Sprechblasen im Wandel der Zeit
Das DOX beleuchtet 90 Jahre tschechische Comic-Geschichte
27. 3. 2013 - Text: Linda LorenzText: Linda Lorenz; Foto: DOX
Man muss nur wissen wie! Eigentlich wollte der junge Musikus mit seiner Ziehharmonika bloß ein bisschen Straßenmusik machen. Doch statt Geld regnet es Schuhe aus den Fenstern der umliegenden Häuser – so grässlich klingt seine Musik. Aber der Junge ist nicht dumm. Er verkauft die Schuhe an den Schuster und kehrt mit genügend Kronen in der Tasche nach Hause zurück.
Mit der Comic-Geschichte „Adolf s harmonikou a brusle“, erschienen im Jahr 1926 im Magazin „Koule“, beginnt die Ausstellung „Signals from the Unknown“. Darin rollt das Zentrum für Gegenwartskunst DOX die Historie des tschechischen Comics von 1922 bis zur Gegenwart auf. Obwohl die Sprechblasen tschechische Sätze beinhalten, kann jeder die Handlungen verstehen. Die Illustrationen sprechen für sich und genau das ist es, was einen guten Comic ausmacht.
Die Ausstellung überrascht mit ihrer Fülle an unterschiedlichsten Exponaten. Elf Themengebiete, von beliebten Comic-Magazinen bis zur Underground-Kunst, sollen den Gästen eine fundierten Überblick verschaffen. Zugegeben, die Wahrscheinlichkeit scheint gering, dass der Betrachter jeden einzelnen Comic-Strip genau studiert, denn dafür sind derer einfach zu viele ausgestellt. Dennoch bietet die Schau eine sorgfältige Auswahl an Cartoons. Auf dem Streifzug durch die Bilderzyklen tauchen einige Bekannte auf. Die Ameise Ferdinand zum Beispiel, die auf Tschechisch Ferda Mravenec heißt. Ondřej Sekora erschuf den frechen aber fleißigen Protagonisten in den 1940er Jahren. Sekora, ein überzeugter und strammer Kommunist, hinterließ in seinen Figuren erstaunlich wenig Spuren seiner Weltanschauung. Einzig der Hauptcharakter Ferdinand als strebsamer, arbeitswütiger Proletarier lässt Parallelen zur Gesinnung des Urhebers ziehen.
Originell gestaltet das DOX die Informationstafeln und Sitzgelegenheiten aus Pappkarton, sodass sich der Besucher selbst in einer Art von Comic-Welt wiederfindet. Auffallend sind die epochentypischen Farbgestaltungen. In den 1920er Jahren wurde oft sehr farbenfroh gearbeitet, während für die Zeit seit der Jahrtausendwende vermehrt der Schwarz-Weiß-Kontrast als Trend heraussticht. Darüber hinaus ist bemerkenswert, wie sich der Charakter des Mediums im Laufe der Zeit verändert beziehungsweise vervielfacht hat. Zum einen ist ein Comic längst nicht mehr ausschließlich eine Geschichte für Kinder. Gesellschaftliche Themen wie Sexualisierung des Alltags, Politik und Gewalt treten heute vermehrt in den Vordergrund. Als weitere postmoderne Erscheinung ist festzuhalten, wie unglaublich detailliert einige Objekte mittlerweile gezeichnet sind, sodass man meinen könnte, es handle sich um ein Produkt aus einem Hochleistungsrechner.
Nebst ausführlicher Behandlung der Geschichte des Mediums widmet sich das DOX auch der aktuellen Szene. Einer der einflussreichsten tschechischen Comiczeichner der Gegenwart ist Kája Saudek. Manchen seiner Werke obliegt in ihrer knalligen und überdimensionalen Erscheinung ein gewisser Pop-Art-Charakter. Summa summarum ist dem DOX ein sauberer Querschnitt gelungen, welcher auch „unbelesene“ Besucher in die Welt der Bildsprache integriert.
Signals From the Unknown. Czech Comics 1922–2012, DOX (Poupětova 1, Prag 7), geöffnet: Mo., Sa./So. 10–18 Uhr, Mi.–Fr. 11–19 Uhr (dienstags geschlossen), Eintritt: 180 CZK (ermäßigt 90 CZK), bis 20. Mai
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