Tradition verpflichtet

Tradition verpflichtet

Tereza Procházková ist 26 und ein politischer Überflieger. In Deutschland hat sie erste Erfahrungen gesammelt. Nun möchte sie mit den tschechischen Christdemokraten Politik für Menschen machen, Schritt für Schritt

20. 11. 2013 - Text: Martin NejezchlebaText und Foto: Martin Nejezchleba

Tereza Procházková stützt sich mit Knien und Ellenbogen auf das kalte Eichenholz. Die junge Frau fällt nicht weiter auf zwischen den rund hundert Menschen, die die Bänke unter den barocken Fresken der St.-Jakobs-Basilika unweit des Altstädter Rings füllen. Sie trägt einen schwarzen Mantel, die brünetten Haare sind zu einem artigen Zopf gebunden. Weihrauchwolken steigen die rund zwanzig Meter hohe Siegespforte empor, unter der Procházková soeben die heilige Hostie entgegennahm. Nun lehnt sie ihren Kopf gegen die zum Gebet gefalteten Hände.

„Ich habe für die Leute gebetet, die für die Freiheit gekämpft haben, die wir heute genießen und die viele für allzu selbstverständlich halten“, erklärt Procházková nach der Messe an diesem Sonntag, am 17. November. Der Satz ist druckreif. Wie so viele ihrer Aussagen könnte auch diese einer Pressemitteilung ihrer KDU-ČSL, der Christdemokratischen Partei Tschechiens, entsprungen sein. Tschechien begeht den Staatsfeiertag, der dem Kampf der Studenten gegen die nationalsozialistische Okkupation 1939 und dem Beginn der Samtenen Revolution 1989 gewidmet ist. Tereza Procházková begeht diesen Tag mit ihrer Partei, mit ihrem „großartigen Team“, wie sie sagt.

In der nebelverhangenen Altstadtgasse setzt sich eine Gruppe von Abgeordneten, Parteifunktionären und -anhängern in Bewegung. Procházková trägt einen weißen Blumenstrauß, der mit einer Schleife in den tschechischen Nationalfarben versehen ist. Die Gruppe macht sich auf den Weg zum Denkmal für die Studentenproteste von 1989, in die Nationalstraße (Národní třída).

Procházková hat mit ihren 26 Jahren eine steile politische Karriere hinter sich. Sie war Assistentin des brandenburgischen Landtagsabgeordneten Gordon Hoffmann (CDU), während ihres Studiums in Bayern trat sie der Jungen Union bei, wo sie bald zur Ortsgeschäftsführerin für Regensburg-West gewählt wurde. In Tschechien warb zunächst die konservativ-liberale Partei TOP 09 um sie. Procházková lehnte ab, man habe dort nur ihre Erfahrung in Deutschland ausnutzen wollen.

Kaffeehauspolitik
Sie fand ihren Platz 2011 bei der KDU-ČSL. Knapp zwei Jahre später stand sie dann auf der Kandidatenliste für die vorgezogenen Parlamentswahlen. Das junge, strahlende Gesicht einer zukunftsgerichteten Partei. 300 Prager gaben der Jungpolitikerin ihre Präferenzstimmen. Nun ist Procházková Assistentin des Parlamentsabgeordneten der KDU-ČSL Daniel Herman, der in der Hauptstadt als Listenführer antrat und bis zum vergangenen Frühjahr das Institut für die Erforschung totalitärer Regime ÚSTR leitete. Wenn Herman seine Assistentin in drei Worten beschreiben muss, sagt er: „Nobel, zuverlässig, arbeitsam.“

Procházková hat das Café Louvre als Treffpunkt für ein Gespräch gewählt. „Es ist einer der wenigen Orte, an denen noch die klassische Kaffeehauskultur zu spüren ist“, sagt sie und schwärmt von der bedeutenden deutsch-tschechischen Vergangenheit des Lokals. Zum deutschen Philosophen-Zirkel trafen sich hier Anfang des 20. Jahrhunderts unter anderem Franz Kafka und Max Brod. Heute ist der rauchgeschwängerte Saal mit den schwarzen Ledersitzen ein beliebter Ort, um politische Deals auszuhandeln. Zwei Tische weiter wischt Ex-Verkehrsminister Pavel Dobeš mit dem Zeigefinger über sein Tablett. Dobeš, der mit nur 29 Jahren für die Schnellschuss-Partei „Öffentliche Angelegenheiten“ ins Kabinett von Petr Nečas einberufen wurde, ist genau das Gegenteil von dem, wie sich Procházková einen guten Politiker vorstellt.

