„Tschechien hat nur noch regionale Bedeutung“
Die Verbreitung der Modedroge Crystal stellt ein weltweites gesellschaftliches Problem dar – reine Repression hilft da wenig
22. 1. 2014 - Text: Klaus HanischText: Klaus Hanisch; Foto: mindzone/swelt.com
Suchtexperten haben große Zweifel, dass schärfere Kontrollen an der Grenze zu Tschechien den Handel mit der Modedroge Crystal eindämmen können. Diese Maßnahme kündigte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kürzlich für das Jahr 2014 an (die „Prager Zeitung“ berichtete in Ausgabe 1-2/2014). So will er vor allem das Problem „Crystal“ in den Griff bekommen. „Damit wird man nur den Drogentransport verunsichern und Kleindealer fassen, nicht aber organisierte Drogenbanden und mafiöse Strukturen“, glaubt Gerhard Krones, Leiter der Fachambulanz für Suchtprobleme in Weiden.
Längst ist der Handel mit Crystal ein boomendes Geschäft, mit dem vor allem Drahtzieher in Asien Millionen verdienen. Anfang Januar entdeckten Fahnder bei einer Großrazzia im chinesischen Boshe drei Tonnen Crystal, außerdem weitere 20 Tonnen Rohmaterial zur Rauschgiftherstellung. 3.000 Polizisten kamen mit Hubschraubern und Schnellbooten, um die Täter zu überführen und 182 Menschen festzunehmen. In der Kleinstadt Boshe in der Provinz Guangdong soll mehr als ein Fünftel aller Haushalte an der Produktion oder dem Handel von Drogen beteiligt sein.
Am Flughafen von Sydney nahmen Zollbeamte eine Schweizerin fest, die in ihren Handtaschen 2,5 Kilogramm Crystal versteckt hatte und von China nach Australien schmuggeln wollte.
Mit der Todesstrafe muss eine 29 Jahre alte Niederösterreicherin rechnen, die in Indonesien im Gefängnis sitzt, weil sie 3,2 Kilogramm Crystal im Koffer transportiert haben soll. Die indonesische Drogenbehörde erklärte, dass für den Drogenschmuggel „vor allem Europäer angeheuert werden, die mit Fluglinien aus dem Mittleren Osten anreisen.“ Weniger im Blickfeld und dennoch immer wichtiger wird nach Recherchen von Krones Thailand, wo Crystal vor allem im Rotlichtmilieu die einstigen „Thai-Pillen“ ersetzt hat und an Prostituierte verabreicht wird.
Transitland Tschechien
In diesem internationalen Geflecht, in dem mittlerweile Tonnen und nicht mehr nur Kilo oder gar Gramm verschoben werden, spielt Tschechien nach Meinung des Suchtexperten nur noch eine regionale Rolle. „Eine tschechische Drogenküche kann bestenfalls den Tagesbedarf von ein oder zwei Konsumenten decken, doch die asiatischen Hintermänner wollen riesige Mengen von Crystal an Konsumenten überall in Europa verkaufen“, so Krones.
Ihm liegt fern, die Drogenproblematik zu bagatellisieren. Gleichwohl sieht er darin „kein grenznahes Problem“ mehr. „Anfangs war das Grenzgebiet vor allem Konsumentenland, weil Crystal hier schnell und günstig zu bekommen war, auf manchem Vietnamesen-Markt in Tschechien gar verschenkt wurde“, blickt er zurück, „jetzt ist es vor allem Transitland.“
Experten von Polizei und Suchteinrichtungen hatten schon vor einiger Zeit betont, dass Crystal in immer mehr deutschen Städten und Dörfern konsumiert und verkauft wird. Deswegen lassen sich auch in der Caritas-Einrichtung in Weiden immer mehr Abhängige beraten. Ihre Zahl vervierfachte sich in den vergangenen vier Jahren auf 120 Besucher. Für Krones jedoch kein Indiz, dass damit auch die Zahl der Konsumenten gestiegen sei: „Zum einen haben wir unsere Beratungsangebote mehr in die Öffentlichkeit gebracht, zum anderen führten mehr Kontrollen durch die Polizei zwangsläufig zu mehr Aufgriffen.“
Zumindest in Deutschland gebe es dazu keine verlässlichen Daten. „Prinzipiell geht man davon aus, dass vier von 1.000 Bürgern harte Drogen konsumieren“, erläutert er. Dass gerade Crystal in den letzten Jahren so populär geworden ist, liegt für Krones am wachsenden Leistungsdruck in Beruf und Gesellschaft. „Man muss mithalten können und stets funktionieren, das gilt für Deutsche wie für Tschechen“, führt er aus. Dies erklären ihm seine Klienten immer wieder als Grund dafür, zu dem weißen Pulver zu greifen.
