„Tee ist wie Wein“

„Tee ist wie Wein“

Vor 15 Jahren entdeckte Jaromír Horák das Heißgetränk als Ersatzdroge. Heute lehrt er in Prag die Kunst des richtigen Aufgusses

3. 6. 2015 - Text: Corinna AntonText und Foto: Corinna Anton

Beutel rein, heißes Wasser drauf. Wer so seinen Tee zubereitet, hat wahrscheinlich noch nicht mit Jaromír Horák gesprochen. Er ist einer von zwei Tschechen, die der World Tea Union angehören – einem Zusammenschluss von Experten vor allem aus China, Hongkong, Taiwan und Korea. Und er bestreitet seinen Lebensunterhalt, indem er seine Landsleute in die Kunst des Aufgussgetränks einführt. Sogar dem verstorbenen Präsidenten Václav Havel hat er, an dessen 70. Geburtstag, schon Tee serviert. Zum Gespräch bestellt sich der 36-Jährige allerdings einen Kaffee.

„Ich trinke auch Wasser, Wein und natürlich Bier“, beantwortet Horák den fragenden Blick auf die Kaffeetasse. Sein Teekonsum schwanke je nach Stimmung. „Ich empfehle einen halben bis einen Liter am Tag. Manchmal trinke ich auch vier.“ Eine Lieblingssorte hat er nicht. „Er muss vor allem gut und interessant sein.“ Was guter Tee ist, was das Getränk interessant macht und wie man es richtig zubereitet, lehrt Horák in seiner Teeschule „Čajomír“ im Theater Kampa auf der Prager Kleinseite. Sie ist eine von zwei solchen Einrichtungen in der Stadt, die andere wird von der tschechisch-japanischen Gesellschaft betrieben.

Alles, was Horák über das Thema weiß, hat er im Selbststudium gelernt, und von asiatischen Meistern auf dem Gebiet. So nahm er zum Beispiel 2008 an einem Festival für Teeschulen in Südkorea teil, im selben Jahr wurden er und eine Kollegin als erste Europäer in die World Tea Union aufgenommen. Dass es ausgerechnet zwei Tschechen waren, die Einlass in den Club der asiatischen Teekenner erhielten, überrascht Horák nicht. Seiner Meinung nach gehört der Aufguss ebenso zur hiesigen Kultur wie Bier. „Beuteltee mit Zucker, dazu vielleicht ein Tropfen Rum, das ist für mich ein typisch tschechisches Getränk.“

Hinzu komme seit Anfang der neunziger Jahre das Phänomen „Čajovna“: Allein in Prag gebe es etwa hundert Teestuben, im ganzen Land seien es um die 400 – so viele wie kaum anderswo in Europa. Wie das kam, kann Horák nicht erklären. Wohl hänge es mit dem Erfolg der Kette „Dobrá čajovna“ zusammen, die seit 1993 Filialen in den meisten größeren Städten eröffnet habe. „Jedenfalls ist aus der Mode mittlerweile ein Angebot geworden, das sein Publikum gefunden hat“, so Horák, der selbst ein Jahr in einer Teestube beschäftigt war.

Tee und Theater

Seine Vorliebe für das Aufgussgetränk entdeckte er vor etwa 15 Jahren, als er aufhörte, zu rauchen und Fleisch zu essen. „Tee war für mich am Anfang eine Ersatzdroge“, sagt der Mährer, der damals nach Prag zog und als Techniker im Theater Archa arbeitete. Im Stück „Čajovna KarMa“ („Teestube KarMa“) durfte er erstmals auch vor das Publikum treten: „Ich habe auf der Bühne Tee gekocht. Das war das erste Mal, dass ich die Teekultur öffentlich präsentierte.“ Später kombinierte er Tee und Theater, begann Catering und Verkostungen anzubieten. „Tee ist wie Wein. Es gibt ähnlich viele Geschmacksnuancen und es ist schwierig, sich auszukennen.“

Noch komplizierter wird es, wenn es um die Zubereitung geht. Damit die Blätter ihr Aroma bestmöglich entfalten, müsse die Wassertemperatur auf die Sorte abgestimmt werden. Manche Sorten lassen sich zwei Mal überbrühen, andere zehn Mal. Auch die Eigenschaft des Gefäßes – ob Glas, Keramik oder Porzellan – könne den Geschmack beeinflussen, so Horák. „Aber bei richtig gutem Tee ist es egal, ob man ihn aus einer schönen Kanne trinkt oder aus einem großen Bierglas.“ Nicht zuletzt stellt sich die Frage: Milch, Rum, Zucker oder pur? „Guten Tee muss man nicht süßen, er schmeckt von selbst“, sagt der Experte.

Weniger streng ist er bei der Frage, was eigentlich Tee sei: „Im Prinzip alles, was mit heißem Wasser übergossen wird. Das können auch Kräuter, Blüten oder getrocknete Früchte sein.“ Echter Tee, der aus Teilen der Teepflanze zubereitet wird, ist in Europa nur als Importware zu bekommen. Der nächstgelegene Standort, an dem er wachse, sei Georgien, erklärt Horák. Seinen Schülern empfiehlt er, Sorten wie den leicht erdig schmeckenden Pu-Erh in einer Teestube oder im Fachgeschäft zu kaufen.

„Vor zehn Jahren war das noch schwierig, aber mittlerweile hat sich die Teekultur in Tschechien so weit entwickelt, dass es ein gutes Angebot gibt.“ Dass die Menschen noch mehr über die Kunst des Aufgussgetränks erfahren wollen, zeige das Interesse an seinen Kursen: Etwa 150 Schüler hat Horák im Jahr, vom Studenten bis zur Managerin, vom Teenager bis zum Rentner. Gerade ist er dabei, ein Lehrbuch vorzubereiten. Außerdem will er bald ein eigenes Getränk auf den Markt bringen, das auch Tee beinhalten soll.  

Als Horák seinen Kaffee und das Glas Wasser dazu ausgetrunken hat, ist noch eine Frage offen. Wie war das damals, als er für Havel Tee kochte: Hat dem Ex-Präsidenten der Aufguss geschmeckt? „Ich glaube“, lautet die Antwort, „Havel hat mehr Rum getrunken als Tee“.