Sensationsfund wirft Glaubensfrage auf
Archäologen entdecken eine Basilika auf der Burg Vyšehrad. Sie scheint nach byzantinischem Vorbild gebaut und könnte die böhmische Geschichtsschreibung auf den Kopf stellen: Kam das Christentum doch aus dem Osten nach Böhmen?
27. 8. 2014 - Text: Martin NejezchlebaText und Foto: Martin Nejezchleba
Die Zigarette zwischen Ladislav Varadzins Fingern fällt kaum auf. So flink schüttelt er die Hände von Journalisten, telefoniert, schichtet Kisten mit Gesteinsproben um – ein eiliger Zug zwischendurch – und deutet auf eine Zeichnung, auf der um ein Viereck eine dicke rote Linie mit drei halbkreisförmigen Auswüchsen gezeichnet ist. Es ist dieser rote Grundriss – Jahrhundertfund nennen ihn die tschechischen Medien – der die Zeit des Archäologen von der Tschechischen Akademie der Wissenschaften schrumpfen ließ, wie den Zigarettenstummel in seiner rechten Hand.
„Ich komme nicht mehr zu meiner Arbeit“, sagt Varadzin und seine blauen Augen lächeln dabei durch die unauffällige Brille mit dem Metallrahmen. Seitdem die Archäologen in der vergangenen Woche ihren Fund publik gemacht haben, kamen mehr als 20 Kamerateams und Journalisten an die Fundstelle im Schatten der St.-Peter-und-Paul-Kirche auf dem Prager Vyšehrad. Gründe für den Trubel gibt es laut Varadzin zwei.
„Zum einen ist der Grundriss einzigartig, da es deutliche Anzeichen auf eine Herkunft aus dem byzantinischen Raum gibt“, sagt der Mittdreißiger. „Herausragend ist auch die Größe des Bauwerks, dessen Fläche die St.-Veits-Rotunde auf dem Hradschin um etwa vierzig Prozent übertrifft.“ Ein Sensationsfund ist das allemal. Bislang galt die Rotunde im gesamten westslawischen Gebiet als größtes Bauwerk ihrer Zeit – der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts, auf die auch Varadzins Fund bislang datiert wird.
Varadzin steigt in die rund vier Meter tiefe Grube, mit einem rot-weißen Stab deutet er den Verlauf einer unscheinbaren Rundmauer nach. „140 Zentimeter ist sie breit, ein sehr solides Fundament auf der mit Sicherheit ein sehr schweres, überirdisches Bauwerk stand“, erklärt Varadzin. Von der eigentlichen Basilika, die eine Fläche von 230 Quadratmeter hatte, ist nichts erhalten. Spätere Begräbnisstätten und verschiedene Bauwerke aus dem Hoch- und Spätmittelalter haben die Basilika verschluckt. Heute verläuft eine mehr als zwei Meter hohe Mauer über die östliche Apside der Basilika. Auf dem Großteil des einstigen Kirchenbodens steht ein zweistöckiges Haus im Barockstil.
Darauf einen Birnenschnaps
Bořivoj Nechvátal, ein ergrauter Mann mit mächtigen braunen Augenbrauen, steht neben der Grube, lauscht Varadzins Erläuterungen und nickt. Er war es, der als Erster auf die rätselhaften Fundamente auf dem Vyšehrad gestoßen ist. „Wir nahmen an, es handle sich um die Überreste einer kleineren Kirche im ottonischen Stil“, erklärt Archäologe Nechvátal. 2011 kehrten die Wissenschaftler dann auf den Vyšehrad zurück und stießen auf weitere Abschnitte des Fundaments und eine zweite Apside. Schnell war klar, dass es sich in Wirklichkeit um ein Bauwerk größeren Ausmaßes handelt. Ein hypothetischer Grundriss, den Varadzin heute den neugierigen Journalisten zeigt, wurde aufgezeichnet und die Archäologen kehrten abermals zurück, hoben eine neue Grube aus, dort wo sie die östliche Apside der Basilika vermuteten.
Am 4. August dann stieß ein Kollege von Varadzin einen Schrei aus der Grube aus. Er ist auf eine Mauer gestoßen. Varadzin sprang hinab, nahm Maß, untersuchte die Eigenschaften des Gemäuers. Die östliche Apside war gefunden, der rote Grundriss bestätigt und die Wissenschaftler öffneten eine Flasche Birnenschnaps.
Was wie eine böhmische Variation auf die Abenteuer von Indiana Jones klingt, ist in Wirklichkeit millimetergenaue Fleißarbeit mit Spachtel und Bürste. Seit Anfang Juli arbeiten sich acht Archäologen und studentische Hilfskräfte beständig durch die Bodenschichten. Und mit den Grabungen ist die Arbeit noch lange nicht getan. „Was folgt, ist so etwas wie eine Kriminalgeschichte“, sagt Varadzin.
Jetzt gehe es an das Studium von Literatur und Archivmaterial, man werde Kunst- und Architekturhistoriker aus jenen Gebieten um Rat fragen, aus denen die Bauweise stammen könnte. Klar sei, dass ein solches für die damalige Zeit außergewöhnlich aufwendiges Bauunternehmen nur von einem der regierenden Könige aus dem Stamm der Přemysliden ausgegangen sein muss.
Eine Spur führe zu Boleslav II., dem Gründer des zweitwichtigsten Machtzentrums des frühmittelalterlichen Böhmen, der Burg Vyšehrad. Fest steht auch, dass ein Baumeister mit genauen Kenntnissen dieser für Mitteleuropa untypischen Bauweise beauftragt wurde. Und es sei laut Varadzin und Nechvátal sehr wahrscheinlich, dass es sich um Kirchenarchitektur aus dem Einflussbereich von Byzanz handle. „Falls sich das bestätigt, würde sich die Frage nach der kirchlichen Orientierung der Přemysliden auftun“, sagt Varadzin in eindringlichem Ton. Ein solcher Befund würde die Geschichtsschreibung auf den Kopf stellen. So ging man bislang davon aus, dass die byzantinischen Gelehrten Kyrill und Method zwar die Slawen in Mitteleuropa christianisierten, ihr Einfluss mit dem Untergang des Großmährischen Reichs jedoch geendet haben soll. Bei den böhmischen Přemysliden ging man bislang davon aus, sie seien Anhänger der westlichen Liturgie gewesen.
Varadzin zündet sich noch eine Zigarette an. Er klettert zu einer Mitarbeiterin in die Grube und bespricht die letzten Arbeitsschritte. Noch bis Freitag haben die Archäologen Zeit, alles Wichtige aus der Grube zu bergen. Danach werden Grube und Gemäuer unter der Erde verschwinden.
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