Abtreibungsverbot ausgesprochen und sich dem „Schwarzen Protest“ angeschlossen: „Die Frauen würden ein Recht verlieren, das sie in den sechziger Jahren in ganz Europa erlangt haben“, schreibt er. „Das zeigt, wie gefährdet liberale Demokratien in Mitteleuropa sind und wie schnell Regierungen an die Macht kommen, die sich in ihrer Programmatik den Bürgerrechten verweigern.“

Am Palacký-Platz zeigt unterdessen Tomáš sein schwarzes T-Shirt. Er sei froh, dass er es noch im Kleiderschrank gefunden habe. Die Farbe trägt er nicht gern. Aber für den Protest hat er eine Ausnahme gemacht. Für den 27-jährigen Studenten ist es selbstverständlich, auch als Mann Solidarität zu bekunden: „Abtreibung geht auch Männer als Partner und werdende Väter etwas an. Und in Polen, also mitten in Europa, wird gerade ein Menschenrecht abgeschafft. Das betrifft uns alle.“