Späte Annäherung
Unterhaus billigt Abkommen zwischen EU und Ukraine. Kiew wartet auf die Unterschrift des „kreml-freundlichen“ Präsidenten Zeman
23. 9. 2015 - Text: Corinna AntonText: ca/čtk; Foto: Evgeny Feldman, CC BY-SA 3.0
Fast wäre die Ukraine in Vergessenheit geraten – und mit ihr das Assoziierungsabkommen, das seit Monaten in den Schubladen der tschechischen Parlamentarier liegt. Zu sehr waren viele Politiker hierzulande zuletzt damit beschäftigt, gegen Flüchtlinge zu wettern; zu sehr drehten sich die öffentlichen Debatten um die angeblichen Gefahren, die muslimische Migranten ins Land bringen könnten. Bis das Unterhaus am Donnerstag vergangener Woche über eine Frage debattierte, über die fast alle anderen EU-Parlamente längst abgestimmt haben. Neben Zypern, Griechenland und Belgien gehört Tschechien zu den letzten vier EU-Staaten, die das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine noch nicht ratifiziert haben.
Nachdem der Senat den Vertrag bereits im Dezember gebilligt hatte, verhinderte die kommunistische KSČM im Mai dieses Jahres, dass im Unterhaus darüber diskutiert wurde. Weil sie ihr Veto einlegte, kam das Thema nicht auf die Tagesordnung. Vier Monate später konnten die Kommunisten nun nicht mehr abwenden, dass das Parlament das Abkommen billigte; für die Ratifizierung stimmten 107 der 138 Anwesenden. Fast alle Gegner kamen aus den Reihen der KSČM.
Vorausgegangen waren der klaren Entscheidung heftige Wortgefechte, die sich über mehrere Stunden zogen. Der KSČM-Abgeordnete Zdeněk Ondráček warf Außenminister Lubomír Zaorálek (ČSSD) vor, nur „nachzuplappern“, was die USA oder die EU von sich geben. Niemand könne behaupten, „dass es in der Ukraine keine Faschisten gebe und diese nicht wieder die Macht an sich reißen“. Verteidigungsminister Martin Stropnický (ANO) entgegnete, falls die Parlamentarier das Abkommen ablehnten, sei das auf „Putins Derwische“ zurückzuführen. Der Vizevorsitzende der konservativen TOP 09 Miroslav Kalousek warf den Gegnern vor, sie lehnten das Abkommen nur ab, weil der russische Präsident Wladimir Putin es nicht wolle.
Dank über Twitter
Petr Fiala, Vorsitzender der Bürgerdemokraten (ODS) gab den Sozialdemokraten eine Mitschuld daran, dass Tschechien eines der letzten Länder ist, die das Abkommen ratifizieren: „Wir sind in Gesellschaft traditioneller Befürworter des russischen Einflusses in Europa“, sagte er mit Verweis auf Griechenland und Zypern, deren Entscheidungen noch ausstehen. Jiří Mihola, Fraktionsvorsitzender der KDU-ČSL, pflichtete ihm bei: „Auch ich empfinde es als Schande, dass die Tschechische Republik zu den letzten Staaten gehört, die dem Abkommen noch nicht zugestimmt haben.“ Um diplomatische Töne bemühte sich dagegen der Außenminister. Der Vertrag sei nicht die Vorstufe zur EU-Mitgliedschaft der Ukraine, vielmehr gehe es um „Reformen und den Kampf gegen Korruption“.
Das Abkommen sieht zum einen die politische Annäherung der Ukraine an die EU vor, indem zum Beispiel neue Foren für den politischen Dialog geöffnet und Grundregeln für die Zusammenarbeit in Bereichen wie Energie, Verkehr und Bildung festgelegt werden. Der Vertrag verlangt von der Ukraine, Reformen umzusetzen und demokratische Grundsätze, die Menschenrechte sowie das Rechtsstaatsprinzip zu achten. Zum anderen zielt das Abkommen auf einen freien Handel ab. Es soll für mehr Arbeitnehmerfreizügigkeit sorgen und die Voraussetzungen für visumfreies Reisen sowie die Annäherung der Rechtssysteme schaffen. Importzölle und andere Handelsschranken sollen abgeschafft werden. Damit das Abkommen endgültig in Kraft treten kann, muss es von allen 28 EU-Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Das ukrainische und das europäische Parlament haben es bereits gebilligt.
Der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin bedankte sich über Twitter umgehend beim tschechischen Parlament. Medienberichten aus Kiew zufolge wartet das Land nun auf die noch fehlende Unterschrift des „anti-ukrainischen“ Präsidenten Miloš Zeman, der für seine „kreml-freundlichen Ansichten“ bekannt sei, wie die Nachrichtenagentur Unian schrieb.
Zeman hat bisher nicht angekündigt, dass er seine Unterschrift verweigern werde. Über die Lage in der Ukraine sprach er zuletzt vor allem im Zusammenhang mit der Debatte um die Aufnahme von Flüchtlingen. Wenn auf europäischer Ebene darüber verhandelt werde, wer wie viele Menschen aufnehme, sollten auch die Ukrainer mit eingerechnet werden, die in Tschechien Zuflucht suchten, so der Präsident. Zugleich wies er darauf hin, dass das seine persönliche Meinung sei, die er nicht mit der Regierung abgesprochen habe. Außerdem wiederholte das Staatsoberhaupt, dass Flüchtlinge aus der Ukraine den Tschechen näherstünden als andere – „sei es wegen ihrer Herkunft oder ihres Fleißes“.
AUS DEM ASSOZIIERUNGSABKOMMEN
Im Juni 2014 unterzeichneten Vertreter der EU und der Ukraine in Brüssel ein Assoziierungsabkommen, das drei Monate später, am 16. September, von den Parlamenten in Kiew und Straßburg ratifiziert wurde. Ursprünglich sollte es schon beim EU-Gipfel im November 2013 im litauischen Vilnius unterschrieben werden. Doch der damalige Präsident Wiktor Janukowytsch verweigerte die Unterzeichnung. Es folgten Proteste und Auseinandersetzungen auf dem Maidan in Kiew. In dem rund 1.200 Seiten starken Abkommen heißt es unter anderem:
– „Zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Ukraine andererseits wird eine Assoziation gegründet. Ziel dieser Assoziation ist es, die schrittweise Annäherung zwischen den Vertragsparteien auf der Grundlage gemeinsamer Werte und enger, privilegierter Bindungen zu fördern und die Assoziierung der Ukraine mit der Politik der EU sowie ihre Teilnahme an Programmen und Agenturen zu verstärken.“
– „Die Vertragsparteien erkennen an, dass sich ihre Beziehungen auf die Grundsätze der freien Marktwirtschaft stützen. Rechtsstaatlichkeit, verantwortungsvolle Staatsführung, die Bekämpfung der Korruption, die Bekämpfung der verschiedenen Formen der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität und des Terrorismus, die Förderung der nachhaltigen Entwicklung und der wirksame Multilateralismus sind für die Intensivierung der Beziehungen zwischen den Vertragsparteien von zentraler Bedeutung.“
– „Der politische Dialog zwischen den Vertragsparteien wird in allen Bereichen von beiderseitigem Interesse weiterentwickelt und verstärkt. Dadurch wird die schrittweise Annäherung in außen- und sicherheitspolitischen Fragen gefördert, um die Ukraine immer stärker in den europäischen Raum der Sicherheit einzubeziehen.“
(veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union am 29. Mai 2014)
„Wie 1938“
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