Seiner Zeit voraus
Im 17. Jahrhundert warb der Jesuit Bohuslav Balbín für die tschechische Sprache – und überwand konfessionelle Grenzen
31. 8. 2016 - Text: Friedrich Goedeking
Als Ende des Dreißigjährigen Krieges schwedische Truppen die Prager Altstadt zu erobern versuchten, stellten sich ihnen auf der Karlsbrücke tschechische Studenten entgegen. Auch der Jesuitenschüler Bohuslav Balbín half, den Angriff abzuwehren, und wurde schwer verwundet. Heute gilt er in Tschechien als Patriot und als einer der bedeutendsten Historiker der Barockzeit. Im Stadtteil Vinohrady erinnert die Balbín-Straße unweit des Nationalmuseums an den Lehrer und Missionar, der auch Dramen und Gedichte verfasste.
Balbín wurde 1621 in Hradec Králové (Königgrätz) als siebtes Kind einer verarmten Grafenfamilie geboren; sein Taufpate war vermutlich der Feldherr und Politiker Albrecht von Wallenstein. Als Heranwachsender trat er dem Jesuitenorden bei. Dieser war maßgeblich an der Gegenreformation beteiligt, die nach der Niederlage der evangelischen Stände in der Schlacht am Weißen Berg 1620 eingesetzt hatte.
Manche Jesuiten schreckten bei ihren Bekehrungsversuchen auch vor Gewalt nicht zurück. Ein Pater namens Antonín Koniáš rühmte sich, 30.000 bis 60.000 Bücher – die Angaben sind unterschiedlich – verbrannt zu haben. Balbín dagegen versuchte, die Menschen durch Überzeugungsarbeit für den katholischen Glauben zu gewinnen. Als Historiker wollte er die böhmische Geschichte der letzten zwei Jahrhunderte umschreiben, die von den Hussiten geprägt war.
Wie andere katholische Autoren seiner Zeit verteidigte Balbín den von den Protestanten abgelehnten Heiligenkult mit einer Sammlung von Heiligenporträts. Er widmete sich einer umfassenden Darstellung der böhmischen Geschichte, in der er Jan Hus und Hieronymus von Prag als Ketzer anprangerte, während er Gelehrte und Künstler der vorhussitischen Epoche als tief religiöse Persönlichkeiten würdigte.
Balbín war ein Propagator der Gegenreformation. Er lehnte es jedoch entschieden ab, dass die gewaltsame Rekatholisierung auch den Niedergang der tschechischen Sprache und des Nationalbewusstseins einleitete. Er verfasste eine Schrift zur „Verteidigung der slawischen, besonders der tschechischen Sprache“ (1672/1973) und trat für die Anerkennung sowie den Erhalt des Tschechischen ein, das für ihn die Sprache des heiligen Wenzel war. Am Ende seiner Schrift rief er deshalb auch diesen Heiligen an, den er als den „erhabensten und größten der Patrone der böhmischen Länder“ bezeichnete. Balbíns Anliegen wurde schließlich mit der Sankt-Wenzel-Bibel verwirklicht, die zwischen 1677 und 1715 auf Tschechisch erschien.
Bohuslav Balbíns Plädoyer richtete sich gegen den Niedergang des Tschechischen als Umgangs- und Literatursprache auf Kosten der fortschreitenden Germanisierung des Landes. Doch seine Verteidigungsschrift durfte nicht veröffentlicht werden. Er hatte zu deutliche Kritik an den Habsburger Regierungsbehörden geübt, die den Gebrauch des Tschechischen auf Ämtern, in Kirchen und Schulen untersagt hatten. Sein Orden entzog ihm die Lehrbefugnis. Balbín, der 1688 starb, war seiner Zeit um hundert Jahre voraus. Erst mit dem Beginn der nationalen Wiedergeburt konnte seine Schrift 1775 veröffentlicht werden.
Als Humanist schätzte der Jesuit den protestantischen Pädagogen und Theologen Johann Amos Comenius, der sich nach Balbíns Urteil stets zur wahren christlichen Frömmigkeit bekannt habe. Seine Freundschaft zum protestantischen deutschen Dichter und Pädagogen Christian Weise ist ein weiteres Beispiel dafür, dass Balbín sich nicht scheute, konfessionelle Grenzen zu überwinden. Jahrelang tauschten sich die beiden Gelehrten über geschichtswissenschaftliche Themen aus. Der Katholik Balbín versicherte dem evangelischen Pietisten: „Wir lieben Aristoteles, Cicero und Vergil. Wer will uns Christen daran hindern, miteinander befreundet zu sein?“
„Wie 1938“
30 Jahre PZ