Stimmungsloch im Osten
Wie Olmütz das Halbfinale der U21-EM zwischen Deutschland und Portugal erlebte
1. 7. 2015 - Text: Klaus HanischText: Klaus Hanisch; Foto: APZ
Olmütz muss längst im EM-Fieber sein. Drei Spiele der Gruppe B wurden hier schon ausgetragen. Und nun das Halbfinale. Mit den Titelfavoriten Deutschland und Portugal, die im Verlauf des Turniers noch nicht in Olmütz zu bewundern waren. Ein Fest für heimische Fußballfreunde – ist zu vermuten. Aber ein Problem für deutsche Fans: Die 100.000-Einwohner-Stadt liegt weit weg von jeder Grenze zu Sachsen oder Bayern. „Dass uns gegen die Dänen so viele deutsche Anhänger unterstützt haben, war toll“, freute sich Kevin Volland rückblickend. Zumindest ein paar von ihnen würden der deutschen Elf das Spiel dort sicher nicht schwerer machen.
Olmütz, gestand der deutsche U21-Kapitän ein, sei für ihn jedoch ein „böhmisches Dorf“. Auch für den Deutschen Fußball-Bund, der vom Trip nach Mähren völlig überrascht wurde. Noch unmittelbar vor dem letzten Gruppenspiel gegen Tschechien nahm der Pressesprecher eine Anfrage der „Prager Zeitung“ nach geplanten Transportmitteln, sofern Deutschland dort sein Halbfinale austragen sollte, verwundert zur Kenntnis.
Ad hoc musste das DFB-Reisebüro somit die Fahrt nach Olmütz organisieren. Mannschaft und Trainer reisten schließlich einen Tag vor der Partie per Zug an den 210 Kilometer Luftlinie entfernten Spielort. Auch für deutsche Fans in Prag eine sinnvolle Möglichkeit.
Am Spieltag lungert aber nur ein Dutzend junger Männer in schwarzen Kapuzenpullovern und schwarzen Brillen auf einer Treppe am Prager Hauptbahnhof. Fährt ein schwarzer Block nach Mähren?
Mittagszug nach Olmütz. Nein, kein schwarzer Block zu sehen. Aber auch kein einziger deutscher Fan. Der erste taucht zweieinhalb Stunden später vor dem Bahnhof in der sechstgrößten Stadt des Landes auf. Deutschland-Kappe, kurze Jeans, Sandalen, eine Dose Cola in der Hand. Auf einem Stadtplan sucht „Götze 19“ nach der schnellsten Route ins Stadion. Und läuft dann doch in die falsche Richtung.
Die breite Masaryk-Straße ist zu Beginn des zweieinhalb Kilometer langen Fußweges zur Arena fast auto- und menschenleer. Nur wenige Einheimische sitzen in Bars und gemütlichen Straßencafés. Kein einziges Plakat weist auf das internationale Event hin, dessen spannende Schlussphase gerade jetzt beginnt. Dafür hat Sponsor Tipsport zwei Poster mit Spielern von Sigma Olmütz ausgehängt. Sie sind schon reichlich verblasst.
Verzweifeltes Fernsehteam
Ab dem Platz der Republik wurden Wegweiser zum Stadion zumindest mit dem Logo der U21-EM beklebt. Doch auch hier, rund um den barocken Triton-Brunnen, sind nur vereinzelte Spaziergänger unterwegs, meist mit Kinderwagen. Hat Olmütz dieses Turnier schon abgehakt? Hat es hier überhaupt richtig begonnen?
Erst auf dem zentralen Oberring (Horní náměstí) ein Hauch von EM-Atmosphäre. Drei Stunden vor Anpfiff verbringen zehn Portugiesen, die kaum älter als ihre U21-Stars sind, ihre Siesta in einem kleinen Freiluft-Restaurant neben der berühmten astronomischen Uhr. Durch Schals und Trikots leicht zu erkennen, wirken sie bei brütender Hitze sehr relaxt und siegesgewiss.
Dagegen zeigen sich Bewohner an der EM, entgegen der Erwartung, nicht sonderlich interessiert. „Tschechien ist ja nicht mehr dabei“, führt ein Kellner im „Caffe Opera“ zur Begründung aus, „und das ist schade. Wir waren gegen Deutschland die bessere Mannschaft.“ Vor dem Lokal sucht ein portugiesisches Fernsehteam verzweifelt nach Stimmungsbildern. Doch auf dem großen Platz herrscht keine Ruhe vor dem Sturm, sondern fast beängstigende Stille.
