Stalin ist zurück
Das Denkmal auf dem Letná-Hügel wird nachgebaut – als Kulisse für einen Film
18. 5. 2016 - Text: Katharina WiegmannText: kw/čtk; Fotos: P. Schöner und Miroslav Vopata/CC BY 2.5
Prag wird ihn einfach nicht los. Als im vergangenen Jahr eine Bar namens Stalin auf dem Letná-Hügel eröffnete, fanden das viele geschmacklos. Aber Fakt ist: das Betonplateau hieß im Volksmund nie anders. Ob Skater oder Verliebte – wer sich am Metronom über der Moldau verabredet, trifft sich „am Stalin“. Von 1955 bis 1962 stand an diesem Platz die weltgrößte Statue des sowjetischen Führers. Derzeit wird sie wieder aufgebaut.
Man mag der politischen Elite Tschechiens dieser Tage viele Geschmacklosigkeiten zutrauen. Für die Rekonstruktion auf dem Letná-Hügel ist aber weder die Regierung noch der Präsident verantwortlich. Das Tschechische Fernsehen (ČT) dreht derzeit einen Film über den Bildhauer Otakar Švec, der damals die künstlerische Verantwortung für die monströse, 15 Meter hohe Statue trug. „Das Leitmotiv des Films ist eine suggestive Parallele zwischen der intimen Liebesbeziehung eines Ehepaars und diesem gewaltigen Granitblock, der allmählich nicht nur für das Paar selbst, sondern auch für die ganze Gesellschaft zum absurden Symbol des Niedergangs wird“, sagt ČT-Sprecherin Alžběta Plívová. Noch vor der feierlichen Enthüllung der Statue nahmen sich Otakar Švec und seine Frau Vlasta das Leben.
Der „neue“ Stalin wird indes in seinen Ausmaßen nicht ganz an das Original heranreichen. Lediglich ein sechs Meter hoher Kopf wird vorübergehend auf einem Gerüst thronen; der Rest der Skulptur wird mit Hilfe digitaler Technik reproduziert. Vor 60 Jahren schauten hinter dem sowjetischen Diktator Vertreter der Arbeiterklasse und Soldaten mahnend auf die Stadt. „Schlange beim Metzger“ nannten die Prager den Granitblock spöttisch.
„Sein Schicksal war ein Spiegelbild der grausamen Zeit, in der er lebte und arbeitete. Es fasziniert mich, wie diese schreckliche Zeit heute von manchen Leuten, sogar aus den Reihen der Politik, verharmlost wird“, sagt Schauspieler Jan Novotný über den von ihm dargestellten Otakar Švec. Über Leben und Tod des Bildhauers gibt es viele Theorien. Der polnische Journalist Mariusz Szczygieł beschreibt in seinem Buch „Gottland“ einen Mann, den die Arbeit an einem derart mit politischer Bedeutung aufgeladenen Projekt in die Verzweiflung treibt. Regisseur Viktor Polesný will nach eigenen Angaben die Geschichte eines „edlen Mannes und großen Künstlers erzählen, der der Versuchung erlag und dem Teufel die Hand reichte“.
Am 7. November 1962 kam die Entstalinisierung endlich auch im Prager Stadtbild an. Ungefähr zwei Tonnen Sprengstoff bedurfte es, bis die Statue in Trümmern lag. Das Plateau wurde zum Lieblingsort der Skater, der massive Bunkerkomplex, der der Statue als Befestigung diente, war Kartoffellager, Club und Radiostation. „Auch wir werden sprengen“, kündigt Regisseur Polesný an. Die Bar mit dem Namen des Generalissimus verschickt indes weiter Veranstaltungseinladungen. Stalin bleibt.
„Markus von Liberec“
Geheimes oder Geheimnistuerei?