Tour de Frost

Tour de Frost

Ein neuer Routenplaner soll Radfahrern durch den Großstadtdschungel helfen – ein verfrühter Selbsttest

27. 3. 2013 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: Prahou na kole

Zugegeben: Die Idee, den ersten Prager Routenplaner für Fahrradfahrer zu testen, kam zu früh. Am vergangenen Mittwoch hatte sich der Frühling zum ersten Mal in diesem Jahr an die Moldau verirrt. Die richtige Zeit also, um den radfahrenden Lesern der „Prager Zeitung“ einen wertvollen Tipp zu bieten. Kaum war der Artikel fest für die Ausgabe geplant, schlug der Winter mit eisiger Faust zurück. Nun gab es kein Entkommen mehr. Eine Woche lang hieß es, mit zusammengebissenen Zähnen und wärmenden Fleece-Handschuhen auf den Drahtesel zu steigen – immer den Notizzettel zur Hand.

Von A nach B ließ ich mich dabei vom Routenplaner auf den Seiten mapa.prahounakole.cz dirigieren. Den gibt es seit Ende letzten Jahres. Er soll Menschen mit ausgeprägtem Selbsterhaltungstrieb und landläufigem Wadenumfang helfen, die nicht gerade als Fahrradmetropole bekannte tschechische Hauptstadt zu bezwingen. Trotz ehrenvoller Bemühungen in den vergangenen Jahren ist das Fahrradwegnetz in Prag unterentwickelt.  Autofahrer, die sich noch nicht an Zweiräder im Straßenverkehr gewöhnt haben, nutzen die wenigen markierten Fahrradstreifen gerne als Kurzeitparkplätze. Hinzu kommen Eigenarten, an denen auch eine fahrradfreundliche Stadtpolitik nur wenig ändern könnte: In Prag gibt es viel zu viele steile Berge.

Von Bubenetsch auf die Autobahn
Der erste Blick auf die Webseite von „Prahou na kole“ („Mit dem Fahrrad durch Prag“) ist nicht gerade motivierend. Lila und rosa gefärbte Schnüre, zuweilen dicht verknotet, winden sich durch die Straßen im Moldautal. Ein Klick oben links auf „Najít trasu“ – also „Route finden“ – führt zum eigentlichen Planer. Obwohl die knalligen Farben auf der Landkarte verschwinden, bleibt sie unübersichtlich. Ausgangspunkt und Ziel lassen sich über zwei Arten festlegen. Entweder man setzt A und B mit der Maus in die Karte oder man sucht nach einer konkreten Adresse.

Die erste Fahrt führt von meiner Haustür ins Büro. Germanisten wird freuen, dass auf einem deutschsprachigen Rechner die Prager Ortsteile auf Deutsch angezeigt werden – erst durch den Routenplaner erfahre ich, dass ich in Bubenetsch wohne. Ein Klick auf den großen Pfeil und das Chaos lichtet sich. In der linken Spalte erscheint etwas, dass an einen Drehzahlmesser erinnert. Führe ich den Zeiger auf den grünen Bereich, erscheint in der Karte in gleicher Farbe die Route für vorsichtige Menschen mit viel Zeit. Die rote Variante errechnet den kürzesten Weg – ohne Rücksicht auf Verluste. Der gelbe Bereich liegt irgendwo dazwischen und erscheint mir am sinnvollsten: 1,8 Kilometer, bergab, 7 Minuten. Ich präge mir die gelbe Trasse ein und trete in die Pedale.

Die Strecke bewahrt mich vor einer unübersichtlichen Kreuzung und allzu dichtem Verkehr. Auch von wunden Handgelenken durch Kopfsteinpflaster bleibe ich verschont. Unangenehm: Knapp 800 Meter lasse ich mich zwischen Straßenbahnschienen den Berg hinunter rollen – panisch versichere ich mich immer wieder, ob mir nicht ein wütender Straßenbahnfahrer im Nacken sitzt. Später soll ich in Gegenrichtung in eine Einbahnstraße biegen. Die letzten paar Meter darf ich dann auf der Stadtautobahn zurücklegen. Zum Glück ist die Rushhour vorüber.
Grundlage für den Prager Radplaner ist die Open-Source-Karte „Open Streetmap“, die von den tschechischen Entwicklern vervollständigt wurde. Bevor „Prahou na kole“ online ging, halfen dann noch 40 Testfahrer, die Navigation zu optimieren. Kritik ist auch weiterhin erwünscht: „Wenn jemand mit einer Route unzufrieden ist, kann er sich bei uns melden“, erklärt Vratislav Filler, einer der Entwickler und Mitglied der Fahrrad-Initiative „Auto*Mat“ , „wir führen dann individuelle Änderungen durch.“ Natürlich erzähle ich Filler von meinem Ausflug auf die Stadtautobahn.

„Lost in Dewitz“
Am Wochenende führt mein Weg auf den Karlsplatz. Ich bin spät dran und wähle die rote Trasse. Die Fahrt verläuft weitestgehend reibungslos – größtes Problem: Die Wetterstationen im Land vermelden den kältesten 23. März seit 1963, es weht ein eisiger Wind. Da hilft auch ein Routenplaner nicht. Weitere Überraschungen: Die Großbaustelle des Tunnelkomplexes Blanka. Ich weiche auf einen nicht asphaltierten Gehweg aus. Später drosseln die Menschenmassen auf dem Altstädter Ostermarkt mein Tempo. Die Vorgabe von 4,5 Kilometer in 19 Minuten schaffe ich trotzdem. „Die Software, mit der wir arbeiten, rechnet mit der Geschwindigkeit von sportlichen Fahrern“, erklärt Filler. Das soll mir wohl schmeicheln. Die Software soll aber geändert werden. Außerdem möchte er bald die Eingabe von Zwischenstationen ermöglichen. Auch eine Applikation für Mobiltelefone soll es in Zukunft geben.

Die hätte ich am Montag gut gebrauchen können. Ich muss zur Technischen Nationalbibliothek, in Dewitz wohlgemerkt, nicht in Dejvice. Ein Stadtteil, den ich nicht allzu gut kenne. Da die Trasse – ich habe die grüne Variante für einen gemächlichen Start in die Woche gewählt – im Zickzack um die Häuserblocks führt. Nach fünf Minuten bin ich ratlos. Nachschauen kann ich nicht, einen Ausdruck habe ich nicht dabei.

Am Nachmittag lasse ich mich in die Redaktion navigieren, auf den Veitsberg. Wieder bleibe ich von Autoabgasen weitestgehend unbehelligt. Zwischendurch muss ich aber auch hier aufpassen, dass mein Vorderreifen nicht in eine Straßenbahnschiene abrutscht, wenige Meter führen über eine vierspurige Straße. In der Redaktion angekommen, ist die Kälte vergessen. Der Veitsberg hat es in sich.

Fazit: Wer sich in Prag auskennt, der kommt auf seinen Stammstrecken ohne den Routenplaner besser klar. Für Fahrten in unbekannte Stadtteile, aber vor allem für Prag-Neulinge, ist die Navigation von „Prahou na kole“ eine zuträgliche Orientierungshilfe. Blind vertrauen sollte man dem Routenplaner aber nie.

Der Routenplaner im Web: mapa.prahounakole.cz