Spiel mit den Widersprüchen
Matyáš Chochola hat den Jindřich-Chalupecký-Preis gewonnen. Seine Kunst irritiert
8. 12. 2016 - Text: Franziska Neudert, Fotos: Matyáš Chochola
Das könnte länger dauern, sagt Matyáš Chochola. Vor knapp zwei Wochen erhielt der 30-Jährige den Jindřich-Chalupecký-Preis, die hierzulande bedeutendste Auszeichnung für junge Künstler. Nun steht er im Messepalast und soll gemeinsam mit seinen Kollegen, die ebenfalls nominiert waren, sein Werk erklären. „Das scheint wie eine Gruppentherapie für sie zu sein“, lacht er. Etwa 25 Neugierige sind gekommen – mehr als Chochola erwartet hatte – und stellen ihre Fragen. Er dachte, es würden allenfalls eine Handvoll Besucher auftauchen und nach einer Stunde wieder gehen. Ob es ihn nerve, immer wieder seine Arbeit zu erklären? „Nein, das gehört ja auch dazu und ist Teil meines Jobs.“
Chochola führt die Gäste zu seiner Installation: ein ausgebrannter Mercedes, darüber ein Torso. Eine Besucherin geht zaghaft um das Auto herum. „Sie können ruhig hineinschauen, sie brauchen keine Angst zu haben“, ermuntert der Künstler sie. Auf den Fahrersitz liegt ein Laptop, dessen Bildschirm vier Totenköpfe zeigt. Das nächste Werk ist ähnlich verwirrend. Mitten in der Ausstellungshalle stehen zwei kaputte Hometrainer, auf dem Boden liegen leere Getränkedosen.
Die Frage, was man dabei denken soll und ob das Kunst ist, bewirkt ein Funkeln in Chocholas Augen. „Genau darum geht es. Dieser Anblick soll irritieren und alle bisherigen Vorstellungen vom schönen Leben auf den Kopf stellen“, sagt er.
Und er soll die Besucher darauf vorbereiten, was sie in der nächsten Etage erwartet, in Chocholas künstlerischem Universum. Hinter einem Perlenvorhang führt eine Treppe in abgedunkelte Räume. Es ist laut. Das Geräusch dröhnender Motoren mischt sich mit Stimmen und Partymusik. Auf dem Boden liegen Bauschutt, Müll und Alltagsgegenstände. Ein großer Bildschirm zeigt eine Stangentänzerin, zwischendurch überblendet sie immer wieder eine Performance Chocholas. In einem anderen Fernseher läuft ein Autorennen.
Auf der dunklen Seite
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als hätten hier berauschte Menschen zu lange gefeiert, als wäre eine Party in Zerstörung umgeschlagen. Als „aggressiv und superschnell“ bezeichnet Chochola selbst seine Kunst. Sie soll eine Sicht von außen, von einer dunklen Seite des Universums auf die Realität ermöglichen. Und zeigen, wohin „die Zivilisation des weißen Mannes“ geführt hat, wie Chochola es ausdrückt.
Die Jury des Chalupecký-Preises überzeugte er mit seinem abgründigen Werk, in dem alltägliche Dinge auf Technologie und Kunst treffen. Es würde die Schattenseite des Menschen aufzeigen, intelligent mit Sexualität, Körperkult und der Sehnsucht nach Geschwindigkeit und Gefahr spielen, so die Juroren.
Ob er eine Botschaft habe? „Ich will auf jeden Fall niemanden belehren oder vorschreiben, wie man meine Werke zu lesen hat“, antwortet Chochola. „Ich will Spaß, Leben und Energie. Wir vergessen zu oft, dass das Leben Spaß macht.“
Die Kunst helfe ihm, in der Welt zurechtzukommen und das auszudrücken, was er sagen will. Was das genau ist, kann er nicht in einen Satz fassen. Er spricht über die Verbindung zu alten Mythen, über die Wurzeln der Zivilisation und das Rätsel der menschlichen Existenz. Spirituelle Übungen hätten seine Sicht auf die Welt erweitert. In China lernte er zu meditieren, übte Kung Fu und Tai Chi. Daher tauchen immer wieder Elemente fernöstlicher Kultur in seinen Installationen auf. „Mir geht es darum, den spirituellen Aspekt unseres Daseins deutlich zu machen. Man muss nicht der Wirklichkeit entfliehen, um in eine andere Dimension zu gelangen. Sie ist immer schon da.“
Auch dass seine Performances an schamanistische Rituale erinnern, ist kein Zufall. Einerseits verweisen sie auf die heilende Wirkung der Spiritualität. Andererseits sollen sie auch bei den etablierten Werten innerhalb der Kunst anecken. Chochola liebt das Spiel mit den Widersprüchen. „Ich will provozieren und den Menschen einen Tritt verpassen.“
Suche nach Experimenten
Chocholas Weg zur Kunst ist kurz und schnell erzählt. Seine Mutter, eine Architektin, habe ihn als Jugendlichen gefragt, ob er nicht Bildhauer werden wolle. Ein Bildhauer, wie man sich ihn vorstellt: in einem großen Schlabberpulli, mit seinem Meißel in der Hand. Chochola dachte damals, das würde gut zu ihm passen. Immerhin verbrachte er viel Zeit an der frischen Luft und liebte die Natur. Zunächst studierte er klassische Skulptur in Brünn. Später künstlerische Peformance – weil er gern mit verschiedenen Medien arbeiten, Szenerien mit Skulpturen und Happenings verbinden wollte. Stipendien führten ihn nach Österreich, Deutschland und Polen.
Ins Ausland zieht es ihn auch jetzt wieder. Zu klein sei die künstlerische Szene in Tschechien, zu engstirnig die Gesellschaft. Als Künstler bekomme er hier nicht die Luft, die er brauche. „Es fehlt die Konkurrenz untereinander und der Ansporn. Es gibt keine Experimente, nichts Überraschendes. Und das Publikum reagiert gereizt und humorlos.“ Dass er nun diesen Preis erhielt, freut Chochola, aber es überrascht ihn nicht besonders. „Ich habe es irgendwie gespürt.“
Cena Jindřicha Chalupeckého: Finále 2016 + Laure Prouvost: C’est l’est not ouest. Veletržní palác (Dukelských hrdinů 47, Prag 7), geöffnet: täglich außer montags 10–18 Uhr, Eintritt frei, bis 8. Januar
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