Im Erdgeschoss des Rathauses wurde ein Info-Zentrum zur EM eingerichtet. Zwei ältere Engländer fragen nach Reisemöglichkeiten ins Umland. Zwar ist ihre Elf, die gegen Schweden und Italien in Olmütz spielte, längst raus aus dem Turnier. Doch die Edel-Fans haben sich anscheinend so sehr an Auskünfte von dort gewöhnt, dass sie die Infostelle auch für ihren restlichen Aufenthalt in Mähren nutzen wollen.
Friedvoll und fröhlich
Warum kein einziger Hinweis auf das anstehende K.-o.-Spiel am frühen Samstagabend? Warum überhaupt so wenige Hinweistafeln auf das größte sportliche Ereignis, das Tschechien mit seinen Kapazitäten stemmen kann, wie heimische Experten behaupten? „Ein Problem der Organisation“, erklärt ein jüngerer Mitarbeiter in Anzug und Krawatte freimütig. Man sieht seiner Miene an, wie schade er das persönlich findet.
Vor dem Schnellimbiss gegenüber ein rotes Poster, das immerhin auf eine Fanzone in der Straße der Legionäre (Legionářská ulice) aufmerksam macht. Geöffnet vom 17. bis 28. Juni und zwischen 13 und 22 Uhr. Fast täglich spielen Bands. Die tschechischen Spiele wurden live übertragen. Und es gibt freies WLAN. Für manchen Gast möglicherweise das Wichtigste.
Die Fanmeile liegt direkt vor dem Josef-Ander-Stadion (Andrův stadion). Dröhnende Musik vor Bierbänken. „Eine No-Name-Band aus der Slowakei, die Lieder von Kabát missbraucht“, klärt ein Teenager auf, der Werbezettel für eine Biermarke verteilt.
Hier erlebt Olmütz endlich seine EM. Wenngleich sich eineinhalb Stunden vor Spielbeginn nur etwa 100 Interessierte auf das Halbfinale einstimmen. Friedlich und fröhlich, kein Einsatz für die wenigen Polizisten und Anti-Konfliktteams nötig, die vor dem Gelände patrouillieren.
Und da kommen sie endlich. Vier junge Männer, Bierdosen in der Hand, beste Laune, in vier verschiedenen Deutschland-Trikots. Deutsche Fans wie aus dem Bilderbuch. Es sind Standa, Michal, Matěj und Vlastík. Allesamt aus Olmütz. Alle Riesenfans des deutschen Fußballs! Auch wenn sie kein Wort Deutsch sprechen.
Die Welle nach zwölf Minuten
Warum gerade Deutschland? „Die Deutschen sind einfach die besten“, sagt Matěj und schlägt zum Nachdruck mit der Faust auf den DFB-Adler auf seiner Brust. So wie das Fußballprofis oft nach erzielten Treffern tun. Haben Sie ein Spiel der deutschen Elf in Prag gesehen? „Leider keine Zeit“, verneint Standa, „wir mussten arbeiten.“ Allerdings haben sie die EM-Begegnungen in Olmütz besucht.
Und für welche Mannschaft pochte das Herz bei der Partie zwischen den Tschechen und den Deutschen? „Halb-halb“, drücken sich die vier verschmitzt um eine klare Antwort. Wie wird das Spiel heute enden? 3:2, 3:1, 1:0 sowie 1:1 nach Verlängerung und Sieg für Deutschland im Elfmeterschießen, tippen die Olmützer und ziehen für ein Foto schnell die Jacken aus, damit ihre Trikots besser zur Geltung kommen.
Mit ihnen sind 9.800 Zuschauer im Stadion, im Gegensatz zu ihnen hoffen die allermeisten auf einen Sieg der Portugiesen. Schon zwölf Minuten nach Anpfiff schwappt die erste La-Ola-Welle durchs Rund. Beginnend an der „Marek-Heinz-Tribüne“, erbaut vom Erlös, den der Verkauf des ehemaligen Sigma-Spielers an den HSV einbrachte. Und nach der Gegengeraden fortgesetzt an der „Tomáš-Ujfaluši-Tribüne“. Bezahlt von den Einnahmen, die aus dem Wechsel des früheren Olmützers ebenfalls nach Hamburg resultierten. So berichtet es jedenfalls ein ehemaliger Direktor von Sigma. Selbst die Haupttribüne macht mit, im Gegensatz zu vielen Bundesliga-Stadien. Jedenfalls solange es noch 0:0 steht.
Bleiben die tschechischen Jungs auch nach dem Debakel noch Anhänger der Deutschen? „Selbstverständlich“, erwidert Matěj und klopft sich erneut auf die Brust, „sie sind weiterhin Weltmeister.“
Standa trägt unter seinem deutschen Trikot sogar noch eines von Arsenal London. „Weil Özil und Mertesacker dort spielen und weil ich ein spezieller Fan von ihnen bin.“ Damit bekundet er sogar doppelte Sympathie. Ein echter „Patriot“ eben.
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