Steiler Aufstieg, schneller Sturz
Ex-Premier Stanislav Gross ist im Alter von 45 Jahren verstorben
22. 4. 2015 - Text: Corinna AntonText: Corinna Anton; Foto: čtk
Er sei wohl ein guter Innenminister gewesen, sagte Stanislav Gross einmal über sich selbst. „Aber ich glaube, dass ich kein guter Regierungschef war.“ Der Prager galt in den neunziger Jahren als Hoffnungsträger der Sozialdemokraten und wurde 2004 Tschechiens jüngster Premierminister. Doch nach nur neun Monaten beendete eine Affäre um die Finanzierung einer Wohnung seine Karriere. Am Donnerstag vergangener Woche starb der gelernte Elektromechaniker im Alter von 45 Jahren nach schwerer Krankheit.
Sein politischer Aufstieg liest sich wie der Beginn einer Bilderbuchkarriere: Gleich nach dem Ende des kommunistischen Regimes trat Gross, damals gerade 20, der ČSSD bei. Schon 1990 wurde er Vorsitzender der Jungen Sozialdemokraten, zwei Jahre später für die ČSSD ins Parlament gewählt. Dort war er von 1995 an Fraktionsvorsitzender, bis er im Jahr 2000 Innenminister und stellvertretender Vorsitzender seiner Partei wurde. Gross war bald bekannt als Politiker, der sich auf Verhandlungen hinter den Kulissen verstand. In Umfragen erzielte er hohe Beliebtheitswerte. Den Höhepunkt seiner Karriere erreichte er mit nur 34, als er nach dem Rücktritt Vladimír Špidlas im Juli 2004 Premierminister wurde.
Sein politischer Erfolg hielt allerdings nicht lange an. Bereits im Januar 2005 kamen in der Öffentlichkeit Fragen über eine Wohnung des Sozialdemokraten im Prager Stadtteil Barrandov auf. Gross konnte nicht erklären, woher das Geld für die Immobilie kam. In der Folge der Affäre trat er im April 2005 als Premier zurück. Nachdem er auch sein Amt als Parteivorsitzender aufgeben musste, zog er sich aus dem politischen Leben weitgehend zurück und arbeitete als Rechtsanwalt. Negative Schlagzeilen machte der Ex-Premier noch einmal im Jahr 2007, als bekannt wurde, dass er Dutzende Millionen Kronen mit Aktiengeschäften verdient hatte.
Über die Wohnungs-Affäre, die seine politische Karriere beendete, schwieg Gross lange Zeit. Erst vor einem Jahr äußerte er sich dazu in einem Interview im Tschechischen Fernsehen: Er habe sich in Lügen und Halbwahrheiten verstrickt, weil er Angst davor gehabt habe, zuzugeben, dass er seine Wohnung auf Parlamentskosten finanzierte. Zugleich entschuldigte er sich im April 2014 „bei allen, die das Gefühl hatten, dass ich sie enttäuscht habe“. Zu diesem Zeitpunkt kämpfte er bereits gegen seine schwere Krankheit. Medienberichten zufolge litt er an Amyotropher Lateralsklerose, einer Erkrankung des motorischen Nervensystems. Gross selbst sprach in der Öffentlichkeit nie über die Diagnose.
Tschechische Politiker zeigten sich in der vergangenen Woche betroffen vom Tod ihres ehemaligen Weggefährten. Premierminister Bohuslav Sobotka bezeichnete Gross, den er vor kurzem noch besucht hatte, als bedeutende Persönlichkeit. Den Angehörigen sprach er sein Beileid aus. Ähnlich äußerte sich Präsident Miloš Zeman, der 1996 Gross’ Trauzeuge gewesen war, später aber zu dessen Kritikern zählte.
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“