Starke Gesten und warme Worte
Beim Bayern-Besuch des tschechischen Regierungschefs feiern beide Seiten die neue Freundschaft
27. 2. 2013 - Text: Petr JerabekText: Petr Jerabek; Foto: čtk
Es kommt nicht oft vor, dass Horst Seehofer (CSU) einen Gast auf Augenhöhe empfängt. Der tschechische Premier Petr Nečas (ODS) ist mit 1,93 Metern genau gleich groß wie der bayerische Ministerpräsident. Und nicht nur von ihrer Statur her passen die beiden Politiker zusammen. Offenbar haben sie in den vergangenen zweieinhalb Jahren auch eine gute persönliche Beziehung zueinander aufgebaut. Noch während Seehofer vergangene Woche umringt von Journalisten vor dem Prinz-Carl-Palais auf die Ankunft des Gastes aus Prag wartete, sprach er schon vom „sehr guten“, ja geradezu „freundschaftlichen“ Verhältnis zu Nečas.
Für mehr als eine Stunde zogen sich die beiden Regierungschefs anschließend hinter verschlossene Türen zurück. Danach nannten sie sich beim Vornamen und verkündeten, sich künftig mindestens einmal jährlich zu einem Gespräch treffen zu wollen. Ferner wollen sie eine gemeinsame Parlamentariergruppe sowie eine bayerisch-tschechische Landesausstellung anschieben. Schließlich soll auch die Zusammenarbeit in den Bereichen Innovation und Wissenschaft intensiviert werden.
Für die ungelösten Fragen der Vergangenheit, die über Jahrzehnte die Beziehungen beider Länder so sehr belastet hatten, haben sich beide auf eine Sprachregelung verständigt, bei der niemand sein Gesicht verliert. Ja, es gebe unterschiedliche Auffassungen zu einer Reihe von Punkten, räumten Nečas und Seehofer unisono ein. Die Vergangenheit werde auch nicht ausgeklammert, aber die Beziehungen beider Länder sollten vor allem auf die Zukunft ausgerichtet werden. Das Reizwort Beneš-Dekrete nahmen beide − wie schon bei ihren Treffen in Prag 2010 und 2011 − erst gar nicht in den Mund.
Während Nečas damit auf der tschechischen Linie der vergangenen Jahre blieb, die schon in der Deutsch-tschechischen Erklärung 1997 verankert worden war, hat sich die bayerische Staatsregierung deutlich bewegt: Seehofer ist von der unnachgiebigen Position seines Vorvorgängers Edmund Stoiber abgerückt und macht eine Verständigung über die Vergangenheit nicht mehr zur Voraussetzung für den Dialog. Vielmehr versucht er, eine Vertrauensbasis zu schaffen, die auch den Austausch über strittige Fragen ermöglicht. Dieser gemeinsam eingeschlagene Weg, betonte Seehofer in München, sei besser „als eine jahrzehntelange Sprachlosigkeit“.
Historische Rede
Die Früchte dieses Versöhnungskurses zeigten sich deutlich beim anschließenden Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau. Nachdem der Holocaust-Überlebende Max Mannheimer auf Tschechisch berührende Passagen aus seinen Erinnerungen vorgelesen hatte, legten beide Politiker einen Kranz am Internationalen Mahnmal nieder. Beim anschließenden Rundgang über das Gelände folgte eine historische Geste des tschechischen Premiers: Zusammen mit Seehofer legte er weitere Kränze nieder – nicht nur zum Gedenken an die getöteten Priester und an die tschechischen Opfer, sondern auch an die sudetendeutschen Toten.
Historisch war auch der Auftritt von Nečas am folgenden Tag: Als erster tschechischer Premier überhaupt hielt er eine Rede im bayerischen Landtag. Und es war eine kluge Ansprache: Nečas gab seinen Gastgebern das Gefühl, dass er auf sie zugeht − ohne sich grundlegend zu bewegen.