Der Merkel-Faktor
Mit ihrer rechten Hand fährt sie langsam eine lange Linie über die Marmortischplatte. So in etwa stellt sie sich ihre weitere politische Karriere vor. Lange, ausdauernde Arbeit. Keine übereilten Sprünge. In den nächsten Kommunalwahlen würde sie gerne fürs Rathaus ihres Stadtbezirks Prag 5 kandidieren. „Ich möchte Politik so nahe wie möglich an den Menschen machen“, sagt Procházková. Erst nach langjähriger Erfahrung, nach viel harter Arbeit, könne sie sich vorstellen, in die nationale Politik zu wechseln. Die Krönung ihrer Laufbahn sehe sie im diplomatischen Dienst, in Deutschland.

Bewunderung hegt Procházková für Angela Merkel. „Ihr ist es gelungen, sich ihre Schlichtheit und Bodenständigkeit zu bewahren, trotz all dem Druck und der Verantwortung, die sie trägt.“ Die Bundeskanzlerin strahle absolute Vertrauenswürdigkeit aus und das sei eine Eigenschaft, die auch sie habe. Sie wolle den Menschen helfen, das sagt Procházková immer wieder; auch dabei, angesichts der „schrecklichen Verhältnisse“ in Tschechien – und damit meint sie die Politik – nicht zu resignieren. „Gegenseitiger Dialog. Der Schlüssel zum Erfolg“, lautete ihr Wahlmotto. Und reden kann Procházková.

Ruhige Pragmatiker
Sie spricht in atemberaubendem Tempo. Es kostet große Anstrengung, die Widersprüche wahrzunehmen, in die sie sich im Eifer des Gefechts verwickelt: In die Politk trieben sie vor allem altruistische Motive, das niedrige Gehalt einer Assistentin schrecke sie nicht ab, sie mache das Ganze ja schließlich für sich.

Trotz ihrer großen Ideale ist Procházková auch Pragmatismus nicht fremd. Für den Überflieger der Neuwahlen, für Andrej Babiš und seine politische Bewegung ANO, hat sie vor allem abfällige Kommentare übrig. Dass ihre KDU-ČSL sich mit Verve in die Verhandlungen mit der Protestpartei stürzt, sei jedoch gut. Schließlich könne nur die KDU-ČSL die nötige Ruhe in eine mögliche Koalition mit den Sozialdemokraten bringen.

Procházková ist Politikerin. Dass habe schon ihr Musiklehrer in der Grundschule prophezeit. Wenn man sie nach ihren Hobbys fragt, dann spricht sie von ihrem „Ressort“, der Kultur. Tanz und Musik, das gebe ihr die nötige Energie, um den anstrengenden Alltag zu meistern. Im Moment ist sie noch als Entsandte der Carl Schaefer Gold- und Silberscheideanstalt, einem Unternehmen aus Pforzheim, tätig. Parallel hat sie die Agenda der KDU-ČSL-Kandidaten Jan Wolf und Daniel Herman geführt – und nebenbei noch selbst Wahlkampf betrieben.

Wenn sie vor Erschöpfung nicht mehr weiter kann, denke sie an den Holocaust. An Leute wie Arnošt Lustig oder Lenka Reinerová. Leute, die sie persönlich kennenlernen durfte, wie Procházková stolz berichtet. Leute, die das Leid in Konzentrationslagern überlebt haben.

In Deutschland sei Procházková nicht geblieben, weil sie ihre Tradition und ihre Familie nicht aufgeben wolle. Im Ausland bleibe sie Ausländerin, sagt sie, trotz perfekter Integration. Tschechien sei ihr Zuhause, hier wolle sie Gutes tun, hier wolle sie anknüpfen an das, was die Generationen vor ihr aufgebaut hätten. Die Studenten von 1989 etwa. An diesem Sonntag legt sie ihren Blumenstrauß an deren Gedenktafel nieder und entzündet eine Kerze. Sie tut das, was Politiker am 17. November in Prag tun.

Politiker genießen in Tschechien weniger Ansehen als Putzfrauen – zumindest behaupten das Meinungsforscher. Die Parteien wiederum beklagen einen eklatanten Mangel an Nachwuchs. Doch es gibt sie, die Jungen, die Hoffnungsträger der tschechischen Politik. Die „Prager Zeitung“ stellt sie vor – in einer Porträtreihe, die in Zusammenarbeit mit „jádu“, dem jungen Online-Magazin des Goethe-Instituts Prag, entsteht.