Tschechiens Ärzteschwund
Mediziner wandern weiter aus und fordern fünf Prozent mehr Lohn
2. 7. 2014 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: Halina Zaremba/pixelio.de
Die Entwicklungen im Gesundheitswesen sind alarmierend. Immer mehr junge Ärzte gehen nach der Ausbildung direkt ins Ausland und auch ihre erfahrenen Kollegen wandern ab. Der Sprecher der Ärztekammer (Česká lekařská komora) Michal Sojka findet deutliche Worte an die Adresse derjenigen, die seiner Meinung nach für die prekäre Lage verantwortlich sind: „Die Politiker müssen sich endlich klar machen, dass das Gesundheitssystem nicht dafür da ist, den Staatshaushalt zu sanieren.“
Es sind die schlechten Lohnbedingungen, die tschechische Ärzte ins Ausland treiben. Dass sich das auf die Situation in den Krankenhäusern niederschlägt, belegt jetzt eine Studie. Das HealthCare Institute (HCI) hat im April 70 Klinikchefs nach dem Personalstand in ihrem Krankenhaus befragt. 66 Prozent der Kliniken leiden demnach an Ärztemangel. Drei von vier Klinikleiter fürchten laut Umfrage negative Folgen für die Qualität der Krankenpflege. Den Negativtrend bestätigt auch die Ärztekammer. So steige das Alter der praktizierenden Ärzte dramatisch, inzwischen sei jeder fünfte Doktor in Tschechien über 60 Jahre alt.
Die Ärztegewerkschaften fordern deshalb für kommendes Jahr eine Anhebung der Löhne um fünf Prozent – ein erster Schritt im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen. Dass die tschechischen Ärzte dabei auch vor radikalen Streikmethoden nicht zurückschrecken, haben sie vor drei Jahren bewiesen. Damals drohten sie in der Aktion „Děkujeme, odcházíme“ („Danke, wir gehen“) mit dem medizinischen Massenexodus. Das Ergebnis war eine Einigung mit der Regierung Nečas, die nur zum Teil eingehalten wurde: sofortige Lohnerhöhungen von bis zu 8.000 Kronen im Monat (derzeit etwa 290 Euro), und eine weitere schrittweise Anhebung von 15 Prozent jährlich. Bis 2013 sollten so die Ärztegehälter bis auf das Dreifache des Durchschnittsgehalts steigen.
Umgesetzt wurde nur der erste Punkt. 2013 lag der Durchschnittslohn von Medizinern (Krankenschwestern eingenommen) laut dem Amt für Informationen und Statistiken zum Gesundheitswesen bei 30.174 Kronen (knapp 1.100 Euro). „Die Vereinbarung über die enge Zusammenarbeit im Rahmen der Reformen des Gesundheitssystems wurde von der Regierung boykottiert“, sagt Miloš Voleman, stellvertretender Vorsitzender der Ärztegewerkschaften LOK-ČSL.
Auch eine europäische Richtlinie hat die Situation erschwert. In Tschechien galt bis Anfang dieses Jahres eine Ausnahmeregelung für Überstunden in Kliniken. Während vorher bis zu 832 Überstunden im Jahr erlaubt waren, ist nunmehr nur noch etwa die Hälfte möglich. Laut Sojka von der Ärztekammer werde diese Regelung zwar teils umgangen, es sei jedoch nur eine Frage der Zeit, bis diejenigen den Ärztemangel zu spüren bekommen, die der Grenzwert schützen soll: die Patienten. „Die Politiker wussten, dass die Regelung in diesem Jahr in Kraft tritt, haben aber keinen Finger gerührt“, gibt sich Sojka verärgert.
Die Grundprobleme seien neben der niedrigen Ausgaben – Tschechien investierte 2011 7,5 Prozent des BIP in das Gesundheitswesen, Deutschland 11,3 Prozent – ineffektives Haushalten und das schlechte Ausbildungsangebot. Auch letzteres führe laut Sojka dazu, dass knapp jeder fünfte Medizinabsolvent direkt nach dem Studium ins Ausland geht.
Nun wollen die Ärzteorganisationen für eine Lohnerhöhung kämpfen. Streiks stünden im Moment aber nicht auf der Tagesordnung, auch weil die Kommunikation mit dem sozialdemokratischen Gesundheitsminister Svatopluk Němeček besser verlaufe. Noch gelte eine Schonfrist für die neue Regierung. Wenn die Verhandlungen aber keine Früchte tragen, könnten auch Streiks nicht mehr ausgeschlossen werden.
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