Seine Ausführungen zur „Frage der Identität in der tschechisch-bayerischen Nachbarschaft im heutigen Europa“ nutzte der promovierte Physiker zu einem historischen Abriss der wechselvollen Beziehungen beider Länder. Er sprach von einer Schicksalsgemeinschaft, „die voll Inspiration und Bereicherung, aber auch Traumata und Vorurteile ist“. Die Zuhörer überraschte Nečas vor allem mit einem Satz: „Wir bedauern, dass durch die nach Kriegsende erfolgte Vertreibung sowie zwangsweise Aussiedlung der Sudetendeutschen aus der damaligen Tschechoslowakei, die Enteignung und Ausbürgerung unschuldigen Menschen viel Leid und Unrecht zugefügt wurde.“
Damit ging Nečas keinen Millimeter über die Deutsch-tschechische Erklärung hinaus: Es war sogar ein wörtliches Zitat aus dem 15 Jahre alten Papier, das der Bund der Vertriebenen seinerzeit als „unglaubliche Torheit“ kritisiert hatte. Auch ließ Nečas in München keinen Zweifel daran, dass eine Entschädigung der Heimatvertriebenen ausgeschlossen ist: Die Eigentumsverhältnisse der Vorkriegszeit könnten „nicht wiederhergestellt werden.“
Dass sich die Sudetendeutschen am Ende der Rede dennoch von ihren Sitzen erhoben und begeistert applaudierten, sagt viel aus über den Wandel, den die Vertriebenenverbände in den vergangenen Jahren vollzogen haben. Dass ein tschechischer Premier von sich aus vor bayerischen Politikern das heikle Thema Vertreibung ansprach, Bedauern äußerte und in aller Öffentlichkeit prominenten Sudetendeutschen die Hand schüttelte, war zugleich aber Beleg für ein Umdenken in Tschechien.
Kritik von der Burg
Die Herzen der Sudetendeutschen eroberte Nečas, als er in seiner Rede den wesentlichen Beitrag „unserer deutschen Landsleute“ zur Entwicklung des gemeinsamen Kulturraums würdigte und die dramatischen Folgen der Vertreibung aufzählte: „Nach dem Krieg wurden die Grenzgebiete für eine lange Zeit vollkommen entwurzelt“, sagte er. „Die Landschaft hat ihr Gedächtnis verloren, die Kultur verschwand.“
Angesichts solcher Worte sahen die Zuhörer sogar darüber hinweg, dass Nečas sich auch zur Atomenergie bekannte: Der Premier bekräftigte, dass sein Land der Kernenergie eine positive Bedeutung beimesse. Mit Blick auf die deutschen Bedenken wegen des Ausbaus des Atomkraftwerks Temelín verwies er einmal mehr darauf, dass Tschechien „selbst an maximaler Sicherheit der Kernenergie absolut interessiert ist“.
Seehofer war anschließend voll des Lobes für Nečas: Der Premier habe einen großen Schritt hin zu einer freundschaftlichen Nachbarschaft gemacht. Und auch die Sudetendeutschen zeigten sich begeistert: Der Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde, Martin Kastler, lobte Nečas als Brückenbauer. Der oberste Repräsentant der Sudetendeutschen, Bernd Posselt, nannte die Nečas-Rede gar in einer Reihe mit dem Einsatz des verstorbenen Ex-Präsidenten Václav Havel für die deutsch-tschechische Versöhnung.
Gemischte Reaktionen hingegen löste die Rede in Prag aus. Karel Schwarzenberg (TOP 09) sprach von einem „großen Durchbruch“. Nach 23 Jahren, so der Außenminister, sei es endlich gelungen, alle Hindernisse in den bayerisch-tschechischen Beziehungen zu beseitigen. Und während auch die oppositionellen Sozialdemokraten zustimmend nickten, nannte der Vize-Kanzler von Václav Klaus die Worte des Premiers „schockierend“ und „tragisch“. Petr Hájek sagte dem Online-Magazin „Parlamentní listy“, Nečas öffne die Tore für Eigentumsansprüche seitens der Sudetendeutschen.
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“