Und dies habe einen Paradigmenwechsel bewirkt. In den sechziger Jahren und der damals weit verbreiteten Verweigerungshaltung waren Opiate stark in Mode, in den Neunzigern kamen Partydrogen auf, später Ecstasy und Speed. Jetzt werde Crystal als Aufputschmittel genutzt, um immer mehr leisten zu können und immer gut auszusehen. Zumal es immer noch billig, in großen Mengen und großer Reinheit verfügbar ist.
Grenzen verschoben
Wie für andere Suchtexperten ist Crystal auch für Krones in erster Linie ein gesellschaftliches Problem und keines der Kriminalitätsbekämpfung. „Die Grenzen im Leben verschieben sich immer weiter, deshalb nehmen Sportler Dopingmittel, Studierende Drogen und Medikamente für bessere Lernerfolge oder Manager Kokain“, vergleicht Krones. Stärkere Maßnahmen der Polizei gegen Crystal haben nach seiner Einschätzung eine kontraproduktive Wirkung. „Sie führen dazu, dass Abhängige verunsichert werden und sich wieder mehr von Beratungen distanzieren, nachdem wir endlich ihr Vertrauen gewonnen haben“, kritisiert der Experte.
Und sie seien auch nicht wirklich nötig. „Im repressiven Bereich arbeiten deutsche und tschechische Behörden zufriedenstellend zusammen, und das seit Jahren“, sagt Krones. Dies werde ihm vom gemeinsamen Zentrum in Schwandorf immer wieder bestätigt. Vielmehr plädiert er dafür, dass die deutsche Seite mehr Verständnis für die tschechische zeigen müsse: „Man darf nicht immer nur fordern, sondern muss akzeptieren, dass es dort andere Standards und Gesetze gibt, etwa bei Polizeieinsätzen in der Privatsphäre.“
Die aktuellen Differenzen entstehen seiner Meinung nach vor allem deshalb, weil die deutsche Politik nicht verstehen will, dass Tschechien Drogenabhängige nicht kriminalisieren wolle. Wobei das Nachbarland mit seiner liberaleren Drogenpolitik indes genauso denke und entscheide wie die EU-Staaten Portugal oder die Niederlande. „Wir können das Problem jedoch nur gemeinsam lösen“, bekräftigt Gerhard Krones, „und dafür ist Geduld nötig.“
Dabei verschweigt er nicht, dass die deutsch-tschechische Zusammenarbeit bei der Suchtberatung erst am Anfang steht. Vor allem Sprachprobleme verhindern einen besseren Austausch von Erkenntnissen und Hilfsprogrammen.
Entscheidende Bedeutung hat deshalb der Deutsch-Tschechische Fachdialog, den das Koordinierungszentrum für den deutsch-tschechischen Jugendaustausch mit Sitz in Pilsen und Regensburg veranstaltet. Er führte kürzlich Jugend- und Suchtarbeiter, Polizisten und Schulsozialarbeiter aus Bayern, Sachsen und Tschechien zum zweiten Mal in Weiden zusammen. Dabei erfuhr Krones, dass das Personal für Prävention in Tschechien höher qualifiziert ist als in Deutschland. „Unsere Einrichtungen sind zu hochschwellig, die Tschechen sind näher am Menschen“, urteilt der Fachmann. Als Beispiel führt er Streetworker am Wenzelsplatz in Prag an.
Defizite sieht er auch in der eigenen strukturellen und finanziellen Verankerung. Ideal wäre, jede Region zu analysieren und danach über die präventiven Maßnahmen mit dem entsprechenden Geld- und Personalbedarf zu entscheiden. „Ich wünsche mir, nicht nur Beratung in jedem Landkreis zu haben, sondern auch Prävention“, so Krones, „denn schon damit beginnt die Bekämpfung des Drogenproblems.“ Unterstützung bezüglich solcher Präventionsstellen hatte ihm der frühere Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) signalisiert. Ob dies auch noch nach dem Regierungs- und Ministerwechsel gilt, muss Krones abwarten.
Hoffnung Zukunftsfonds
Große Hoffnungen setzt er daher in den nächsten Fachdialog, der voraussichtlich Mitte 2014 in Pilsen stattfinden soll. Und auf den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, der bilaterale Projekte mit bis zu 70 Prozent der Gesamtkosten fördern will. Die Einrichtung hat in diesem Jahr das gemeinsame zivilgesellschaftliche Engagement Deutscher und Tschechen in der Drogenprävention besonders im Blick. „Das Drogenproblem macht vor der Grenze nicht Halt“, erklärte Geschäftsführer Tomáš Jelínek beim letzten Dialog in Weiden.
Auch er bekräftigte, dass gegenseitige Vorwürfe nur dazu führen, Vorurteile über die Menschen des jeweils anderen Landes zu verfestigen. Der Zukunftsfonds will rund 250.000 Euro für rund 40 gemeinsame Projekte bereitstellen.
„Eine drogenfreie Gesellschaft werden wir nicht mehr bekommen“, bleibt Gerhard Krones realistisch, „deshalb sollten wir das Problem weniger pragmatisch und mehr visionär angehen.“
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